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„Eine gute Verfassung“

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Jenaer Verfassungsrechtler Michael Brenner über ein AfD-Parteiverbot und die Gefahren von rechts.

Er brennt für die Thüringer Verfassung: Michael Brenner.
Foto: Line Urbanek

Herr Brenner, der „Verfassungsblog“ hat das sogenannte „Thüringen-Projekt“ initiiert, um Szenarien zu diskutieren, falls eine Partei wie die AfD an die Macht kommt. Sind wir auf mögliche Entwicklungen nach der Landtagswahl zu wenig vorbereitet?
Viele sind sich nicht im Klaren, was es rechtlich bedeuten würde, wenn die AfD mit einem erheblichen Anteil von 30 oder 35 Prozent der Mandate in den Landtag einziehen würde. Das ist eine Frage, mit der wir uns bisher nicht beschäftigt haben und zum Glück gar nicht beschäftigen mussten. Wir könnten unter bestimmten Umständen in Bedrängnis geraten.

Gibt es denn Schwachstellen in unserem System, um demokratische Strukturen zu beschädigen und irreversible Veränderungen zu bewirken?
Ich glaube ehrlich gesagt nicht. Das Grundgesetz und die Thüringer Verfassung sind gute Verfassungen, die Mittel besitzen, um sich wirksam gegen Verfassungsfeinde zur Wehr zu setzen. Die Waffen zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind da und müssen nur eingesetzt werden. Aber natürlich kann eine Verfassung immer nur so gut sein, wie die Bürger sie verteidigen. Wenn die Verfassung den Rückhalt in der Bevölkerung verliert, ist sie im Extremfall das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben steht. Wir brauchen hinter dem Grundgesetz stehende und dieses aktiv verteidigende Bürger, um sie gegen Verfassungsfeinde zu immunisieren.

Bereits ab einem Drittel der Sitze könnte die AfD demokratische Institutionen blockieren. Gäbe es rechtliche Möglichkeiten, dem vorab entgegenzuwirken?
Diese Gefährdungen bestehen durchaus. Als Vorsorge wäre es möglich, einige Gesetze zu ändern oder bestimmte Quoren bei Abstimmungen zu erhöhen. Die Frage ist aber, ob das nicht bei der Bevölkerung Reaktionen nach dem Motto „Jetzt erst recht AfD wählen“ hervorrufen würde. Das muss politisch abgewogen werden. Es würde mich mit großer Sorge erfüllen, wenn eine extremistische Partei eine solche Machtfülle im Parlament innehätte und die Verfassung nicht mehr ohne Zustimmung der AfD geändert werden könnte. Das parlamentarische Verfahren könnte gelähmt werden. Ein Drittel der volksgewählten Abgeordneten würden einer Partei angehören, die unser Grundgesetz zum Teil mit Füßen tritt.

Könnte ein potentieller Ministerpräsident Höcke das demokratische System aushebeln?
Die Gefahr sehe ich nicht wirklich. Wir haben Mechanismen, die verhindern, dass sich Herr Höcke zu einem kleinen Diktator aufschwingen könnte. Wenn jedoch eine rein von der AfD dominierte Regierung entstünde, hätte diese erhebliche Handlungsmöglichkeiten. Ein Ministerpräsident Höcke könnte den Justizminister ernennen, der dann AfD-freundliche Gesinnungsgenossen zu Richtern ernennen könnte. Es wäre auch für die Außenwirkung des Freistaats und den Wissenschaftsstandort Thüringen ganz schlecht. Falls die Gefahr bestünde, dass Höcke im dritten Wahlgang zum Ministerpräsidenten gewählt wird, wäre es aber vorstellbar, dass sich die anderen Parteien auf einen Fachmann als gemeinsamen Gegenkandidaten verständigen, wie den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs. Wir haben auch immer noch Verfassungsgerichte, um ein verfassungswidriges Verhalten einer AfD-Regierung in die Schranken zu weisen.

Derzeit werden verschiedene Instrumente diskutiert, um gegen die AfD vorzugehen. Welche Chancen und Risiken wären aus Ihrer Sicht mit einem Verbotsverfahren verbunden?
Ich wäre eher zurückhaltend. Das erste Risiko ist, dass der Antragsteller mit den vorgebrachten Beweisen genau darlegen muss, dass die Partei verfassungswidrig ist. Die AfD hat ein Geschick darin, manchmal am Rande der Verfassung zu argumentieren, ohne eindeutig in die Sphäre der Verfassungswidrigkeit hinüberzudriften. Der zweite Punkt ist die Dauer des Verfahrens. Wenn der Antrag jetzt gestellt werden würde, hätten wir vielleicht im Jahr 2027 oder 2028 eine Entscheidung. Ihre Wähler lösen sich auch nicht in Luft auf. Ich weiß natürlich, dass eine Ersatzorganisation nicht gegründet werden darf. Aber ihre Wähler werden sich eine andere politische Heimat suchen, möglicherweise in der Vereinigung von Herrn Maaßen.

