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Die unpolitischste Uni der Welt

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Die im Juni beschlossenen Sparpläne, die starke Kürzungen in Bildung und Forschung vorsehen, sind an der FSU bisher nicht auf breiten Widerstand gestoßen. Woran liegt das?
von Alexander Schmidt

Zeichnung: Jakob Grathwohl

Was sich an der Uni Erfurt im Zuge massiver Sparmaßnahmen im Sommer 2022 ereignete, lässt sich aus mehreren Gründen besser erzählen als die derzeitige Situation an der FSU: Die fatale Anschaulichkeit der finanziellen Lage trifft auf kollektiven Widerstand der Betroffenen. Die Angehörigen der FSU scheinen hingegen Winterschlaf zu halten.
Gegenüber von bröckelnden Fassaden und einem einsturzgefährdeten Audimax ragt ein 20 Millionen teurer Neubau auf dem Erfurter Uni Campus empor – eine hochmoderne Forschungseinrichtung, in der nur geforscht, nicht gelehrt wird. Hier setzt sich die Diskrepanz zwischen Bedürfnissen der Studierenden und der Selbststilisierung der Universitätsleitung wie von selbst in Szene. Während rigorose Sparmaßnahmen den Lehr- und Lernbetrieb stark behindern, tritt die Universität als Bauherrin eines kostenintensiven Projektes auf, von dem sie 8,4 Millionen Eigenanteil trägt.
Eine Einrichtung wie der Erfurter Forschungsbau kann sichtbar und einfach ein Problem vermitteln, das sich sonst hinter undurchsichtigen Haushaltsposten der Universitäten verbirgt. Zumindest für den Sommer 2022 gelang Erfurt der Transfer einer komplexen Gemengelage in ein Narrativ, das eine politische Mobilisierung des Campus ermöglichte: „Forschungsbau heißt Bildungsklau!“

Lässt sich das an der FSU nicht nachmachen?

Hinter dem Widerstand an der Uni-Erfurt steht eine studentische Initiative, die sich „AG Protest“ nennt. Sie wollen stören, auf ein Problem aufmerksam machen, welches das Präsidium gerne allzu diskret behandelt und das doch die Zukunft von Bildung und Forschung betrifft. Sie stellen hierzu klare Forderungen an die Universitätsleitung: Transparenz, Aufklärung, Diskurs. Sie organisieren unter anderem Informationsveranstaltungen, eine Demo auf dem Campus und eine Besetzung der Hochschulbibliothek und ernten dafür die Aufmerksamkeit des Landtags und des öffentlichen Rundfunks.
Zum Gelingen dieser Initiative trugen maßgeblich solide Kommunikationswege zwischen Studierenden und dem Mittelbau der Universität, Austausch unter den Fakultäten sowie ein guter Zusammenhalt zwischen Stura und Studierendenschaft bei. Beispielsweise wurde die AG Protest durchweg vom Stura unterstützt, zwischen Studierenden und Mittelbau herrschte Arbeitsteilung bezüglich Informationsbeschaffung und Durchführung von Protestaktionen. Bei der funktionierenden Vernetzung von Statusgruppen und einflussreichen Positionen an der FSU scheint es im Zusammenhang der Sparmaßnahmen zu haken. Woran liegt das?

Repressive Strategien des Präsidiums

An vielen Punkten eröffnet sich der Verdacht, das Präsidium der FSU verfolge bei der Einleitung der Sparmaßnahmen eine repressive Strategie, die kritische Interventionen von vornherein zu zerstreuen versucht. Ein ausschlaggebendes Motiv der Unileitung ist die Angst vor der Öffentlichkeit: Eine Universität, in der die Gelder für Qualifikation und Forschung fehlen, ist schließlich wenig attraktiv.
Bereits die Auswahl des Zeitpunktes, über die prekäre finanzielle Situation der Universität zu informieren, lässt eine solche Strategie der Zerstreuung vermuten: Anfang Juni 2023 befinden sich Studierende im Prüfungsstress, die Semesterferien stehen vor der Tür – das bekannte „Jenaner Sommerloch“, Treibsand für politische Mobilisierungsversuche. Dabei wären finanzielle Engpässe viel früher absehbar gewesen: wachsende Energie- und Mietpreise, laufende Baukosten, steigende Tariflöhne. Dass durch die globale Minderausgabe des Landes Thüringen weniger Geld die Hochschulen erreiche, kristalisierte sich seit Anfang März 2022 heraus. Die späte Herausgabe der Haushaltssituation hat zumindest den Erfolg von Rosenthals Kandidatur zum HKW-Präsidenten nicht beeinträchtigt.
Weiterhin ließe sich in dem Vorgehen der Unileitung, die Auswahl zu kürzender Stellen an die Institute abzugeben, vorsätzliches repressives Verhalten erkennen. Wie ein kreisender Greifvogel droht das Präsidium damit, selbst Streichungen vorzunehmen, sollten keine Vorschläge eingereicht werden. Die Erzeugung von Entscheidungsdruck bewirkt in den Instituten Konflikte und Verteilungskämpfe und schaltet damit Möglichkeiten der Solidarisierung, einer kollektiven Problematisierung der Sparmaßnahmen, von vornherein aus. Zudem wird eine Dynamik der Konkurrenz zwischen den Instituten und Fakultäten angestoßen, die zu einer eigentümlichen Umwendung von Solidaritätsvorstellungen führt: Das Institut für Soziologie etwa, welches Vorschläge über zu streichende Stellen bisher zurückhielt, wurde vom Fakultätsrat beschuldigt, sich unsolidarisch zu verhalten.

