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Leser:innenbriefe zum Fall Dietze

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Für unsere Berichterstattung zu Dietzes Entfristungsverfahren bekamen wir Kritik. Hier könnt ihr sie nachlesen.

von Lisa Gersdorf

Eine intensive Recherche lohnt sich nur, wenn man sie im Ergebnis auch darstellt. Da gibt es
noch Luft nach oben. Ich beziehe mich auf den Akrützelartikel „Der Fall Dietze. Professorin
verlässt FSU“. Schon in der Überschrift ist ein schwerwiegender Fehler enthalten, das gilt
ebenso für das Titelblatt der Akrützelausgabe „Warum Prof. Dietze gehen muss“ oder auf
Instagram „Warum muss Prof. Dietze gehen?“. Nichts davon ist richtig, denn es stand überhaupt
nicht fest, ob Prof. Dr. Carola Dietze gehen muss. Als der Artikel am Donnerstag, 14. Dezember
2023, erschien, war vor dem Oberverwaltungsgericht Weimar noch ein Verfahren anhängig, in
dem geprüft wurde, ob die letzte Fakultätsratsentscheidung vom 21. November 2023 über die
Entfristung von Prof. Dr. Dietze überhaupt rechtmäßig war. Am Abend dann der Beschluss des
Gerichts: Die Entscheidung war fehlerhaft. Das bedeutet, der Fakultätsrat muss erneut in die
Beratung – zum dritten Mal. Entschieden war also noch gar nichts.
Erst am folgenden Dienstag dem 19. Dezember 2023 – einen Tag bevor ihr Dienstverhältnis
endete (!) – entschied die Philosophische Fakultät endgültig über die Entfristung von Prof. Dr.
Carola Dietze. Obwohl sich zahlreiche Befürworter:innen der Lehrstuhlinhaberin vor dem
Raum der Fakultätsratssitzung versammelten und ihre Solidarität bekundeten, entschied der
Fakultätsrat innerhalb von ca. einer halben Stunde, dass Prof. Dr. Dietze nicht entfristet werden
sollte. Dabei hatten Studierende in einem Offenen Brief innerhalb kurzer Zeit zahlreiche
Unterschriften gesammelt und jenen Brief vor der Sitzung dem Dekan übergeben.
Lehrstuhlangehörige und -assoziierte verteilten ein Schreiben, in dem sie ihre uneingeschränkte
Solidarität mit Prof. Dr. Dietze bekundeten und darum baten, angehört zu werden. Obwohl sie
während der Fakultätsratssitzung vor dem Raum verharrten und darauf warteten und hofften,
hereingebeten zu werden, passierte nichts.
Ob die Entscheidung des Fakultätsrats in dieser dritten Runde rechtmäßig war, bleibt
abzuwarten. Zweimal sind die Entscheidungen rechtswidrig gewesen. Indessen lief die Zeit für
Prof. Dr. Dietze ab. Auch wenn diese Fakultätsratssitzung nun endlich rechtsstaatlichen
Prinzipien entsprochen haben sollte, stellt sich die Frage, ob sie mit ihrer Ignoranz so vieler
Stimmen – in erster Linie der von Prof. Dr. Carola Dietzes selbst – fair und gerecht gewesen
ist. Hinzu käme der Skandal, erst einen Tag vor Ablauf ihres Vertrages überhaupt eine rechtlich
einwandfreie Entscheidung zu treffen, falls es denn eine rechtmäßige Entscheidung war.
Indessen muss(te) Prof. Dr. Dietze immer wieder ertragen, dass ihr Falschvorwürfe gemacht
werden. Stellung beziehen durfte sie in keinem Gremium. Dem Akrützel-Team ist es daher
hoch anzurechnen, dass es sie angehört hat. Nicht nur das, es scheint überhaupt die eigentliche
Aufgabe der Gremien übernommen zu haben. Es befragte, las, recherchierte. Hier steckt echtes
Potential für guten Investigativjournalismus. Doch leider hat das Akrützel diese Chance
vergeben. Stattdessen wiederholt der Artikel die Vorwürfe, die bisher schon so oft vorgebracht
worden sind. Dabei passieren immer wieder auch sachliche Fehler. Richtigzustellen ist: Prof.
Dr. Dietze hat in Jena nie eine Antrittsvorlesung gehalten, mit ihrem Vorgänger – das war Prof.
