Voreheliche Versteckspiele

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„Die Hochzeit des Figaro“ am Nationaltheater Weimar

Von Johannes Weiß



Neulich in des Barbiers Boudoir …
Foto: Anke Baumgärtner / DNT

Wie uns die Erfahrung lehrt, brechen die ungemütlichen Zeiten normalerweise erst nach der Eheschließung an. Nicht so in Mozarts Oper „Le nozze di Figaro“: Dort ereignen sich sämtliche Streitereien, Eifersüchteleien und Intrigen bereits vor dem Ja-Wort. Die Ende September im Nationaltheater Weimar angelaufene Inszenierung Susanne Gauchels gibt sich große Mühe, genau diese Turbulenzen am Hochzeitstag der Titelfigur entsprechend turbulent auf die Bühne zu bringen. In nicht geringem Maße trägt dazu die von Thomas Schuster entworfene Kulisse bei: Der Zuschauer hat Einblick in die verschiedenen Zimmer des gräflichen Schlosses, die je nach Bedarf zusammengeschoben, dann wieder getrennt und im Raum verteilt werden können. Dies erlaubt den flexiblen Umgang mit einer Handlung, in der Versteckaktionen, Fluchten ins Nebenzimmer und Sprünge aus dem Fenster schon fast zum guten Ton gehören.

Spätes Familientreffen

Um nur einen kurzen Einblick in das zu geben, was den nichts Böses ahnenden Besucher erwartet: Graf Almaviva (Uwe Schenker-Primus) hat ein Auge auf die Kammerzofe Susanna (Elisabeth Wimmer) geworfen und versucht deren Heirat mit seinem Diener Figaro (Philipp Meierhöfer) um jeden Preis zu verhindern. Die beiden Verlobten wiederum bringen gemeinsam mit der von solcher Untreue wenig begeisterten Gräfin (Larissa Krokhina) einen fingierten Liebesbrief in Umlauf, der den eifersüchtigen Grafen zumindest eine Zeitlang ablenken soll. Dies funktioniert jedoch leider viel zu gut, sodass sich schließlich der zwischen die Fronten geratene Page Cherubino (Carolina Krogius) nur mit Mühe vor gräflichem Zorn und Revolver in Sicherheit bringen kann.
Unterdessen erhebt die Hofdame Marcellina (Christine Hansmann) aufgrund alter Verträge Anspruch auf Figaros Hand, unterstützt von ihrem Anwalt Bartolo (Remigiusz Lukomski) und Musiklehrer Basilio (Frieder Aurich). Doch auch dieses Problem löst sich zu aller Überraschung in nichts auf: Marcellina entpuppt sich – Achtung Spoiler – als Figaros Mutter, Bartolo als dessen Vater. Mit verzücktem Gesang und einer Spielzeuglokomotive holen die drei ihre verlorenen Familienjahre nach, bevor das aufregende Finale naht: Der Graf wird vor versammeltem Hofstaat bloßgestellt, als er seiner als Susanna verkleideten Gemahlin nachstellt. Diese zeigt sich jedoch nachsichtig und vergibt ihm – nach dreieinhalb Stunden muss die Oper schließlich auch mal ein Ende haben. Nach dreieinhalb unterhaltsamen Stunden, wohlgemerkt.
Dabei lässt sich keineswegs leugnen, dass Gauchels Inszenierung durchaus auch Angriffsfläche für Kritik bietet. So manchem Zuschauer könnte sie zu wenig ambitioniert, zu wenig akzentuiert erscheinen. Nur wenige Bilder bleiben dauerhaft im Gedächtnis, etwa wenn Figaro beim Rasieren seines Herrn diesem plötzlich unsanft an die Kehle geht – und wenn der sich wiederum revanchiert, indem er am Ende des zweiten Aktes seinen Untergebenen am Kragen packt und über den Zimmerrand wie über einen Abgrund hält. Oft erweisen sich zudem gerade die markanteren Szenen als schwer zugänglich: Beispielsweise stehen im letzten Akt verschiedene Personen des Stücks bewegungslos auf der Drehbühne und lassen sich wie Karussellfiguren im Kreis herumfahren; dies bildet zwar – gemeinsam mit immer wieder eingestreuten zeitlupenartigen Auftritten – einen verlangsamenden Gegenpol zur temporeichen Handlung, dennoch rätselt man weiterhin über die Hintergründe.

Flottes Treiben

Andererseits zeigt sich gerade am Stichwort „Tempo“, warum der Weimarer „Figaro“ den Möglichkeiten des Werks doch in sehenswerter Weise gerecht wird. Die Inszenierung schafft es, den Witz und die Dynamik dieser „Opera buffa“ reibungslos auf die Bühne zu bringen und teilweise sogar bis zur Ironisierung weiterzutreiben. Das fortwährende Versteck- und Verkleidungsspiel führt sich selbst ad absurdum, wenn etwa der beleibte Graf sich allen Ernstes ungesehen hinter einer geöffneten Türe verbirgt oder der androgyne Cherubino, der als Sopranrolle traditionell von Frauen gesungen wird und im Handlungsgeschehen mehrfach in Frauenkleider schlüpft, am Ende genauso wie seine Geliebte Barbarina (Malwina Makala) im 20er-Jahre-Anzug tanzt.
Alles in allem lohnt sich die Fahrt nach Weimar, gerade auch für Opern-Neulinge: Die von Stefan Solyom und der Staatskapelle Weimar zu Gehör gebrachte Musik besticht durch Mozartsche Eingängigkeit und auf der Bühne ist sowieso immer etwas los. Dank des harmonischen‚,Happy Ends’ müssen nicht einmal Frischvermählte einen Besuch scheuen.

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