Ein:e Jenaer Antifaschist:in wird nach Ungarn ausgeliefert.
von Götz Wagner
In der Nacht zum 28. Juni wird Maja T. aus der Zelle geholt und abtransportiert. Es steht extra ein Hubschrauber bereit – offiziell wegen des Sicherheitsriskos durch Störungen aus der linken Szene. Dann geht alles ganz schnell: Um kurz vor sieben übergibt die sächsische Polizei Maja schon an die Österreichische, drei Stunden später sitzt Maja in ungarischer Untersuchungshaft. Am Tag zuvor hatte das zuständige Berliner Kammergericht entschieden, dass Maja an Ungarn ausgeliefert werden darf.
Aber einen Schritt zurück: Der Antifaschist:in wird vorgeworfen im Februar 2023 am Rande einer Nazi-Großveranstaltung in Budapest, dem Tag der Ehre, Nazis angegriffen zu haben. Andere mutmaßliche Täter:innen wurden von der ungarischen Polizei gefasst. Maja konnte jedoch fliehen und verbrachte das restliche Jahr 2023 im Untergrund, bis die deutsche Polizei Maja im Dezember festnahm. Die ungarischen Behörden forderten die Auslieferung Majas, um Maja in Ungarn wegen Körperverletzung und der Gründung einer kriminellen Vereinigung anklagen zu können.
Unterirdische Haftbedingungen
Gegen das Auslieferungsverfahren gab es von Anfang an Kritik. Die Zustände in den ungarischen Gefängnissen sind laut Amnesty International unterirdisch. Eine andere Antifaschist:in die bereits in U-Haft sitzt, berichtet von Isolationshaft, Bettwanzen, feuchten, kleinen Zellen und wenig Essen.
Außerdem könne eine Antifaschist:in in einem Land, in der die Justiz nicht mehr unabhängig ist, nicht auf einen fairen Prozess hoffen, sagt der Anwalt von Maja. Das Ganze wird durch den Fakt verstärkt, dass Maja non binär ist. Eine queere Person im Gefängnis eines Landes, das offen queerfeindlich auftritt – das sei keine gute Kombination.
Majas Vater sagte: „Wir kennen alle nur grob die Vorwürfe und die wirklichen Taten. Mein Kind ist öffentlich bereits vorverurteilt und der Staat ist nicht bereit, ihnen ein rechtsstaatliches Verfahren zu geben.“
Der deutsche Staat dürfe eigene Staatsbürger:innen eigentlich nur ausliefern, wenn keine Gefahr grob unverhältnismäßiger Strafen oder unmenschlicher Haftbedingungen besteht, sagt Edward Schramm, Jura-Professor in Jena. Dem Berliner Kammergericht reichte jedoch eine bloße Garantie der ungarischen Behörden aus, dass die Befürchtungen unbegründet seien und lieferte Maja aus.
Während Maja nach Ungarn ausgeliefert wird, spielt sich in Deutschland ein Krimi ab: Am Abend informierte Majas Anwalt das Landeskriminalamt Sachsen, dass er einen Eilantrag im Verfassungsgericht einreichen würde, um die Auslieferung zu verhindern. Diesen Antrag stellte er jedoch erst am Morgen nach dem Urteil. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts fiel deshalb auch erst um 10:50 Uhr. Der Eilantrag und die Entscheidung kamen also zu spät. Oder: Die Staatsanwaltschaft und die sächsische Polizei waren zu schnell. Die Auslieferung mit dem Heli sei eine zumindest fragwürdige Nacht-und-Nebel-Aktion.
„Die Behörden haben hier bewusst Tempo gemacht, um einem erwartbaren Eilbeschluss des Bundesverfassungsgerichts zuvorzukommen“, sagte der rechtspolitische Sprecher der Linken im Berliner Senat, Sebastian Schlüsselburg.
Ausreden?
Die Generalstaatsanwaltschaft liefert eine Ausrede, die man auch in einem Wort zusammenfassen könnte: Ups. Das sächsische LKA hätte der GBA nicht mitgeteilt, dass Majas Anwalt einen Eilantrag im Verfassungsgericht stellen wollte. Denn Majas Anwalt hätte nicht im Wortlaut angekündigt, diesen stellen zu wollen. Stattdessen hätte er sich „beschweren wollen.“ Es steht also Wort gegen Wort.
Die Auslieferung von Maja T. entspreche außerdem ganz den Abläufen bei einem Europäischen Haftbefehl. Und als die einstweilige Verfügung aus Karlsruhe, die die Auslieferung verhindern sollte, eintraf, hätte die Staatsanwaltschaft nichts mehr unternehmen können. Maja sei ja seit Stunden außerhalb der Gewalt des deutschen Staates gewesen.
Dass das Berliner Kammergericht entschieden hat, eine queere Antifaschist:in an ein Land ohne Rechtsstaat auszuliefern, ist für viele allein einen Skandal wert. In Jena und vielen anderen Städten gab es deshalb Soli-Demos der Antifa-Szene unter dem Motto: „Free Maja“. Aber auch wenn man davon überzeugt ist, dass die Entscheidung des Kammergerichts prinzipiell rechtens war, muss man zur Einsicht kommen, wie Nikolaos Gazeas, Experte für Auslieferungsverfahren sagt: „Der Skandal ist, wie nach der Entscheidung des Kammergerichts vorgegangen wurde.“