Wenn wir auf die lange Verfahrensdauer abstellen, wäre ein Antrag ja nie zu empfehlen. Zudem scheiterte ein NPD-Verbot wegen des fehlenden Potentials, ihre Ziele in die Tat umzusetzen. Entweder ist eine Partei dann zu bedeutsam oder zu unbedeutsam, um sie zu verbieten. Welchen Sinn hat das Verbotsverfahren dann überhaupt?
Die Totschlagskeule des Parteiverbots ist vielleicht als Drohmedium geeignet. Meine Empfehlung wäre eher, die Ideen der AfD politisch zu bekämpfen. Ich würde mir auch gar keine Prognose zutrauen, ob ein Verbotsverfahren in Karlsruhe tatsächlich Erfolg hätte. Das Verfahren kann auch verloren gehen. Was wäre dann die Folge?

Höcke fordert in seinem Buch eine ethnische Volksgemeinschaft und eine „Politik der wohltemperierten Grausamkeit“. Reicht das nicht für ein Parteiverbot?
Aber es wird ja die gesamte Partei verboten. Zwar bewegt sich Herr Höcke in diesen verfassungswidrigen Gewässern, aber er ist „nur“ der Fraktionsvorsitzende einer bislang eher kleinen Fraktion im Thüringer Landtag in einem relativ kleinen Bundesland. Ob das für den Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit gegenüber der Gesamtpartei ausreicht, würde ich zumindest mit einem Fragezeichen versehen.

Das Bundesverfassungsgericht sieht die Missachtung der Rechte von Ausländern und Migranten als Paradebeispiel für einen Verstoß gegen die Menschenwürde an. Sehen Sie das nicht auch bei der gesamten AfD gegeben?
Das ist die Frage. Das Gericht muss eine sehr, sehr vertiefte Untersuchung vornehmen. Im letzten NPD-Verbotsverfahren hat das Bundesverfassungsgericht die Regierung nochmals aufgefordert, mit entsprechenden Beweisen für die Verfassungswidrigkeit der NPD nachzulegen. Da wurde deutlich, dass sich nicht anhand einzelner Zitate der Schluss der Verfassungsfeindlichkeit rechtfertigen lässt. Vor Schnellschüssen würde ich warnen.

Eine Vorfeldorganisation wie die JA (Junge Alternative) ist nicht als Partei, sondern als Verein organisiert. Wäre ein Verbot in diesem Fall einfacher?
Es ist sicherlich schneller und leichter, ein solches Vereinsverbot durchzusetzen,als ein Parteiverbot. Aber auch dagegen kann geklagt werden. Es wäre auch nur eine halbherzige Lösung. Wenn ich als Antragsteller der Auffassung wäre, dass die Partei verfassungswidrig ist, würde ich gegen die Partei vorgehen und nicht gegen die Jugendorganisation.

Was auch diskutiert wird, ist eine Grundrechtsverwirkung wichtiger Funktionsträger der AfD. Was kann man sich darunter praktisch vorstellen?
Das Grundgesetz nennt einzelne Grundrechte, die für verwirkt erklärt werden können. Es ist aber unklar, was das konkret bedeutet. Das Verfassungsgericht müsste das Ausmaß erst präzisieren. Möglich wäre auch, das aktive und passive Wahlrecht zu entziehen. Meistens wäre es für Verfassungsfeinde aber schmerzhafter, wenn stattdessen die Register des strafrechtlichen Staatsschutzes gezogen werden und sie zum Beispiel wegen Volksverhetzung ins Gefängnis müssen.

Wäre ein Verwirkungsverfahren gegen Höcke einem Parteiverbot vorzuziehen?
Bisher gab es vier dieser Verfahren, die alle erfolglos waren. Wenn ich mich entscheiden müsste, wäre aber das Verwirkungsverfahren gegen Höcke vielleicht erfolgversprechender. Es ginge wahrscheinlich auch etwas schneller, da nur das verfassungsfeindliche Agieren einer Person nachgewiesen werden muss. Aber auch das ließe sich nicht innerhalb weniger Monate feststellen. Auch hier plädiere ich für Zurückhaltung.

Wie blicken Sie persönlich auf die nächsten Monate, sind Sie weiterhin optimistisch?
Ich bin optimistisch, ja. Die Thüringer Verfassung ist eine gute Verfassung, die durchaus Zähne zeigen kann. Ich bin auch zuversichtlich, dass sich die Thüringer Wählerinnen und Wähler in der Wahlkabine am Ende doch überwiegend für Parteien entscheiden werden, die auf dem Fundament des Grundgesetzes stehen.

Das Gespräch führt Moritz Weiß.

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