Dr. Hans-Werner Hahn – versteht sie sich bestens und das Verwaltungsgericht Gera gab ihr
nicht nur „in einer formalen Kleinigkeit“ Recht. Sondern es stellte fest, dass das von der
Universität geführte Verstetigungsverfahren den rechtsstaatlichen Standards nicht entspricht
und dass es die Freiheit der Wissenschaft gefährdet sowie gegen die Grundrechte von Prof. Dr.
Carola Dietze verstößt! Das ist keine Kleinigkeit. Die Liste ließe sich verlängern.
Immer wieder stellt das Akrützel klar, viele der Anschuldigungen ließen sich nicht lange halten.
So wurden die Plagiatsvorwürfe allesamt ausgeräumt. Prof. Dr. Dietze hat nie plagiiert, das ist
von offizieller Seite bestätigt. Auch das Akrützel schreibt das, aber die Überschrift
„Plagiatsvorwürfe“ suggeriert etwas anderes. Hier kann noch nachgearbeitet werden.
Die (Gegen-)Stellungnahmen, die dem Akrützel laut eigener Aussage vorliegen, und seine
weiteren Quellen, scheinen die Autoren nicht weiter einzubeziehen – zumindest tun sie das
nicht in ihrem Text. Über eine bloße Nennung der Materialien gehen sie nicht hinaus, während
sie den oft wiederholten Vorwürfen nun öffentlich Raum geben. Braucht es für solche
Wiederholungen einen eigenen Artikel?
Das Akrützel hat die Brisanz des Themas erkannt, die Autoren haben sich offenbar sehr bemüht,
sich dem Thema ausgewogen zu widmen, aber ihr Artikel wirkt lieblos heruntergeschrieben.
Doch nach Ausgewogenheit sucht man hier dennoch vergeblich. Aber es sind die Studierenden,
es ist die Unizeitung, die hier Transparenz einfordert und sich der schwierigen Aufgabe einer
Aufarbeitung stellt. Immerhin will das in der momentan angespannten Situation viel heißen:
Die vierte Gewalt hat gezeigt, dass sie nicht untätig bleibt. Und davor ziehe ich meinen
sprichwörtlichen Hut!

von Prof. Dr. Friedemann Schmoll

Sich der vertrackten Entfristungsgeschichte von Kollegin Carola Dietze anzunehmen, wie Sie dies im letzten Heft getan haben, zwingt journalistisch zu einem heiklen Balanceakt. Es geht einerseits um eine nichtöffentliche und damit vertrauliche Personalangelegenheit. Wenn andererseits Sorgen angemeldet werden, ob hier möglicherweise ein bedenklich regelfreies Verfahren munitioniert wurde, um die wissenschaftliche, berufliche und soziale Existenz einer Professorin zu ruinieren, handelt es sich zweifelsohne um ein öffentliches Thema. Wenn, wie Sie schreiben, hinter „prägnanten Schlagwörtern“ wie „Machtmissbrauch“ tatsächlich allenfalls „vage Behauptungen“ stehen sollten, dann geht dies die gesamte FSU an. Falls da Regeln unabhängiger Meinungs- und Urteilsbildung nicht eingehalten wurden, rührt dies an Grundlagen wissenschaftlicher Redlichkeit und an das Selbstverständnis einer Universität. Obwohl sich auch der Akrützel-Beitrag nicht freimachen konnte von der affektgeladenen und vernebelnden Behauptungs- und Beschuldigungsspirale in dieser Angelegenheit, verdient die journalistische Thematisierung des Konflikts Respekt.Seit dem 20. Dezember 2023 wird die Professur für Neuere Geschichte nicht mehr von Carola Dietze vertreten, da ihr bis dato befristetes nicht in ein entfristets Arbeitsverhältnis überführt wurde. Wäre die Kollegin im Übrigen nicht Ende 2017, sondern ein paar Monate später dem Ruf nach Jena gefolgt, dann hätte sie sich diesem Procedere erst gar nicht aussetzen müssen. Wenige Monate nach ihrer Berufung gehörte die Praxis dieser Befristungen der Vergangenheit an. Zuvor handelte es sich im Fakultätsrat all die Jahre um Routineangelegenheiten, bei denen niemals irgend jemand auf die Idee gekommen wäre, eine anstehende Entfristung zu verhindern. Insofern handelt es sich um einen einmaligen Fall in der Geschichte der Philosophischen Fakultät, eine absolute