Pfandsammler:innen in Jena bessern sich mit Leergut ihr Einkommen auf. Aber sie sammeln nicht allein aus wirtschaftlichen Gründen. Die Suche nach leeren Flaschen soll auch gegen Einsamkeit helfen.
von Catalin Dörmann
Es ist Mittwochabend und im Para wird aufgelegt. Die wummernden Techno-Bässe hört man schon von Weitem. Vor dem Mischpult tummelt sich die tanzende Menge, umrahmt von vereinzelten Studis, die in Grüppchen auf dem Boden sitzen und rauchen, drehen, Bier trinken. Ein älterer Mann mit grauen Haaren streift durch die Menge. Er hat ein Fahrrad dabei, an dessen Lenker mehrere große Tüten hängen.
Pfandsammler:innen gehören heutzutage ganz selbstverständlich zum Bild einer Großstadt dazu. Auch in Jena sind sie bei jeder Veranstaltung und jedem Rave im Para präsent. Wir haben fast täglich mit ihnen zu tun und kennen ihre Gesichter. Sie sind diejenigen, die den Müll beseitigen, wenn nach einem Flunkyball-Turnier im Paradies leere Bierflaschen einfach liegengelassen werden. Über die Beweggründe, die hinter dem stundenlangen Sammeln stecken, ist jedoch wenig bekannt und beschränkt sich auf das, was der Tätigkeit durch Stigmatisierung zugeschrieben wird.
Auch ein Hobby
Der ältere Mann heißt Fritz und ist 85 Jahre alt. Er lebt von seiner Rente und sammelt seit einigen Jahren Pfandflaschen in Jena und Umgebung. „Mir geht’s um die Zeit und um die Bewegungen. Ich hatte schon zwei Herzinfarkte. Da ist es mir wichtig, fit zu bleiben.“, antwortet Fritz auf die Frage, warum er Pfand sammelt. Am Tag legt er auf seiner Tour 30 bis 35 km mit dem Fahrrad zurück. Wenn im Paradies nicht genug los ist, fährt er manchmal bis nach Apolda oder Isserstedt, um dort zu suchen.
Auch in späteren Gesprächen mit Sammler:innen stellt sich heraus: Nicht nur ökonomische Motive bringen die Suchenden dazu, Parks, Plätze und Veranstaltungsorte nach weggeworfenem Pfand zu durchkämmen. Vielen geht es auch darum, einer nützlichen Tätigkeit nachzugehen, die sie morgens aus dem Haus bringt.
Der Soziologe Sebastian Moser hat die erste umfassende Studie zu Pfandsammler: innen durchgeführt. Sein Buch zu dem Thema nennt er: „Untersuchungen einer urbanen Sozialfigur.“ Er ist bei seiner Recherche auf ganz unterschiedliche Motive gestoßen, die Menschen dazu bringen, dieser stigmatisierten Tätigkeit nachzugehen, die von unserer Gesellschaft in die soziale Nähe von Obdachlosigkeit gestellt wird. Dabei geht es den Pfandsammler:innen oft um den Kampf gegen Vereinsamung und den Wunsch nach mehr Struktur im Alltag. Die Wertigkeit von Arbeit ist für viele so hoch, dass sich sich auch in ihrer Freizeit nichts anderes vorstellen können, als einer disziplinierten Tätigkeit nachzugehen. Für andere ist das Pfandsammeln eine Art Freizeitbeschäftigung, die bei fehlendem sozialen Netzwerk dabei hilft, der Wohnung zu entkommen.
Früher hat Fritz bei Jenapharm in der Tierzucht gearbeitet. Bis 60 ist er als Kraftfahrer LKW gefahren. Deshalb ist es für ihn jetzt in der Rente unvorstellbar, morgens nicht das Haus zu verlassen, um zu arbeiten. „Wenn ich um 22 Uhr ins Bett gehe, bin ich um 4 ausgeschlafen und gucke die Decke an. Aber wenn ich unterwegs bin, kann ich bis zehn schlafen oder auch mal bis elf. Dann stehe ich auf, mache meinen Haushalt und gehe wieder auf Tour.“
Pro Tag kämen auf diese Weise etwa 10 Euro zusammen. An guten Tagen auch mal 20 Euro. Dafür muss er aber auch bis ein oder zwei Uhr nachts sammeln. Nach einem Fußballspiel im Paradies hat er auch einmal 98 Euro Pfand gesammelt. Die Rente reicht Fritz zum Leben. Aber das Pfandsammeln ist eine zusätzliche Einnahmequelle, durch die er sich im Alltag Dinge leisten kann, auf die er sonst verzichten müsste.
Die Leute, mit denen Fritz beim Sammeln im Park in Kontakt kommt, sind meistens nett und freuen sich, dass jemand kommt und aufräumt, erzählt er. Aber es gibt auch welche, die beleidigend werden. „Auf die Beleidigungen will ich mich nicht einlassen. Das geht zum einen Ohr rein und zum anderen raus.“
Das ist kein Müll
Die Tätigkeit des Pfandsammelns ist mit Stigmatisierungen behaftet. Obwohl Pfandsammeln bedeutet, jeden Tag hart zu arbeiten und den Müll zu beseitigen, den andere nicht geschafft haben, wiederzuverwerten, wird es als etwas Niederes angesehen. Moser kommt zu dem Schluss, dass die Figur des Pfandsammlers auch etwas über unsere gesamte Gesellschaft aussagt. Sie verrät uns, welchen hohen Stellenwert Arbeit in unserer Gesellschaft einnimmt, und wie wir mit Wertstoffen umgehen.
