Jeder mit jedem

„Don Giovanni“ feierte am Deutschen Nationaltheater Premiere

Von Johannes Weiß

Wenn die Tochter mit dem Vater…
Foto: Charlotte Burchard

Um es gleich zu Beginn mit dem Zynismus eines Don Giovanni zu sagen: Wäre der Champagner aus der gleichnamigen Arie des spanischen Lebemanns genauso schal und abgestanden wie diese Weimarer Inszenierung, ließen sich wohl nur wenige Damen auf dessen rauschenden Festen blicken. Und die vom Diener Leporello geführte Liste der Liebschaften wäre um einige Namen kürzer.
Der DNT-Operndirektor Karsten Wiegand hat sich selbst an die „Oper aller Opern“ gewagt und hierfür ein funktionelles Bühnenbild gewählt: Holzwände, Gänge, Türen, Treppen und Geländer trennen und verbinden die verschiedenen Bereiche der Handlung, und bei Bedarf dreht sich das Ganze sogar noch. So weit, so gut. Auch der Verzicht auf eine starre Gegenüberstellung vom skrupellosen Verbrecher Don Giovanni und seinen wehrlosen Opfern erscheint sinnvoll und öffnet einen vielversprechenden Zugang zu Mozarts „Dramma giocoso“.

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Knockout im Studium

Ursachen und Folgen studentischen Leistungsdrucks

Von Philipp Böhm, Theresa Angelis, Katrin Hesse

Ehe man sich versieht, ist einem die Uni über den Kopf gewachsen. Foto: Matthias Benkenstein

“Die Thulb wurde mein zweites Zuhause“, sagt Evelyn Meier, „man steht unter ständigem Druck, versucht die Arbeit hinzukriegen, aber die Uhr tickt.“ Die 22-Jährige studiert Kunstgeschichte und Interkulturelle Wirtschaftskommunikation auf Bachelor. Das letzte Semester avancierte für sie zur Belastungsprobe: „Ich musste vier Hausarbeiten gleichzeitig schreiben. Zeitlich war das nicht machbar, da ich erst auf die Ergebnisse der Klausuren und Essays warten musste.“ Durch den immensen Leistungsdruck während dieser Zeit ist sie auch körperlich krank geworden. Geändert hat sich im neuen Semester wenig. Erneut stehen ihr genauso viele Hausarbeiten bevor. Dazu kommt das übliche Lesepensum für die wöchentlichen Seminare.

Vielen Studenten ergeht es ähnlich wie Evelyn. Sie leiden unter dem Leistungsdruck, wissen aber nicht, wie sie damit umgehen sollen. Uwe Köppe von der psychosozialen Beratungsstelle des Studentenwerks Thüringen berichtet, dass die Zahl der Studenten in Jena, die eine Beratung wünschen, seit Jahren steigt: im letzten Jahr von 633 auf 784. Ein „Ende der erheblichen Steigerung“ sei nicht abzusehen. Laut einer Studie des Studentenwerks Thüringen haben etwa zehn Prozent aller Studenten im Laufe ihres Studiums das Bedürfnis nach einer Beratung. Davon nehmen aber lediglich zwei bis drei Prozent das Angebot auch wahr. Eine Befragung von Studenten der Freien Universität Berlin ergab sogar, dass nahezu drei Viertel der Bachelor-Studenten über zu starken Leistungsdruck und zu schwere Klausuren klagen. Es scheint so, als sei für viele das Studium längst nicht mehr „ihre Zeit“, in der sie sich selbst finden und ausleben können.

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“Der Fehler liegt im System”

Gespräch mit Uwe Köppe von der psychosozialen Beratungsstelle des Studentenwerks

Von Theresa Angelis und Katrin Hesse

Mit welchen Sorgen kommen die Studenten in die Beratung?

Es sind sowohl studienbedingte Probleme als auch solche, die aus dem persönlichen Umfeld kommen. In den letzten beiden Jahren waren das vor allem Schwierigkeiten mit dem Studienabschluss, Identitäts- und Selbstwertprobleme, Probleme in der Partnerschaft, Erschöpfung, Prüfungsangst, Ängste allgemein – zum Beispiel Zukunftsangst. Auch die Sorge um einen späteren Arbeitsplatz spielt eine Rolle.

Hat das Thema Leistungsdruck eine zentrale Bedeutung?

Natürlich kommen nicht alle Studenten mit diesem Problem zu uns. Das, was eine Rolle spielt, ist der gewachsene Zeitdruck, der mit der Umstellung auf die Bachelor-Studiengänge zugenommen hat. War es früher in den Beratungen noch möglich eher Tempo rauszunehmen, kommen Studenten jetzt mit dem Anliegen, so schnell wie möglich Lösungen zu finden, um sich dann dem Studium wieder mit ganzer Kraft widmen zu können.

