Aktivist:innen machen auf den Leerstand von Gebäuden der Uni aufmerksam. Aber wer kann wirklich etwas dagegen tun?
von Helena Hummel und Hanna Müller
Das neue Semester steht vor der Tür und wie jedes Jahr bedeutet es für Jena die Konfrontation mit dem Wohnungsmangel. Hinzu kommt der hohe Leerstand, der die angespannte Situation noch verschärft. Dagegen setzten sich die Aktivist:innen von Leerstand Gestalten ein, die am 14. Juni die alte Urologie besetzten. Der Protest reiht sich in eine Auseinandersetzung zwischen Uni und Stadt um die Weiternutzung leerstehender Gebäude ein.
Für das Jahr 2022 gibt die Stadt an, dass insgesamt 2,1% des Wohnraums leer standen. Zur Einordnung: Ein Wohnungsmarkt gilt dann als angespannt, wenn dieser Wert auf unter 3 bis 4% fällt. Auf den Jenaer Wohnungsmarkt trifft dieses Kriterium bereits seit mehreren Jahren zu, ähnlich wie auf viele andere deutsche Universitätsstädte.
Wohnungsmangel trifft Leerstand
Auf den ersten Blick wirkt das wie ein Widerspruch: Proteste gegen leerstehende Uni-Gebäude auf der einen Seite und eine eigentlich unterdurchschnittliche Leerstandsquote inklusive des daraus folgenden Wohnungsmangels auf der anderen Seite. Der Wohnungsleerstand ist aber nicht der einzige Indikator, der für die Bewertung des Gesamtleerstands relevant ist. Leerstehende Büroflächen beispielsweise werden in separaten Erhebungen erfasst, auch wird privater Immobilienbesitz teilweise nicht miteinbezogen. Das bedeutet in anderen Worten: Es ist durchaus möglich, dass mehr Flächen frei sind, als auf den ersten Blick erkennbar.
Laut dem letzten bekannten Stand von 2023 gehören sieben Jenaer Gebäude der Uni und damit dem Land, wie beispielsweise das Bachstraßenareal oder eben die alte Urologie, die seit Jahren leer stehen.
Aus Leerstand wird Stillstand: Die Stadt hat quasi keine Handlungsmöglichkeiten, eine Weiternutzung zu veranlassen, wenn sie Enteignungen und den daraus resultierenden Konflikt mit der Uni umgehen will. Währenddessen konzentriert sich die Uni in erster Linie auf ihr Forschungsprofil und setzt auf Zentralisierung und Modernisierung, wobei die alten, teils denkmalgeschützten Gebäude zunächst in den Hintergrund rücken.
Zwischennutzung und gesellschaftliche Teilhabe
In urbanen Räumen mit vielen leerstehenden Gebäuden in öffentlicher Hand kommt immer wieder das Thema Zwischennutzung auf. Zwischennutzungskonzepten kommen in der Stadtplanung eine besondere Bedeutung zu, wenn es um die tatsächliche Beteiligung der Einwohner:innen an der Gestaltung ihres Lebensumfelds geht. Während die Bevölkerung auf Bauvorhaben oder andere städtische Projekte nur begrenzt Einfluss nehmen kann, bieten Zwischennutzungen flexiblere Möglichkeiten, eigene Ideen einzubringen oder Veränderung auf niedriger Ebene mitzuerleben. Das liegt häufig daran, dass Städte selbst an der Nutzung des Raumes interessiert sind und zum Beispiel Pop-Up Stores, die nicht darauf ausgelegt sind, an einem Standort zu bleiben, den Vortritt gegenüber Franchises lassen.
In Jena gibt es Initiativen, die versuchen, Freiflächen zu vermitteln oder anzubieten, zum Beispiel blank oder das Stadtlab. Dabei liegt auch ein Fokus auf Partizipation, indem man durch Wettbewerbe die Meinung der Bewohner:innen zu den Projektideen erfragt. Solchen Konzepten stehen bei leerstehenden Uni-Räumen allerdings einige Hindernisse im Weg: Zum einen fällt die Nutzung von Büroflächen als Wohnflächen weg, da diese mit großen Umbauten verbunden sind.
Außerdem verlangt der Zustand einiger leerstehender Gebäude eine Sanierung, die durch den Denkmalschutz verhindert wird. Nicht zuletzt stehen vor allem schwerfällige Bürokratie- und Verwaltungsstrukturen dynamischen Zwischennutzungsprojekten oft im Weg. Das sagt unter anderem Björn Braunschweig, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Uni Jena, im Podcast Spaceconomics – und gerade die Verwaltung ist ein Aspekt, der besonders im Hinblick auf Uni-Gebäude durchaus relevant sein dürfte.
Der Leerstand in Jena ist also nach wie vor ein Problem, an das man jährlich erinnert wird, wenn das Wintersemester vor der Tür steht. Obwohl die Räume viel Potenzial für aktive Mitgestaltung der Stadt bieten und neben der gesellschaftlichen auch politische Teilhabe ermöglichen könnten, sind den in Jena Wohnenden doch größtenteils die Hände gebunden. Viele leerstehende Gebäude befinden sich irgendwo zwischen Verfall und Neuaufbau. Besonders die Eigentumsfrage und die schwerfällige Verwaltung scheinen zu einem Klotz am Bein der Zivilbevölkerung zu werden, der gesellschaftliche Teilhabe verhindert und die Stadt zum Stehen bringt.