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Dating im Dunkeln

Der FSR Wirtschaftswissenschaften veranstaltet ein analoges Tinder in den Seminarräumen der Uni. Lässt sich hier die große Liebe finden? Wir haben es ausprobiert.

von Stephan Lock

Ist das schon Liebe? Foto: Lukas Hillmann

Was macht ein Student, wenn der Tag sich langsam dem Ende neigt, die Sonne scheint und das Wetter geradezu zum Rausgehen auffordert? Er würde sich gewiss nicht im Unigebäude aufhalten – im Gegensatz zu unserem Protagonisten, einem jungen Romantiker, den allerdings ein entlastender Umstand, oder genauer gesagt eine Mail, herleitete, aus der er wusste, dass seine Bewerbung für die FSU Dates erfolgreich gewesen war.

Die FSU Dates sind ein vom Fachschaftsrat Wirtschaftswissenschaften (FSR Wiwi) organisiertes Blind-Speed-Dating. Nach dem Ausfüllen eines Bewerbungsformulars bekommt man mit etwas Glück eine Zahl zugewiesen, die bei der Vorstellung in mehreren kurzen Gesprächen als Visitenkarte dient.

Nebenbei notiert man die Nummern derjenigen, die man sympathisch findet. Das Besondere dabei: Alles passiert in völliger Dunkelheit. Kommt es dann bei der Auswertung zu einer Überschneidung – einem Match – wird in einem separaten Raum ein Date organisiert.

Vor dem Seminarraum

Nachdem unser Protagonist um die Ecke des x-ten Korridors gebogen war, entfachte sich schließlich dem Blick des irrenden und doch strebenden Romantikers eine größere Gruppe von anderen männlichen Teilnehmern, deren übermäßige Pünktlichkeit darauf hindeutete, wie wichtig manchen diese Veranstaltung sein musste.

Jeder bekam ein Blatt Papier, welches er für die nächste Zeit wie ein magisches Artefakt mit sich herumtragen würde, das symbolisch als die einzige Verbindung zwischen ihm und seinem Match fungieren sollte und zugleich auf natürliche Weise einen wichtigen praktischen Zweck erfüllte. Der leuchtende Klebestreifen auf dem Papier war die einzige Lichtquelle im dunklen Raum.

Kurz bevor die Jungs ins Zimmer gelassen wurden, sprach der FSR in etwas ungewöhnlicher Weise seine Erfolgswünsche an die Teilnehmer aus, indem erwähnt wurde, dass sich im Raum zwischen den Frauen auch zwei Männer befänden, denn FSU Dates diene ebenfalls dem Zweck Freundschaften zu schließen. Wozu eine Ansprache dieser Art seitens des FSR notwendig war, blieb ungeklärt.

Gespräche in blinder Neugier

Hastig nach dem Rücken des Vordermanns fassend um die Gruppe nicht zu verlieren, folgte unser Romantiker den Glück Suchenden tapfer in die finstere Stille des Seminarraums, wie in die Höhle eines Drachens. Die Anwesenheit der Studentinnen an mehreren Tischreihen ließ sich nur durch das schaurig trübe Klebestreifenlicht der Notizzettel vermuten. Nachdem er, über mehrere Teilnehmer fast gestolpert, endlich zu einem freien Sitzplatz fand, begannen die Gespräche.

Abgesehen davon, dass im Raum viele Wiwis saßen, waren die Menschen sehr unterschiedlich. Genau wie die unglaublich tiefgründigen Gespräche zwischen jenen, die gerade mal die Silhouette des Gegenübers erkennen konnten. Mal wurden Hobbys zum Thema, mal biographische Details wie die Studienwahl und manchmal sogar philosophische Fragen, wie aus dem Kapitel über interessante Gesprächsführung eines Dating Ratgebers.

