Das Urteil des Jenaer Gerichts bleibt verkennt die Ziele der Nazivereinigung Knockout 51.
Ein Kommentar von Gustav Suliak
Schon als Anfang April für drei von vier Angeklagten die Untersuchungshaft ausgesetzt wurde, deutete sich an, dass die rechtsextreme Kampfsportgruppe Knockout 51 alles andere als die volle Härte des Rechtsstaates erfahren würde. Das Urteil vom Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts in Jena kam also nicht überraschend, war aber im Ton eindrucksvoll fahrlässig, wenn nicht sogar naiv.
Jetzt darf man natürlich einwenden, dass die volle Härte des Rechtsstaates nichts Wünschenswertes ist. Verfahren sollen schließlich nicht hart sein, sondern sich an ihrem juristischen Gegenstand orientieren und diesen fair und unabhängig beurteilen. Bei seinem Urteil ließ sich das OLG in Jena nicht von der Einschätzung des Bundesgerichtshofs beirren, ganz nach dem Motto: Wie ungefährlich unsere Nazis sind, das wissen wir hierzulande schon am allerbesten.
Was den Senat des OLG antrieb, war, so mutmaßt man, die besondere Form von Nüchternheit, die dazu veranlagt, in der Urteilsbegründung einen Vergleich zwischen der Letzten Generation und den militanten Neonazis anzuführen, wenn letztere des Terrorismus bezichtigt werden. Terror, Fragezeichen. Bloß nicht, Ausrufezeichen. Schließlich würde heutzutage nur so mit dem Kampfbegriff herumgeworfen werden, lautet der implizite Vorwurf an die Öffentlichkeit im abstrakten und Generalbundesanwaltschaft im konkreten. Folgenreich sei das für die Opfer von tatsächlichem Terrorismus, die man damit verunglimpfen würde. Denn, wo sind denn die Toten, wenn die Tötungsabsicht da war? So weit, so zynisch. Trotz aller Bemühungen nicht ein weiterer Prozess zu sein, der politisch vereinnahmt werden könnte, statuierte der Senat um den vorsitzenden Richter Giebel ein Exempel, dessen Auswirkungen politischer nicht sein könnten: Wenn Neonazis mit Schusswaffen hantieren, dann kann das auch Notwehr sein.
Die vier Verurteilten sind vorerst auf freiem Fuß und man muss sich keine Illusionen machen: Gefängnisse sind keine Erziehungsanstalten und Eisenach ist kein hartes Pflaster für Neonazis. Ringl und sein Kader kommen zurück in eine Stadt, die auch ohne sie eine rege rechtsextreme Kultur pflegt. Der jahrelange Aufbau von Neonazistrukturen trägt unschöne Früchte: die nächste Generation von Lokalfaschos organisiert sich längst und aktive Antifaschistinnen umgehen die als ‚Nazikiez‘ auserkorene Weststadt immer noch, wenn sie es denn können.
Die Stadt Eisenach ist rechtsextreme Hochburg und Leidtragende dieses unrühmlichen Titels zugleich. Dass die ehemalige Bürgermeisterin Katja Wolf in aller Öffentlichkeit die Neonaziaktivitäten in ihrer Stadt kleinredete, ist zwar verwerflich, aber auch nur eine Folge des Imageschadens. Während Medien, unsere Zeitung nicht ausgenommen, um das Rätsel des rechtsextremen Brennpunktes Kreise ziehen, erleben Menschen vor Ort die Gewalt nicht als Skandal, sondern als alltäglich.
Ein Geschädigter aus Eisenach berichtet davon, dass er die Gefahr, die von KO51 und ihrer Schlägertruppe ausgeht, gerade deshalb häufig ausblendet. Anders wird ein Alltag auch kaum zu bestreiten sein. Warum aber der vorsitzende Richter und sein Staatsschutzsenat fest davon ausgehen, dass die vier Verurteilten trotz ihrer schweren Bewaffnung, sei es eine selbstgebaute Schusswaffe oder eine Machete, niemals die Absicht hatten Menschen zu töten, bleibt eines dieser Rätsel, das man eher als Missverständnis auffassen kann. Denn die Eisenacher Neonazis waren zum Zeitpunkt der Festnahme sicherlich nicht die klassische Terrorzelle, die der Richter Giebel als Schablone anlegte. Man muss aber kein Rechtsextremismusforscher sein, um nachvollziehen zu können, dass sie das auch gar nicht nötig hatten. Es ging ihnen nicht darum den Willen zur „Vernichtung“ politischer Gegner, der ihrer Ideologie zweifelsohne innewohnt, freien Lauf zu lassen. Ob es freundlich gesinnte Polizisten waren oder mehrere rechte Szeneimmobilien: KO51 hatte ohne ihre nationalsozialistische Gesinnung verbergen zu müssen, genug Spielraum in der Eisenacher Weststadt fast nach Belieben zu handeln. Oder wie ein weiterer Geschädigter in einer Verhörung sagte: „Die haben das Sagen hier“. Sie hatten scheinbar lange genug strategisches Kalkül, sich diesen Raum nicht mit tödlichen Gewaltexzessen, andere waren schließlich im Flieder Volkshaus eintrainiert, zu verspielen. Dass der Staatsschutzsenat in der stetigen Bewaffnung nicht etwa die Nutzung tödlicherer Mittel zur Durchsetzung ihrer rechten Machtfantasien, sondern eine Abschreckungsstrategie vor linken Angriffen sah, kann einen nach über 50 Prozesstagen nur fassungslos zurücklassen. Wer sich also in Abschreckung üben möchte, darf gerne in Tschechien das Schießen lernen. Staaten tun es den KO51-Mitgliedern schließlich gleich, so Giebels Logikversuch. Die Bundesgeneralanwaltschaft geht in Revision, aber bis das Urteil im Bundesgerichtshof gesprochen wurde, sind die vier Rechtsextremen fußfrei unterwegs und der Freistaat bleibt, so Richter Giebel es will, terrorfrei.