Knockout 51 wühlt nicht nur Eisenach auf. Auch im Gerichtssaal entbrennt der Kampf um die Vormachtstellung. Wollte die Neonazigruppe Linke töten?
von Moritz Weiß und Gustav Suliak
Wenige Minuten nach der Urteilsverkündung darf Knockout 51-Anführer Leon R. das Gerichtsgebäude als freier Mann verlassen. Seine mitgereisten Familienangehörigen und sonstige Rechtsextreme wirken zufrieden. Das positive Ende scheint auch sie etwas überrascht zu haben. Der jüngste der vier Angeklagten posiert demonstrativ mit dem White Power-Zeichen vor dem Eingang. Kurz zuvor verhängte das Oberlandesgericht Jena gegen den Hauptangeklagten R. eine Haftstrafe von knapp vier Jahren und hob den Haftbefehl nach über zwei Jahren Untersuchungshaft auf. Er soll die rechtsextreme Gruppierung, die Eisenach in Angst und Schrecken versetzte, aufgebaut und koordiniert haben.
Der Generalbundesanwalt (GBA) als oberster Strafverfolger des Landes wurde aktiv und warf der Gruppe vor, einen Nazikiez in Eisenach aufgebaut zu haben. Gravierende Körperverletzungen standen bei der selbsternannten Kampf- und Einsatzeinheit auf der Tagesordnung. Laut der Anklageschrift des GBA wollte die Gruppe später auch linksextreme Personen unter dem Deckmantel der Notwehr töten.
Die übrigen drei Angeklagten erhielten Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren und sechs Monaten. Vor dem Hintergrund der anfänglichen Vorwürfe gegen die Gruppe ist der Schuldspruch milde. Die Landtagsabgeordnete König-Preuss bezeichnete ihn gar als Freifahrtschein für extreme Rechte.
Verhärtete Fronten
Harsche Kritik am Oberlandesgericht Jena kam längst nicht nur aus linker Richtung. Auch die Vertreter der Bundesanwaltschaft schlugen ungewohnt konfrontative Töne an. „Beachtlich und einzigartig“ nannte Oberstaatsanwalt Piehl die Verhandlungsführung am Anfang seines Schlussstatements. Es folgte eine Generalabrechnung mit dem Jenaer Staatsschutzsenat. Das Gericht hätte sich weder die Arbeit gemacht, ein eigenes Beweisprogramm auf die Beine zu stellen, noch würde es die üblichen Regeln der Strafprozessordnung einhalten. Auch die gleichzeitige Haftentlassung von drei Angeklagten im April sei nicht nachvollziehbar.
Der Vorsitzende Richter Giebel wollte dies nicht auf sich sitzen lassen und schoss während der Urteilsbegründung am 1. Juli zurück. Schon nach dem gesunden Menschenverstand sei klar, dass es sich bei Knockout 51 nicht um eine Terrorvereinigung handeln kann, führte er aus. Die Argumentation der Anklagebehörde bezeichnete Giebel als bloße juristische Konstruktion und methodisch falsch. Dies sei jedem Jurastudent im ersten Semester bewusst. Das Gericht bestreitet aber nicht, dass die Eisenacher Gruppe ein rassistisches Weltbild eint und sie Gewalt gegen all jene ausüben wollte, die nicht in ihr Weltbild passen. Die vier Angeklagten wurden als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung verurteilt.
Stärke durch Abschreckung
Der eigentliche Knackpunkt liegt in der Frage, ob es sich bei Knockout 51 auch um eine terroristische Vereinigung handelt. Dies setzt voraus, dass nicht nur Körperverletzungen, sondern auch schwerere Delikte wie Mord und Totschlag zum Programm der Vereinigung zählen. Der GBA war von dem Tatvorwurf bis zum Ende überzeugt und forderte gegen Leon R. sieben Jahre Haft. Was für das Gericht eine bloße Konstruktion ist, stellt für ihn eine Gesamtschau all jener Erkenntnisse dar, die sich aus jahrelangen Überwachungsmaßnahmen ergibt. Schießtrainings in Tschechien, erworbene Macheten und die Herstellung einer Schusswaffe mit einem 3D-Drucker wurden als Belege angeführt. Mit Äxten und Macheten fuhr die Gruppe schließlich ohne wirklichen Anlass zu einer linksalternativen Veranstaltung in Erfurt. Wohl mit der Hoffnung, einen Angriff zu provozieren, der aus Sicht des GBA mit einem massiven Gegenschlag beantwortet werden sollte.
„A. kommen Machete, machen Zecken kaputt“, schrieb Bastian A. im Mai 2021, um seine Einsatzbereitschaft zu versichern. „Axt, psychischer Schaden, Antifas umlegen, Notwehr ausreizen“ lautete eine weitere Äußerung des Nazi-Chefs Leon R.