Betroffene bleiben im Dunkeln

Die Anmeldung einer gewerkschaftlich organisierten Kundgebung auf dem Campus wurde laut ver.di „ohne sachliche Begründung“ durch die Uni-Leitung Mitte Juni abgelehnt.
Zumindest bei einigen scheint das Verhalten der Unileitung auf Unmut und Skepsis gestoßen zu sein. So schlossen sich im Juni 2023 einige Vertreter aus dem Mittelbau der Universität mit Studierenden zum Bündnis FSU Unterfinanziert zusammen. Teilnehmer beider Seiten ließen sich an zwei Händen abzählen. Das Bündnis forderte in einem offenen Brief das Präsidium dazu auf, die Kürzung von 100 Vollzeitstellen zurückzunehmen. Das Präsidium reagierte mit dem Vorwurf, der Brief enthalte Falschinformationen. Im November folgte ein zweiter Anlauf, angestoßen von studentischen Initiator:innen, der sich aber auch im Sand verläuft: Beteiligte fühlen sich von der Situation wenig betroffen, ihnen würden Kapazitäten fehlen.
Laut Initiatoren und Beteiligten sei die Intransparenz des Präsidiums und der fehlende Wille, Angehörige der Uni aufzuklären, ein wesentlicher Faktor, der die kritische Auseinandersetzung mit den Sparplänen verhindere. Um Betroffene zu mobilisieren, bedürfe es drastischer Darstellungen des Problems, für welche die abstrakte Informationslage nicht ausreiche.
Eben die Stellenstreichungen im Lehr- und Forschungsbereich sind ein möglicher Angriffspunkt für Verdeutlichung und der Entfaltung politisierender Affekte: Man könnte konkret machen, welche Lehrstühle und Mitarbeitendenstellen bedroht sind.
Das Präsidium jedoch verweigert sich der Nachfrage des Bündnisses FSU Unterfinanziert, Informationen über die fälligen Stellenkürzungen rauszurücken und schiebt dabei den Grund vor, es handle sich um sensible personenbezogene Daten. Dass diese Argumentation nicht stichhaltig ist, ergibt sich schon daraus, dass die Stellen erst ab dem Ablauf befristeter Verträge auslaufen.
Ein riesiger blinder Fleck: Der Haushaltsplan der FSU. In ihm wird sichtbar, dass Ausgaben für Verwaltungsstellen an der Universität weiter anwachsen, während in Lehre und Forschung gespart wird. Viele der in der Verwaltung anwachsenden Stellen entsprechen Maßgaben des Landes bzw. externen Erfordernissen. Das Präsidium aber gab bereits zu, dass auch neben diesen Erfordernissen weitere Stellen hinzugekommen sind – auf vermehrte Nachfragen in Senatssitzungen, hier konkreter zu werden, ist bisher nicht eingegangen worden. Das wäre ein Punkt, an dem nachgehakt werden könnte und der die „Alternativlosigkeit“ der Sparmaßnahmen in Frage stellt.
Der Umgang des Präsidiums mit der finanziellen Lage lässt sich in das Bild der Unternehmensuniversität einordnen: Das Bedürfnis nach akademischer Selbstbestimmung findet Ausdruck in der Verwaltung der eigenen Finanzen. Damit geht auch die Übernahme der Bauherrschaft für kostenintensive Projekte einher. In diesem Rahmen wird ein bestimmter Typus unternehmerischen Handelns gefördert, nach dessen Kalkül Sparmaßnahmen jetzt kurzfristig getroffen werden. Stellschrauben, an denen kurzfristig gespart werden kann: Sachmittel und Arbeitsplätzein der Wissenschaft. Unter der finanziellen Drucksituation an der FSU wird deutlich, wie die Zukunft von Bildung und Forschung wird durch ein unternehmerisches Kalkül unterlaufen wird, das in diesem Moment aktiv und kritisch hinterfragt werden könnte.

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