Gibt es noch andere Gründe für Leistungsdruck als den gewachsenen Zeitdruck?

Dadurch, dass Prüfungen zum studienbegleitenden Phänomen werden, leiden jene Studenten mit Prüfungsangst unter einer Dauerbelastung. Menschen, die mit einem stark reglementierten System schlecht zurechtkommen, sind im Bachelor sehr benachteiligt. Im Grunde genommen hat sich eine Verschiebung insoweit ergeben, dass Leute mit bestimmten Eigenschaften im Bachelor-System begünstigt werden. Das war in den alten Studiengängen mit den Abschlüssen Diplom oder Magister nicht so.

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Aufgemotzter Lebenslauf

Wie viel Praktika und andere Praxiserfahrungen wirklich zählen

Von Elisa Nößler

Für jede Jobgelegenheit den richtigen Schlüssel parat haben. Foto: Elisa Nößler

Lars Günther ist einer von ihnen. Im 8. Semester hat der Jenaer Student der Medienwissenschaft bereits fünf Praktika absolviert, war freier Mitarbeiter bei verschiedenen Tageszeitungen und ist es seit Kurzem im Landesstudio der dpa in Erfurt. Seinen akademischen Lebenslauf hat der 22-Jährige zudem mit Mentorentätigkeit und Stellen als studentischer Mitarbeiter an seinem Institut angefüttert. „Das Studium an der FSU Jena ist sehr theorielastig, daher habe ich meine Praktika absolviert. Außerdem wird journalistische Erfahrung bei vielen Praktika und Jobs vorausgesetzt.“

Mit Praxiserfahrung im Lebenslauf punkten ist nicht nur ein Trend, sondern „ganz harte Realität“, sagt der Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologe Professor Rüdiger Trimpop von der FSU Jena. Die Ursachen lägen in den Auswahl-Kriterien für zukünftige Mitarbeiter der Unternehmen. Wichtiger als gute Noten und der Abschluss des Studiums in der Regelstudienzeit seien ein bis zwei ordentliche Praxiserfahrungen. Neben Praktika könnten dies aber auch Mitarbeit an Uni-Projekten oder die Website-Gestaltung zu Hause sein – Hauptsache, man beweise Eigenverantwortung und hohe Einsatzbereitschaft.

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Ich bin pleite!

Professor Hartmut Rosa reflektiert über die Temporalinsolvenz

Zeichnung: Beetlebum

Viele Menschen, gerade in diesen Krisenzeiten, kennen das Gefühl nur zu gut: Es reicht hinten und vorne nicht. Die Ausgaben sind zu hoch. Wie sie auch rechnen, wie sie auch sparen, sie kommen nicht hin. Immer übersteigt der Bedarf die vorhandenen Mittel. Dann machen sie Schulden. Hier wird ein Kredit aufgenommen, dort eine Rate nicht bezahlt, immer in der Hoffnung, dass sich die Lage dann, wenn die Rückzahlung fällig ist, gebessert haben wird. Aber in aller Regel wird sie nicht besser, sie wird schlimmer. Die Ausgaben steigen, unvorhergesehene Mehrkosten kommen noch dazu. Dann beginnt ein hoffnungsloser Kreislauf. Sie betteln hier ein wenig um Aufschub, dort um eine letzte Frist, und versuchen, an ihnen wohlgesonnenen Orten noch ein paar Ressourcen locker zu machen. Die Verschuldung nimmt beängstigende Ausmaße an. Nachts liegen sie schlaflos, planen, rechnen, verwerfen, schöpfen noch einmal Hoffung, kämpfen, schrecken hoch in der Gewissheit, dass es keine Rettung gibt. Irgendwann kommt dann der Moment der Klarheit: Es geht nicht mehr, sie sind illiquide, es ist aus. Gleichgültig nehmen sie die neuen Rechnungen entgegen: Es spielt jetzt sowieso keine Rolle mehr, wie viele Außenstände sie haben. Unternehmer, aber auch Privatpersonen können, ja müssen dann Insolvenz anmelden, d.h., sie müssen öffentlich und mit rechtsverbindlicher Wirkung eingestehen, dass sie ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können, dass sie sich übernommen haben.

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Ein bisschen Krieg in Jena

Unique provoziert erneut mit fragwürdigem Interview

Von Sören Reimer

Vom Winde verweht: die 47. Ausgabe der Unique. Foto: jena.antifa.net

Bunte Papierschnipselchen säumen den Weg der Studenten zu ihren Vorlesungen an diesem tristen 7. Mai. Die Schnipselchen waren einmal die 47. Ausgabe der Hochschulzeitung Unique. Nun drücken sie den vorläufig letzten Höhepunkt einer Debatte aus, in der gegenseitige vermeintliche Gewaltaufrufe, Antisemitismusvorwürfe, das Einsammeln der umstrittenen Ausgabe, die Streichung von Fördermitteln und die Androhung von Rechtsmitteln die Instrumentarien des Streitenden sind. Dabei sieht sich die Unique Kritik und Angriffen von Seiten des Sturas, der JG Stadtmitte und einer Antifa-Gruppe, die sich „Initiative gegen jeden Antisemitismus“ (IGJA) nennt, ausgesetzt.