Der Richter sieht im Notwehrparagraphen dagegen den entscheidenden Entlastungsgrund. Aus der Perspektive der angeklagten Neonazis sei die Gefahr real gewesen, dass es zu erneuten Übergriffen aus dem linken Spektrum komme und sie sich dagegen verteidigen müssten. Die Bewaffnung sei deshalb als Abschreckung zu verstehen, um Gewalt zu verhindern. Potenzielle Opfer könnten sich vor tödlicher Gewalt schützen, indem sie Knockout 51 einfach in Ruhe lassen. Hierin läge der Unterschied zu wirklichen Terrorgruppen wie dem NSU.
Prozess mit besonderer Bedeutung
Für eine Verurteilung als kriminelle Vereinigung hätte der Prozess gar nicht am Oberlandesgericht stattfinden müssen. Dafür hätte auch ein Landgericht gereicht, erklärt Richter Giebel in der Urteilsverkündung. Da er aber den Terrorverdacht nicht vorschnell ausschließen wollte, führte der Staatsschutzsenat in Jena trotzdem das Verfahren. Zu weiteren Besonderheiten des Mammutverfahrens verliert Giebel kein Wort. Dabei sorgte bereits am Beginn des Prozesses ein Video für Aufsehen, in dem rechtsextreme Unterstützer vor dem Eingang des Gerichts posieren. Unterlegt ist Musik, in der ein Richter beleidigt wird.
Obwohl das öffentliche Interesse nach ein paar Prozesstagen abebbte, beeinflusste die Stimmung der Eisenacher Weststadt weiter das Geschehen. Angesichts der vielen angeklagten Körperverletzungen, es waren zehn an der Zahl, wäre zu erwarten, dass betroffene Personen in Nebenklage treten. Opfer von Straftaten können sich damit aktiv am Strafprozess beteiligen.
Pascal*, einer der Geschädigten, erklärte im Gespräch mit dem Akrützel, dass er kurz davor war, diesen rechtlichen Schritt zu gehen. Er habe jedoch davon erfahren, dass er ohnehin einer der Wenigen gewesen sei, die überhaupt als Zeuge aussagten. „Den Schuh möchte ich mir nicht auch noch anziehen“, schlussfolgerte er. Die anderen Geschädigten taten es ihm gleich.
Wird das Urteil aufgehoben?
Der GBA hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben und das Urteil angefochten. Der Bundesgerichtshof (BGH) wird die Sache nun überprüfen. Vor einem Monat musste sich dieser bereits zu Knockout 51 äußern. Zwei separat Beschuldigte hatten gegen ihre fortdauernde U-Haft Beschwerde eingelegt. In dem Beschluss, der dem Akrützel vorliegt, äußert sich das oberste Strafgericht Deutschlands auch zu den Geschehnissen am OLG Jena. Darin heißt es, dass das Thüringer Gericht versäumt hätte, naheliegende Umstände wie die Waffenherstellung oder gewaltaffine Äußerungen zusammenfassend in den Blick zu nehmen. Auch dem Notwehrargument aus Jena erteilt der BGH in dem Beschluss eine Absage. Vielmehr sieht er in Knockout 51 „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ eine terroristische Vereinigung, die auf die Begehung von Mord ausgerichtet war.
Es wäre nur folgerichtig, wenn der BGH das Urteil aus Jena als fehlerhaft ansehen und aufheben würde. Dann müsste die Sache neu verhandelt werden. Die Bundesanwaltschaft will zudem weitere Gruppenmitglieder anklagen und veranlasste erst am Dienstag vergangener Woche vier Hausdurchsuchungen in Eisenach. Zwölf weitere Beschuldigte stehen laut Angaben des dortigen Pressesprechers im Fokus der Staatsanwaltschaft Gera.
Rechte Kontinuität
Ob und wann die Verurteilten nochmal ins Gefängnis müssen, ist offen. Ein Großteil der jetzigen Strafen wurde durch die U-Haft schon abgesessen. Diese Zeit scheint zumindest bei einigen von ihnen kaum Wirkung entfaltet zu haben. Eric K., der eine Jugendstrafe von zweieinhalb Jahren erhielt, nahm es in der Verhandlung meist feixend zur Kenntnis, als die von ihm begangenen Körperverletzungen thematisiert wurden. Kurz nach seiner Haftentlassung tauchte er bei der rechtsextremen Kampfsport-Szene in Dortmund auf. Danach waren rechte Schmierereien im dortigen Stadtbild zu sehen. Auch der Thüringer Polizei fielen nach dem Urteil wieder vermehrt rechtsradikale Graffitis „mit teils bedrohlichen Inhalten“ in Eisenach auf.
