Narben der Vergangenheit

Ausstellung in Weimar über die Folgen des 11. September

Von Daniel Hofmann




Shahab Fatouchis „Zero Anaphora“: Libellen sind Insekten, die selbst ihre eigene Art angreifen.Foto: Daniel Hofmann

Zwei Türme fallen und mit ihnen ein Weltbild. Als das World Trade Center von zwei Flugzeugen getroffen wurde, veränderte sich nicht nur in den USA das Leben. Um das Gefühl von Hilflosigkeit zu bekämpfen, wurden in der ganzen Welt Kontrollen verschärft, Gesetze verabschiedet und Menschen eingesperrt. In der Ausstellung „Changes“ in der ACC Galerie Weimar widmen sich neun internationale Künstler dieser Situation. Dabei steht nicht der Anschlag im Vordergrund oder darauf folgende Kurzschlussreaktionen der Regierungen, sondern die Frage, wie sich Gesellschaft und Kunst verändert haben.

Altöl und Bomben

So vermischt Christoph Faulhaber Politik und Kunst, indem er Porträts von sechs Uiguren ausstellt, einer ethnischen Minderheit, die zum großen Teil im Westen Chinas lebt. Die Männer wurden mehr als sieben Jahre unschuldig in Guantánamo festgehalten. Nach ihrer Freilassung erklärte sich jedoch kein Staat bereit, ihnen Asyl zu gewähren – auch Deutschland mit der größten uigurischen Gemeinschaft in Europa war nicht dazu bereit. Der kleine pazifische Inselstaat Palau nahm sie schließlich auf. Sie waren zwar freie Menschen, aber dennoch gefangen in einer fremden Kultur. Christoph Faulhaber verdeutlicht mit den Porträts – die er in China zeichnen ließ – die Absurdität der internationalen Sicherheitspolitik.
Die Fotografin Nina Berman aus den USA befasst sich direkt mit der amerikanischen Kriegsmaschinerie und ihren Opfern im eigenen Land. In der Serie „Purple Hearts“ fotografierte sie verwundete und verkrüppelte Soldaten nach ihrer Rückkehr. Die Bilder zeigen Menschen, die nicht nur körperlich gezeichnet sind: Ein Mann mit Beinprothese sitzt allein auf seinem Bett. Das Gesicht vergräbt er in seinen Händen. Solche intimen Momentaufnahmen der Hoffnungslosigkeit lassen keinen Raum für Patriotismus.
Neben Zeichnungen oder Fotografien nutzen die Künstler weitere Mittel, um mit dem Betrachter zu kommunizieren. Harun Farocki aus Deutschland weist mit seinen Videoinstallationen auf die Gefahr des elektronischen Auges hin. Raketen werden mit Kameras ausgestattet, damit die Zielführung noch präziser wird. Was dann in den Medien zu sehen ist, gleicht einem Videospiel. Das Töten wird leichter, wenn Realität und virtuelle Welt ineinander verschwimmen. Der Niederländer Helmut Smits geht einen anderen Weg, um die Thematik greifbar zu machen. Er braucht dafür lediglich eine Cola-Flasche. Die schwarze Flüssigkeit ist in diesem Fall jedoch keine koffeinhaltige Garantie für Karies, sondern ein Liter Altöl.

Vier Sekunden Langeweile

Nicht nur die Auswirkungen des 11. Septembers werden thematisiert, auch der entscheidende Moment selbst ist ein Teil der Ausstellung. Wolfgang Staehle wollte ursprünglich die mediale Welt und ihre Sucht nach ständig neuen Bildern kritisieren. Dafür installierte er Webcams auf der ganzen Welt, die alle vier Sekunden ereignislose Panoramaaufnahmen schossen und sie direkt in eine Galerie sendeten. Eine Kamera war auf die Skyline New Yorks gerichtet und machte ein Bild kurz vor dem Einschlag des ersten Flugzeuges ins World Trade Center. Mit dieser Aufnahme wurde Staehle Teil dessen, was er kritisierte.
„Changes“ bietet viele unterschiedliche Interpretationen, wie die Welt aus der Vergangenheit lernen kann. Auch der Besucher wird mit der Frage konfrontiert, was ihm seine Freiheit wert ist und was er bereit ist, zu opfern. Die Ausstellung ist noch bis zum 8. Januar in der ACC Galerie Weimar zu sehen. Danach lassen sich die Folgen der Anschläge wieder gemütlich von zuhause aus über Fernseher und Internet verfolgen.

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