Kollision der Erwartungen

Bitte! Auto! Komm! treibt Neurotizismus auf die Spitze und Studierende ins Theaterhaus.

von Nora Haselmayer

Fotos: Joachim Dette

Die Katastrophe ist unausweichlich. Jeden Augenblick wird ein Auto in das Haus der WG fahren. Ein schrecklicher Unfall wird es sein, da sind sich Sibylle, Toni, Mareike und Martin ganz sicher. Sie haben die Wahrscheinlichkeit – 100 Prozent – errechnet und in ihrem Audiologbuch festgehalten. Jetzt gibt es nichts mehr zu sagen außer: „Ich möchte mich bei euch bedanken“ und „Ich liebe euch.“ Als diese letzten Worte gesprochen sind, bricht Panik aus; gemeinsam schreien sie.


Doch es passiert nichts.


Wie sich herausstellt, ist für die WG das Nichteintreten des Unfalls die eigentliche Katastrophe.

Geplagt von Paranoia

Im Gegensatz zu den im Theaterhaus Jena oft gezeigten phantastischen Inszenierungen, ist Bitte! Auto! Komm! klar im Hier und Jetzt verankert: Der vorgetragene Logbucheintrag am Anfang des Stücks ist auf Tag und Jahr der Aufführung datiert. Schlüsselszenen der Handlung verweisen auf die Grundpfeiler deutschen Kulturguts (Brot, Autos).
Die Zuschauer:innen erfahren nicht viel über die Figuren. Ob oder was sie studieren, was ihre Hobbys sind und Details über ihre Vergangenheit sind unwichtig. Von Bedeutung sind stattdessen
ihre Probleme und Gefühle. Die Wohngemeinschaft wechselt zwischen dem fieberhaften Überarbeiten ihrer Unfallsberechnungen und banalen Diskussionen. Temperatur und Luftdruck zu dokumentieren ist ebenso Teil des Zusammenlebens wie die Einigung auf die richtige Aussprache von Vanille und die beste Auftautaktik für Tiefkühlprodukte.
Die meisten ihrer Möbelstücke haben sie verkauft, das Ende ist schließlich nah. Dennoch ist es eng in ihrem Haus und diese klaustrophobisch anmutenden Zustände spiegeln sich auch in ihren Gesprächsthemen wider. Die Mitbewohner:innen besprechen, wie man sich am besten aus Lawinen und zugefrorenen Seen befreit. Sie sind geplagt von Paranoia, Orientierungslosigkeit und der Angst, dass ihre schlimmsten Befürchtungen nicht eintreten. Das würde nur die Orientierungslosigkeit verstärken.

Angstzustände und Identitätskrisen

Die Stückentwicklung unter der Regie von Nanine Maria Kok wirkt vermutlich besonders auf Studierende ansprechend, sowie auf diejenigen, die es einmal waren. Die Beschreibung von Bitte! Auto! Komm! lässt auf einen kurzweiligen Abend hoffen, der vor allem durch Humor geprägt wird. Aber es ist so wie mit dem falsch errechneten Unfalldatum: Manchmal kommt es eben anders als gedacht. Zwar hat das Stück durchaus witzige Momente, aber seine Stärke liegt in der feinfühligen Darstellung der Lebensphase zwischen Schulzeit und Arbeitsleben. Die Phase, in der viele junge Menschen in einer WG leben und sich mit Gleichgesinnten an Angstzuständen und Identitätskrisen abarbeiten. Bitte! Auto! Komm! fängt eindrücklich den Schwebezustand ein, in dem man schon den Druck spürt, erwachsen zu sein, aber trotzdem in kindlichen Anwandlungen nur um sich selbst und Banalitäten kreist.

Bitte! Auto! Komm! feierte am 5. April Premiere. Die nächsten Vorstellungen sind am 25.05. und am 29.05.


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