Diese gehörten aber schon lange vor Knockout 51 zum Alltag in Eisenach. Zwischen 2015 und 2017 kam es gegen Akteure der Vorgängerorganisation Nationaler Aufbau Eisenach zu 42 Ermittlungsverfahren. Aus Angst vor einem Verbot löste sich die Gruppe schließlich selbst auf. Die vier Angeklagten waren damals auch schon dabei. Vor diesem Hintergrund verwundert die Zeugenaussage eines Eisenacher Polizisten, der dem Gericht erklärte, dass ihn die Festnahmen vor zwei Jahren überrascht haben. Um nun Wehrhaftigkeit auszustrahlen, erklärten die Thüringer Behörden die rechtsextreme Szenekneipe Bulls Eye zum gefährlichen Ort. Dies ermöglicht verdachtsunabhängige Personenkontrollen.
Das Lokal wurde bis zu seiner Festnahme von Leon R. selbst geführt und ist ein wichtiger Treffpunkt der Eisenacher Rechten. Oberbürgermeister Ihling (CDU) sieht im Bulls Eye einen Beleg für verfestigte rechte Strukturen in der Stadt, mit denen er sich auseinandersetzen will. Für das Jahr 2022 stellte der Verfassungsschutz in Thüringen insgesamt 23 Objekte fest, die von Rechtsextremisten genutzt werden. Zwei Jahre zuvor waren es noch 14. Über 60 Prozent der Neonazi-Immobilien liegen in Ostdeutschland. Gruppierungen wie Knockout 51 erhalten so einen ungestörten Rückzugsort und einen nach außen wahrnehmbaren Beleg für ihre Präsenz vor Ort.
Uneingeschränkten Zugriff erhielt die Gruppe auch auf das Flieder Volkshaus, der Thüringer Zentrale der Partei Heimat (vormals NPD) in Eisenach. Das Thüringer Innenministerium beschreibt das Gebäude auf Nachfrage des Akrützel als überregional bekanntes rechtsextremistisches Zentrum. Mit günstigen Trainingsmöglichkeiten für Kampfsport und regelmäßigen Musikveranstaltungen wollte Knockout 51 so gleichgesinnte Jugendliche anlocken. Auch ideologische Schulungsveranstaltungen fanden dort statt. „17-jährige Weiber zitieren mein Kampf. Eisenach, wo du einfach stabil integriert bist und Hitler Zitate postest“, sagte Leon R., um sich über den Erfolg der Schulungen zu erfreuen.
Hinter dem Flieder Volkshaus steht Thüringens Heimat-Vorsitzender Patrick Wieschke. Wenn man die lange Historie rechter Umtriebe in Eisenach zu ergründen versucht, fällt schnell sein Name. Als mutmaßlicher Unterstützer von Knockout 51 wanderte der 42-jährige selbst mehrere Monate in U-Haft. In Eisenach versucht er mit Themen wie einer Katzenschutzverordnung oder mehr Investitionen in Spielplätze den rechten Kümmerer zu spielen. „Polemik, leere Worthülsen und Sonntagsreden nützen nichts“, entgegnet Eisenachs frischgewählter OB Ihling. Trotz der Vorwürfe gegen ihn erreichte Wieschke in der Stadtratswahl über 3400 Stimmen. Die von ihm erhoffte Revolution an der Wahlurne blieb aber aus. Der AfD-Kandidat schaffte es in Eisenach nicht einmal in die OB-Stichwahl.
Mehr als rechter Brennpunkt
Auf sinkende Zustimmungswerte für die Heimat verweist auch ein Mediensprecher des ThSV Eisenach. Der überregional bekannte Handballverein ist ein Aushängeschild der Wartburgstadt. Für ihn waren die Aktivitäten von Knockout 51 kaum spürbar, auch wenn die späteren Entwicklungen verfolgt wurden. Einen negativen Eindruck von Eisenach und den Einwohner:innen kann der Verein nicht bestätigen. Er sieht sich auch als Vermittler in der Bevölkerung. Im Februar nahm die zweite Mannschaft des ThSV an einer Demo für Demokratie und gegen Faschismus teil.
Auch Oberbürgermeister Ihling verweist auf das etablierte überparteiliche Bündnis gegen Rechtsextremismus in seiner Heimatstadt. Die Reduzierung der Stadt auf rechtsextreme Umtriebe stört auch Pascal. Denn so komme nicht zur Sprache, dass sich in Eisenach in den letzten ein bis zwei Jahren einiges getan hat. Dass die vier Verurteilten zurück in Westthüringen sind, merke man zwar, in der Innenstadt sehe man sie regelmäßig. Aber er ist auch stolz, dass das Stadtzentrum häufiger für Kultur der schöneren Art genutzt wird. Zum ersten Christopher Street Day Eisenachs kamen 2023 mehr als 500 Menschen zusammen.
*Name von der Redaktion geändert