Ausnahmesituation.In Ihrem Beitrag schreiben Sie, das Historische Institut habe im Juni 2023 „entschieden, den Vertrag nicht zu verlängern“. Allerdings: So etwas kann ein Institut gar nicht entscheiden. Nach § 86 des Thüringer Hochschulgesetzes sollte ein Institut bei der Entfristung eines Beamtenverhältnisses auf Zeit eigentlich auch nicht allzu viel zu melden haben. Und das ist gut so, da bei der Nähe und damit verbundenen Befangenheiten in einem Institut sonst leicht die Möglichkeit genutzt werden könnte, entstehende Macht zu missbrauchen und über ein solches Verfahren persönliche Konflikte auszutragen. Gefragt und zuständig ist laut Hochschulgesetz der Fakultätsrat als Selbstverwaltungsgremium, der üblicherweise beim Präsidium die Anträge auf Entfristung befristeter Kollegen stellt. Vorgeschrieben ist hierfür lediglich „eine gutachterliche Stellungnahme zur fachlichen, pädagogischen und persönlichen Eignung des betroffenen Professors“. Stellungnahmen zur Eignung Carola Dietzes lagen vergangenen Sommer denn auch reichlich vor. Die eingeholten unabhängigen Außengutachten empfahlen dem Vernehmen nach Kollegin Dietze als international anerkannte und renommierte Wissenschaftlerin zweifelsfrei und nachdrücklich zur Entfristung. Andere Stellungnahmen aus dem Umfeld der Professur für Neuere Geschichte zeichneten das Bild einer fürsorglichen Vorgesetzten, einer produktiven Arbeitsatmosphäre in ihrem Umfeld und sie würdigten das große Engagement Frau Dietzes für alle Mitarbeitenden.Ein auffallend markantes Gegenbild hierzu lieferte jedoch die gutachterliche Stellungnahme des Direktors des Historischen Instituts, die im Juni 2023 im dortigen Institutsrat die Diskussionen um die Entfristung eröffnete. Dieses Gutachten prägte im Weiteren auch die Debatten im Fakultätsrat, der sich Anfang Juli der komplizierten Problemlage anzunehmen hatte. Krass in Kontrast zu den atmosphärischen Schilderungen aktueller Mitarbeiterinnen sei hier die Rede von „toxischen Arbeitsverhältnissen“ gewesen. Mit Verlaub: Für Giftiges erscheint gemeinhin die Toxikologie zuständig oder es mögen Schadstoffbeauftragte gefragt sein, aber kaum der Rat der Philosophischen Fakultät. Dennoch entfaltete offenbar schon dieser Begriff eine Art toxischer Wirkmacht, ungeachtet der Tradition von Ausgrenzungspraktiken, in der solche Sprachbilder und Metaphern stehen. Das ist beim Gebrauch derartiger Giftmetaphorik einfach so: Man verbindet den Begriff mit einer Trägerin und schon sind schwer kontrollierbare Ängste vor zersetzenden Kräften ausgelöst…Gleichwie, der Fakultätsrat sah sich durch diese Stellungnahme mit einer Lawine aus Behauptungen, Aussagen und Beschuldigungen konfrontiert, deren Wahrheitsgehalt schwer überprüfbar erscheint. Womöglich gar nicht. Zu nahezu jeder Erzählung konnte man eine Gegenerzählung hören. Was war belegt und entsprach überhaupt den Tatsachen? Was stammte aus zweiter Hand? Ging es um aktuelle Vorfälle oder um längst befriedete, womöglich widerlegte Konflikte aus der Vergangenheit? Mit welchen Gewährspersonen wurde gesprochen? Oder besser umgekehrt: Mit wem warum eigentlich nicht? Welche Ereignisse erfuhren Thematisierung, welche nicht? Was waren gesicherte Aussagen, was Meinungen, Kolportagen, Behauptungen oder Anschuldigungen? Wenn in einer solch existenziellen Situation schwere Geschütze aufgefahren werden, dann müssen das methodische Vorgehen und die empirische Fundierung der Erkenntnisgewinnung lupenrein und glasklar nachvollziehbar sein. Jedenfalls: Die Herausforderung, durch Verifizierung oder Falsifizierung die in Ihrem Beitrag geschilderten Anschuldigungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, übersteigt nicht nur aufgrund