Entzündet hat sich der Konflikt wieder an einem Interview von Unique-Chefredakteur Fabian Köhler. Nachdem schon im Januar ein Gespräch mit einem Neonazi für Aufsehen gesorgt hatte (AKRÜTZEL berichtete) und viele Kritiker der Unique mangelnde Reflektion und journalistische Inkompetenz vorgeworfen hatten, geht es diesmal um ein Gespräch mit dem Hamas-nahen Journalisten Khalid Amayreh. Darin nennt Amayreh unter anderem den Zionismus eine „rassistische Bewegung“ und spricht Israel das Existenzrecht ab. Diese Aussagen blieben von Köhler unhinterfragt. Zwar geht er in einem begleitenden Kommentar auf die Verwendung von Nazi-Vergleichen als „Unarten der politischen Rhetorik“ ein, verweist aber auf die möglichen Motive hinter diesen Vergleichen, ohne dabei aber, gerade im Bezug auf den Gaza-Konflikt, ins Detail zu gehen.

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Blinder Aktionismus

Ein Kommentar zur aktuellen Unique-Kontroverse

Von Sören Reimer

Es gibt Themen, die fordern Versagen geradezu heraus. Dazu gehören sowohl Interviews mit Nazis als auch mit antisemitischen „Journalisten“. Die Unique um Fabian Köhler versuchte es und scheiterte. Es fehlten größtenteils die kritischen Nachfragen und die Infragestellung von antisemitischer Propaganda. Das lässt sich auch nicht mit dem illusorischen Vorhaben verschleiern, möglichst unbefangen und neutral zu berichten. Es fehlt zudem eine Kontextualisierung der Aussagen. Das heißt nicht, dass die Unique den Lesern erklären muss, wie der Nahost-Konflikt ist. Das wäre genauso illusorisch. Aber eine Zeitung, die unter dem Ziel des interkulturellen Journalismus arbeitet, sollte ihren Lesern auch Anhaltspunkte zur Interpretation von Aussagen geben, die dem eurozentrischen Weltbild fremd erscheinen müssen – gerade wenn es um Antisemitismus geht. Das ist die Aufgabe des Journalismus als Mittler zwischen Leser und „Gegenstand“ und wurde von der Unique sträflich vernachlässigt.

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“Er kann sich nicht auf den Duktus des unbefangenen Journalisten zurückziehen!”

Kurzinterview mit Mitarbeitern am Lehrstuhl für Textlinguistik über das Interview mit Khalid Amayreh in der Unique

Von Dirk Hertrampf

Eva Leuschner und Robert Beyer sind wissenschaftliche Mitarbeiter bei Monika Schwarz-Friesel, Professorin für Textlinguistik und Pragmatik am Institut für germanistische Sprachwissenschaft. Sie untersuchen die sprachlichen Formen des aktuellen Antisemitismus in Deutschland, besonders in Bezug auf die Berichterstattung zum Nahost-Konflikt.

Frau Leuschner, Herr Beyer, was ist aus Ihrer Sicht das Brisante am Interview mit Khalid Amayreh?

Beyer: In der Vorrede zum Artikel wird der Anspruch postuliert, „unbefangen“ den Nahost-Konflikt darzustellen. Dies geschieht keinesfalls. Vielmehr wird dem Interviewten die Möglichkeit geboten, seine einseitige Sicht des Konflikts darzustellen. Es wird eine einseitige Täter-Opfer-Sicht dargestellt, die Israel dämonisiert und dehumanisiert. Es werden seitens des Journalisten keine kritischen Nachfragen gestellt oder offensichtliche Widersprüche in Amayrehs Äußerungen aufgelöst, so zum Beispiel die Aussage, die Hamas gestehe Israel zwar kein Existenzrecht zu, erkenne jedoch seine „physische Präsenz“ an.

Leuschner: Selbst wenn offensichtlich falsche Aussagen gemacht werden – so etwa, dass die Hamas nichts gegen Juden als Juden habe, wohingegen die nach wie vor gültige Charta der Hamas das genaue Gegenteil zeigt – fragt Fabian Köhler nicht nach. Dieses Unterlassen deutet darauf hin, dass Köhler mit Amayrehs Aussagen, die eben nicht den Tatsachen entsprechen, konform geht. Problematisch ist, dass der Leser so ein völlig verzerrtes Bild vom Nahost-Konflikt gewinnt.

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