Im Laufe der Zeit wurde recht schnell deutlich, wer auf der Suche nach Beziehungen war und wer bloß nach einem Kumpel zum Saufen suchte. Es lief wie am Fließband. Alle sechs Minuten musste das Gespräch abrupt stoppen, sodass eine Farce begann, bei der man bemüht war, seinen Gedanken zu Ende zu führen, einen sinnvollen Abschiedsgruß zu formulieren, noch einmal nach der Nummer des Gegenübers zu fragen und möglichst unversehrt zum nächsten Stuhl zu finden, während der folgende Teilnehmer schon darauf wartete den Platz einzunehmen. Als das letzte Gespräch ein Ende fand, sammelten sich alle männlichen Teilnehmer am Ausgang und verließen die Höhle der Kennenlern-Rituale.

Noch immer geblendet an die Wand gelehnt mit einer Flasche unterm Ärmel, musste nun jeder seine Präferenzen auf dem krumm und quer beschriebenen Blatt notieren und zur Auswertung übergeben.

Die Auswertung

Nach fast einer ganzen Stunde des Wartens war das Untergeschoss ausführlich erkundet, jegliche Flyer durchgeblättert und der Protagonist, der kurz ins Gespräch mit einem anderen Teilnehmer gekommen war, hatte schon vor, zu gehen, als ihn endlich die ersehnte Nachricht erreichte. Überpünktlich wie er war, begab er sich in den letzten Minuten vor dem angekündigten Date entlang der labyrinthartigen Korridore auf die Suche nach dem richtigen Raum.

Nach mehrmaligem Verirren und nur mithilfe eines Raumplans fand er schließlich mit Verspätung zum Treffpunkt wo schon diejenige, mit der sich – dem Zufall oder der Zahl geschuldet – ein „Match“ ergeben hatte, vor dem Eingang des Seminarraums wartete.

Im Raum war es etwas heller als bei den blinden Dates. Ein kleiner Tisch in der Mitte war auf klassisch studentische Weise geschmückt – mit einer hohen Blumenvase aus Glas, in der eine kleine Kerze flackerte, und mit vier Bierdosen vom FSR.

Das Date

Die innere Ruhe, die sich über zwei Stunden relativ stabil hielt, begann schon ab dem gegenseitigen Vorstellen unaufhaltsam nachzulassen, was in dem immer wieder stockenden Gespräch deutlich wurde. Immer wieder wandte sich sein Blick zur Seite auf der Suche nach sinnvollen Antworten und Fragen, während die Unterhaltung der jungen Frau, welche ihn interessiert musterte, offenbar nichts ausmachte.

Doch das Wenige, was sich zäh und langsam aus dem Gespräch herausbildete, wurde recht bald von Lärm seitens des Korridors, in dem die Reinigungskraft ihr Tagwerk begann, übertönt und hätte das Date fast zu einem Wettkampf im Hören verwandelt.

Letztendlich fanden die dreißig Minuten relativ schnell ihr Ende in der Ungewissheit der beiden darüber, wie lange sie sich wohl im Seminarraum aufhalten dürften.

Post Scriptum

Geschichten, die die Menge fesseln, werden von guten Erzählern oft mit einem Happy-End abgeschlossen. Die Charaktere heiraten, leben viele Jahre und sterben eines Tages in hohem Alter. Die Realität ist jedoch weitaus prosaischer.

Die beiden verließen das Unigelände und wanderten noch ein Stück. Nachdem sie ihre Kontaktdaten ausgetauscht hatten, wurde im Nachhinein nur ein Angebot zur Freundschaft daraus, welches jedoch mangels Kommunikation im Sand verlief.

Die FSU Dates sind ein gutes Beispiel dafür, dass Erfahrungen, losgelöst von der Absurdität der Umstände, von den Menschen abhängen und vom Zufall der deren Schicksale zusammenwürfelt.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Florian Rappen

    Es freut uns, dass ihr von unseren Dates so angetan seid. Gerne bieten wir euch eine kostenlose Campusführung an, damit ihr die regulären Seminarräume auch findet, ohne um Ecken biegen zu müssen, das geht.

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