Mittagspausenyoga statt Streik

Über Arbeit am laufenden Band, grenzenlose Selbstoptimierung und das Ungesunde am Studentischen Gesundheitsmanagement.

ein Kommentar von Bastian Rosenzweig

Geht so Gesundheit? Foto: Bastian Rosenzweig

Das Klischee vom beim Denken umherwandernden Philosophen hatte ich mir immer anders vorgestellt, aber gut, nun sitze ich hier in der Thulb und der Arbeitsplatz neben mir ist nicht mit einem Stuhl ausgestattet, sondern mit einem Laufband. Auf diesem Möbelzentauren namens Walkolution (Neupreis: 5.189€) tritt eine Person auf der Stelle und liest gleichzeitig einen Text, vielleicht über Sisyphos oder die ewige Wiederkunft des Gleichen, während wir anderen uns direkt ein bisschen schuldig fühlen, weil wir kostbare Spaziergehzeit dafür verschwenden, nur zu arbeiten und später vielleicht kostbare Arbeitszeit für einen Spaziergang draufgehen wird.

„Egal ob Arbeit oder Studium“, liest man auf der Uni-Webseite, „für Bewegung scheint kaum noch Platz zu sein. Doch das lässt sich jetzt ändern.“ – Genau: Wenn qua Prüfungsdruck, Ehrenamt oder dem unterbezahlten Nebenjob jede Minute Abwesenheit vom Arbeitsplatz eine vermisste Möglichkeit zur Veredelung des Lebenslaufs bedeutet, muss man sich den Spaziergang eben an den Schreibtisch holen.

Leistungsfähigkeit first

An sich sind die Walkolutions nicht mehr als eine harmlose Seltsamkeit. Allerdings sind sie auch ein Symbol für das, wofür das Studentische Gesundheitsmanagement (SGM) mit seinen Tipps und Kursen steht – und das ist nicht Gesundheit, sondern Selbstoptimierung. Die Gesundheit ist nur Mittel zum Zweck, was schon daran deutlich wird, dass von Gesundheitsmanagement die Rede ist. Man managet Zeit, man managet Ressourcen – man managet Mittel, um sie für einen vorgegebenen Zweck optimal einzusetzen. Der unhinterfragte Zweck ist Erfolg in Studium und Arbeitswelt. Das Mittel ist man selbst.

Umstände wie der teils extreme Leistungsdruck werden als naturgegeben hingenommen. Fehler werden einzig und allein beim Individuum gesucht, dem es wahlweise an Stresskompetenz, Optimismus oder einfach der richtigen Sicht auf die Dinge fehlt. Wer unglücklich ist, stellt sich einfach schlecht an und sollte sich ein Beispiel nehmen an den Zeichentrickfiguren auf dem Titelbild des SGM. Die sehen zwar alle ein bisschen dumm aus, sind dafür aber auch überglücklich.

Bewertungssache

Auch wenn Meditation und Yoga sicherlich nicht die Allheilmittel sind, zu denen sie gerne erhoben werden, lässt sich einigen der angebotenen Kurse sicherlich etwas abgewinnen. Die Texte dazu wirken teilweise jedoch regelrecht zynisch, eben weil Bologna-Reform und kapitalistische Arbeitswelt nicht als Problem, sondern allenfalls als Herausforderung angesehen werden – alles eine Sache der Bewertung. „Klar, fast niemand schafft deinen Studiengang in Regelstudienzeit und ohne Praktika, die du dir noch selber finanzieren musst, bekommst du später nur einen Scheißjob, aber hast du es schon mal damit versucht, einen kühlen Kopf zu bewahren?“, „Guck mal, irgendwo zwischen kultureller Aneignung und Religionspropaganda gibt es einen Kurs in Yoga-Philosophie. Wenn du daran glaubst, kommt dir der ganze weltliche Stress gleich nur noch halb so schlimm vor.“

Was wirklich krank macht

Die ständig mitschwingende Botschaft, dass du alles schaffen kannst, könnte als Ermutigung missverstanden werden, ist aber vor allem eine reine Notwendigkeit, wenn politische Änderungen unmöglich scheinen oder unerwünscht sind. Sie fällt eher in die Kategorien Selbstregierung und toxic positivity und trägt vermutlich stärker zu den Massen an ausgebrannten bis depressiven Studierenden bei als deren vermeintlicher Mangel an Achtsamkeit. Denn statt der überfordernden Erwartungen werden die überforderten Individuen zum Problem gemacht, und sich selbst als Problem zu fühlen, schlägt letztendlich schlimmer auf die Psyche als der Stress an sich. Das SGM hat das alles natürlich nicht erfunden, trägt es aber unhinterfragt aus neoliberalen Coaching-Diskursen in die Uni.

Auch wenn das SGM nicht dafür zuständig ist, Streiks zu organisieren, müsste es, um wirklich gesund zu sein, wenigstens die krankmachenden Verhältnisse als Ursache anerkennen, statt sogar noch Assessment-Center-Workshops auf den eigenen Seiten zu verlinken. Jedoch lässt sich das im universitären Rahmen kaum erwarten, da ja auch eine Uni nicht nach der Gesundheit, sondern nach der Arbeitsmarkttauglichkeit ihrer Studierenden bewertet wird.

Zur Gesundheit gehört es auch, den eigenen Widerwillen als legitime Reaktion auf zerstörerische Verhältnisse anzuerkennen, statt ihn sich mit Lachyoga auszutreiben. Statt vergeblich Symptome zu betäuben, damit ein krankes System unbeschadet weiterlaufen kann, muss man die Ursachen infrage stellen. „Tanz dich frei“ wird es auf Dauer nicht tun, es braucht auch genug „Macht kaputt, was euch kaputt macht“. Vielleicht kann dazu ja jemand einen Kurs anbieten.

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