Fritz erzählt uns, dass ihn damals eine Gruppe Jugendlicher im Park auf die Idee gebracht hat, Pfandflaschen zu sammeln. Er hat beobachtet, wie sie sich gegenseitig mit Flaschen beworfen haben, und das Pfand danach einfach liegen ließen, ohne die Möglichkeit der Wiederverwertung zu erkennen.
Martin Steglitz vom Kommunalservice Jena beschreibt Pfandsammler:innen als stille Helfer, die einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit und Sauberkeit der Stadt beitragen. Die Stadt plant einige Projekte, um die Arbeit von Pfandsammler:innen besser zu unterstützen. Es sollen beispielsweise Pfandringe an Abfallbehälter angebracht werden, in denen Flaschen abgestellt werden können. Bereits installierte Körbe oder Behältnisse für Pfandflaschen werden jedoch oft als Abfalleimer benutzt. „Wir beobachten, dass junge Leute ihre Flaschen und Dosen neben Papierkörbe platzieren, wo sie der Witterung ausgesetzt sind. Viele werfen ihre Flaschen aber auch achtlos weg.“, sagt Steglitz.
Jede:r für sich allein
Es ist schwierig mit Pfandsammler:innen in Kontakt zu treten. Sie reagieren abweisend und geben sich misstrauisch. Ein Mann erklärt, er wolle aus Angst vor dem Finanzamt mit der Presse nichts zu tun haben. Er fürchtet, die Behörden könnten Ermittlungen zu seinen Einkünften, die er mit dem Sammeln verdient, durchführen. Dabei ist Pfandsammeln eine steuerrechtlich irrelevante Tätigkeit, wie das Finanzamt erklärt. Einnahmen aus dieser Tätigkeit stellen nach dem Einkommensteuergesetz keine besteuerbaren Einkünfte dar.
Andere Pfandsammler:innen wollen bei ihrer Arbeit nicht gesehen werden. An der Pfandwegbring-Station vor Tegut treffen wir dann mehrere Sammler:innen gleichzeitig, die gerade ihre Flaschen im Automaten gegen Pfand einlösen. Als wir eine ältere Frau, die mit mehreren Tüten eilig an uns vorbeiläuft, ansprechen, merken wir schnell, dass sie nicht aufgehalten werden will. Draußen läuft gerade ein Konzert in der Kulturarena und die Leute tummeln sich auf dem Platz davor. An einem solchen Abend muss sie schnell sein, um noch genug Pfand für sich zu beanspruchen. Also kommen wir mit und begleiten die Frau aus der Goethegalerie raus, zum Engelsplatz. Hier sind viele Pfandsammler:innen unterwegs. Mit geübten Blick suchen sie die Gruppen von Menschen, die auf dem Boden sitzen, nach Leergut ab. Die Frau erzählt, dass sie Flaschen sammeln muss, um ihre Miete zu finanzieren. Seitdem ihre Mutter verstorben ist, muss sie die Miete für zwei Wohnungen bezahlen. Nebenher verdient sie noch ein wenig auf dem Trödelmarkt. Sie braucht das schnelle Geld auf die Hand, sagt sie. Während ihrer Erzählungen hält sie weiter Ausschau nach Pfand. Bevor sie eine Flasche einsteckt, wartet sie auf ein kurzes Zeichen des Einverständnisses von den Leuten, die davor sitzen. Ihre Arbeit spielt sich in ständiger Bewegung ab. Die Konkurrenz, die überall auf dem Platz verstreut nach Pfand sucht, stresst sie merklich und hält sie davon ab, ihren Bewegungsablauf zu unterbrechen.
Früher hatte sie noch andere Jobs, aber sie kann es nicht leiden, sich an feste Termine und Anweisungen von oben zu halten. Beim Flaschensammeln ist sie ihr eigener Herr und kann selbst bestimmen, wann sie arbeitet. Außerdem liebt sie es, draußen unterwegs zu sein. Ohne das Sammeln würde sie den ganzen Tag zu Hause hocken und den Fernseher anstarren. Vielleicht finde sie irgendwann nochmal was Besseres. Aber im Moment sei Pfandsammeln die passende Arbeit für sie. Auf die Frage, ob sich die vielen Pfandsammler:innen beim Suchen untereinander absprechen oder unterstützen, verneint sie energisch. Jeder sei hier auf sich alleine gestellt und gönne dem anderen nur wenig.
Sebastian Moser ist dieses Einzelgänger Dasein auch aufgefallen. In seinem Buch schreibt er, Pfandsammler:innen stellen keine soziale Gruppe mit eigenen Strukturen dar, und unterscheiden sich damit von ihren historischen Vorbildern, den Ähren – oder Lumpensammler:innen. Mit diesem Verhalten entsprechen sie durchaus dem Individualismus des modernen Kapitalismus. Auch wenn nach Mosers Studie soziale Vereinsamung ein Motiv für die Tätigkeit ist, verbinden sich die Sammler: innen bei ihrer Arbeit nicht. Jede:r steht für sich selbst ein und bleibt auf Distanz.