Wie von Sinnen

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Jenas Experimentarium: die „Imaginata“

Von Christian Fleige



Ein Blick ins Kaleidoskop.
Foto: Christian Fleige

Am Hintereingang der Goethe-Galerie trug sich dieser Tage etwas Wunderbares zu. Zwei Mädchen, noch keine Teenager, taten etwas, was der Redakteur nicht auf Anhieb verstand: Sie warfen eine Jacke nach einem Stück orangenen Papier, das hoch droben an den Scheiben des spärlich besuchten Bistros B 12 klebte. Und erst das Wegschlagen des Zettels vom kalten Glas durch das fliegende Kleidungsstück ließ den Redakteur verstehen, denn das Blatt stieg gleich einem Ballon empor, statt tumb gen Boden zu taumeln. Dort in der Abenddämmerung trieben die jungen Damen ein physikalisches Spiel mit der warmen, aufstrebenden Abluft, die den Kellerräumen entwich und das Papier in die Höhe trug.

Ein ganzer Spielplatz für solch naturwissenschaftliche Phänomene versteckt sich seit 1999 im Gewerbegebiet Nord: die Imaginata. Der gleichnamige Verein hat auf dem Gelände des ehemaligen Umspannwerkes ein „Experimentarium für die Sinne“ geschaffen, in dessen Zentrum ein  Stationenpark mit mannigfaltigen physikalischen Experimenten und Wahrnehmungsphänomenen zum Selbermachen steht.

Da kann sich der tapfere Radfahrer unter den Besuchern dann auf ein gespanntes Hochseil wagen und für einige wenige Minuten Anschluss an die furchtlose Artistenfamilie Traber finden – gesichert mit einem Gegengewicht, versteht sich. Eine andere Station, die Tastatur, ist eine verwinkelte Gangkonstruktion, deren Innenleben pechschwarz und mit Teppich verkleidet ist. Der mutige Gast erblindet für die Zeit des hilflosen Vorantastens und im Stockdunklen wird er auf seine haptische und auditive Wahrnehmung zurückgeworfen – eine düstere Perspektive. Mitmachen ist an allen Stationen Pflicht, das Entdecken verschiedenster physikalischer Zusammenhänge garantiert. Doch die Freude an der Sache ist nicht nur den Heranwachsenden vorbehalten, auch der Ältere kann sich an dieser kindlich anmutenden Entdeckungstour erfreuen. Obendrein ist er nicht allein auf die kindlich Perspektive reduziert: Wer beispielsweise die Station Camera obscura, eine große begehbare Lochkamera, als Ausgangspunkt nimmt, der kann schnell in die philosophische Vergangenheit reisen und bei Descartes oder Locke angelangen. Die Camera obscura, in deren Innerem durch ein kleines Loch einfallendes Licht dafür sorgt, dass die davor liegende Außenwelt kopfüber auf die gegenüberliegende Wand projiziert wird, wurde von beiden genutzt, um über die menschliche Wahrnehmung zu philosophieren. Ein Muss sind diese Gedanken nicht. Das Nicht-Kennen des archimedischen Prinzips hat den beiden Mädchen von der Goethe-Galerie ja auch nicht den Spaß am Spiel geraubt.

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