der Undurchschaubarkeit der erhobenen Vorwürfe die Möglichkeiten eines Fakultätsrats in jeder Hinsicht. Ein solches Gremium kann unmöglich aus dem ausgebreiteten Wust aus Behauptungen und Gegenbehauptungen verifizieren, was nun tatsächlich wahr oder falsch ist. Hatte das Historische Institut mit diesem Vorgehen seine internen Konflikte an einen nun heillos überforderten Fakultätsrat weitergereicht? Später sollte das Verwaltungsgericht Gera insistieren, dass es sich bei dieser Stellungnahme des Historischen Instituts lediglich um eine von vielen handele, die in die Entscheidung einbezogen werden könne. Und es sah sich zu dem Fingerzeig gezwungen, dass der Fakultätsrat keinesfalls an das Votum des Historischen Instituts gebunden sei, sondern unabhängig und eigenverantwortlich zu entscheiden habe.Eine hoffnungslos verfahrene Situation. Was muss jedes einzelne Mitglied des Fakultätsrats eigentlich alles verlässlich, absolut verlässlich wissen, um guten Gewissens Entscheidungen solcher Tragweite treffen zu können? Wie viel gesichertes Wissen ist denn nötig, um daraus einen schwerwiegenden Vorwurf wie „Machtmissbrauch“ ableiten zu können? Sie schreiben: „Das findet sich im gesamten Entfristungsverfahren immer wieder. Es werden gravierende Vorwürfe in den Raum gestellt: Mobbing, Machtmissbrauch, Plagiat. Schaut man aber genauer hin, sind sie nicht belegbar.“ Fehlt es an einer tragfähigen Wissensgrundlage, würde man sich umgekehrt dem Verdacht aussetzen, selbst Machtmissbrauch zu betreiben. Was ist zu tun, wenn zu jeder Erzählung eine Gegenerzählung existiert und keine zweifelsfreie Klarheit besteht? Im Zweifel für die Angeklagte? Ein probater Grundsatz. Oder vielleicht mal mit der Hauptbetroffenen sprechen, über die viel gesagt werden durfte, aber selbst nicht direkt zu Wort kam?Sie weisen in Ihrem Artikel darauf hin, dass die erste Abstimmung im Fakultätsrat im Sommer „äußerst knapp“ ausgegangen sei. Tragisch knapp. Thüringer Verwaltungsgerichte wiesen im Folgenden den Fakultätsrat an, weitere Abstimmungen durchzuführen, in denen sich jedoch keine Mehrheit für die Entfristung fand. Stattdessen wurde Kollegin Dietze kurz vor Weihnachten vom Präsidium darauf hingewiesen, sie müsse sich nun um eine neue Arbeitsstelle bemühen… Im Rückblick betrachtet präsentiert sich der Konflikt als eine Geschichte, in der es nach meiner Auffassung leider nicht gelungen ist, Bedingungen zu schaffen, die ein faires Verfahren auf der Grundlage kontrollierbarer Regeln der Urteilsbildung gewährleisten konnten. Stattdessen handelte es sich um eine Zerreißprobe, die beträchtliche Schäden angerichtet hat. Für die Hauptbetroffene immense; diejenigen für Fakultät und Universität bleiben abzuwarten. Vieles gibt da im Nachhinein zu denken: Warum gelang es nicht, die Bearbeitung des Konflikts auf eine sachliche Ebene zu verlagern? Warum wurden in diesem von Anfang an problematischen Sonderfall eigentlich keine anderen Wege der Urteilsfindung bestritten? Solche wären durchaus gangbar gewesen – etwa in Form einer unabhängigen Kommission. Diese hätte unter weniger Zeitdruck die erhobenen Vorwürfe verlässlicher überprüfen können. Vieles wäre möglich gewesen, um näher an Wahrheiten zu belangen. Was hätte der Rat der Fakultät eigentlich verloren, wenn er der Hauptbetroffenen die Möglichkeit zur Anhörung gegeben hätte? Warum wurde von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht? Der Fakultätsrat hätte an Souveränität nicht verlieren, sondern nur gewinnen können. Am Ende müssen sich alle Beteiligten die Frage stellen, ob sie tatsächlich alles dafür getan haben, diese Geschichte möglichst zweifelsfrei aufzuhellen.

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