Erloschene Lichtstadt

Die Innenstadt ist in der Krise: Onlineshops machen die Einkaufsmeile überflüssig. Wie soll es weitergehen, wenn alle weg sind?

von Helena Hummel und Stephan Lock

Die Innenstadt stirbt. Die Wagnergasse macht ihren letzten Atemzug. Niemand tut etwas dagegen. Das sagt zumindest Rudolf Kornhuber – bis vor kurzem noch Geschäftsführer im Rossini – einem der Lokale, die vor Jahren noch prägend für die studentische Kultur Jenas waren. Am 30. Mai schließen seine Türen für immer.
Mit diesem Schicksal ist das Rossini nicht alleine. Geschäfte wie Eigenlauf und Beef 52 haben schon zugemacht, andere sind insolvent gegangen und alteingesessene Läden werden zunehmend durch Franchises, wie L’Osteria, abgelöst. Sicher lässt sich darüber streiten, was die Gründe für den Verfall sind. Doch für Kornhuber ist es eindeutig: Die Universität wirbt mit der Wagnergasse, hat aber noch nie ein Event dort veranstaltet. Die Stadt macht Versprechen, die nicht gehalten werden. Und Corona bedeutete für viele Einzelunternehmen der Wagnergasse den Genickbruch. Diejenigen, die sich halten konnten, beginnen nun auch wie das Rossini zu schwächeln. Bei dieser Entwicklung fühlt sich Kornhuber im Stich gelassen. So wurde zum Beispiel sein lang ersehntes Fest in der Wagnergasse nie umgesetzt.

Die Stadt von morgen

Das Stadtlab soll die Innenstadt wieder attraktiver machen. Dieses Ziel verfolgen Grit Sachse und Florian Lauterbach gemeinsam mit ihrem Team. Sie sind sich einig: Wenn sich nicht bald etwas ändert, sieht es für die Innenstadt schlecht aus.
Veraltete Strukturen und Einkaufsmodelle, die längst vom Onlinehandel und neuen Möglichkeiten überholt wurden, prägen das Stadtbild. Mit 1,3 Millionen Euro an Fördergeldern vom Bundesministerium, wurde das Stadtlab Ende 2022 ins Leben gerufen, um das volle Potenzial der Innenstadt auszuschöpfen. Dadurch ist eine Projektlaufzeit bis August 2025 möglich.

Neue Strukturen statt Stillstand

In Kooperation mit der Initiative Innenstadt sollen neue Ideen gefördert werden. Dafür gibt es sowohl eine Pop-Up- als auch eine Workshop-Fläche, auf denen neue Geschäftskonzepte ausprobiert werden können. Ein großer Vorteil dabei sind die kurzen Mietzeiten. Sie sollen ermöglichen, innovative Ansätze zu testen, bevor größere Investitionen getätigt werden. Außerdem sollen sich dadurch mehr Menschen angesprochen fühlen, ihre Ideen in die Tat umzusetzen. Je nach Konzept kann man die Workshop-Fläche für 250 Euro pro Tag oder die Pop-Up-Fläche für 375 Euro die Woche mieten.
Zudem soll es regelmäßige Ideenwettbewerbe geben, von denen der erste bereits angelaufen ist. Dabei können Start Ups oder Konzepte vorgestellt werden, die sich in einem längeren Auswahlverfahren zunächst vor einer professionellen Jury und im Anschluss bei möglicher Kundschaft behaupten müssen. Dazu gab es bis zum 29. Mai ein Publikumsvoting.
Das Konzept, das sich durchsetzt, bekommt neben einem Preisgeld Unterstützung von Expert:innen und darf die Mietfläche kostenlos nutzen. Die Ideen werden bereits während des Wettbewerbs diskutiert, sodass alle Bewerber:innen von dem Wissen profitieren können. Obwohl sich die Anfragen für die Pop-Up-Fläche schon häufen, setzt sich das Team des Stadtlab dafür ein, alle Ideen des Wettbewerbs auf die Fläche zu bringen. Das Stadtlab orientiert sich in der Herangehensweise an Mischkonzepten – Läden, die sich nicht auf eine Geschäftsidee beschränken. Sie können durch die Teilung der Geschäftsfläche Mietkosten und Personal sparen – zwei Hauptprobleme der Jenaer Innenstadt. Vorreiter dafür sind zum Beispiel das Kabuff oder das Kassablanca. Dies kommt bei potenzieller Kundschaft besonders gut an.
Dennoch tut sich ein Problem auf: Das Konzept, welches darauf abzielt, Hürden zu senken, hat mit einer selbst-geschaffenen Hürde zu kämpfen. Viele wurden von dem Stadtlab nicht erreicht. Sei es der Fokus auf der Innenstadt, oder die Struktur der Initiative, die für viele doch schwerer zu begreifen ist, als geplant. Darüber hinaus ist nicht für jeden transparent, wie es nach der eigenen Testphase auf der Pop-Up-Fläche weitergeht, oder was mit dem Stadtlab nach 2025 passiert.
Trotz des Blickes nach vorne ist die Stadt gespalten. Geschlossene Lokale und neue Innovationen stehen sich gegenüber. Wo gestern noch die Traditionskneipe war, stehen heute leere Gebäude. Die hohen Mietkosten treiben wiederum die Preise in die Höhe. Und trotzdem soll genau da das Potenzial liegen. Mit dem Stadtlab hat sich bereits eine Initiative gefunden, die versucht, sich der Herausforderung anzunehmen. Aber zur langfristigen Erhaltung der Innenstadt gehört mehr: Menschen, die sich für ihre Stadt einsetzen, und die Politik, die sich neben den großen Konzernen auch um die Bedürfnisse der bereits vorhandenen Lokalitäten kümmern sollte. So stellt sich zum Schluss die Frage, ob die Innenstadt wirklich stirbt, oder ob sie nach ihrem Verfall eine Renaissance erlebt.

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