Klaustrophobie statt Herbstdepression

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Seit Jahren herrscht in Jena ein Mangel an Wohnraum – bisher fehlt    jegliches Konzept zur Lösung des Problems

Von Stefan Montag und Franzsika Puhlmann



Und schon wieder eine Absage – Zimmersuche ohne Erfolg vermasselt vielen den entspannten Start ins Studium.
Foto: Katharina Schmidt

“Ich habe bei 20 WGs angefragt. Das heißt nicht, dass ich mir alle 20 anschauen konnte. Das wäre ja schön gewesen“, sagt Susann aus Plauen, die sich für Zahnmedizin beworben und erst eine Woche vor Semesterbeginn die Zulassung für Jena bekommen hat. Für sie wird es jetzt richtig eng.
Die Stadt wirbt als studentisches Paradies, als ein Ort kurzer Wege, als Kleinstadtidyll mit Großstadtflair. Möglicherweise hat sich Jena damit übernommen, denn es scheitert schon an Schlafplätzen.
Auf Jenas Wohnungsmarkt sieht es düster aus. Der Leerstand ist in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken und liegt nun sogar unter der Marke von einem Prozent, ab der eine Stadt als voll gilt. Jetzt noch eine Wohnung zu finden bedarf einer ausdauernden Kondition und viel Optimismus.

Wochenlange Suche

Viele Erstsemester sind bereits vor Semesterbeginn teils wochenlang auf der Suche nach Wohnraum. Das Studentenwerk verzeichnete bis zum 15. September 2.700 Bewerbungen. Wohnungssuchende berichten davon, dass sie einer von bis zu 50 Bewerbern auf ein freies Zimmer waren. Wer Anfang Oktober ein Inserat auf „wg-gesucht.de“ einstellte, musste kaum eine Minute warten, bis der erste Interessent anrief.  Selbst die Wohnungssuche im Umland gestaltet sich zunehmend schwierig. Weimar kann keine weiteren Studenten aus der Saalestadt mehr aufnehmen und auch Gera meldet erste Schwierigkeiten.
Die Jenaer Bündnisgrünen warnen vor einem Wohnraumkollaps. Deren Kreisvorstand mahnt, dass die Situation noch nie so prekär gewesen sei wie vor dem nun anlaufenden neuen Studienjahr, und fordert die Entscheidungsträger der Stadt auf, endlich zu handeln.
Seit Jahren werde auf den Bevölkerungsschwund gewartet und von einem Rückgang der Studierendenzahlen ausgegangen. Die Realität sähe aber anders aus. Jena hätte derzeit 5.000 Einwohner mehr als prognostiziert. Es sei für den Wissenschafts- und Technologiestandort unerlässlich, dass sich die Stadt Jena mit umliegenden Städten und Gemeinden an einen Tisch setze. Studenten müssten auch nach 20 Uhr noch ihre Wohnung oder ihr Zimmer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen können, so Kreissprecherin Anja Siegesmund.
Ein Wohnraumproblem sehen auch der Student Wieland Rose und Steffen Kube, der in Jena ein kleines Unternehmen hat. Beide haben eine Petition gestartet, in der sie den Oberbürgermeister Dr. Albrecht Schröter auffordern, die aktuelle Wohnungssituation in Jena als Problem anzuerkennen und in der nächsten Stadtratssitzung am 27. Oktober dazu öffentlich Stellung zu nehmen. Sie verlangen eine bessere Kommunikation zwischen der Stadt und den Bürgern, die in eine breite Diskussion über das Wohnungsproblem münden soll. Kube bemängelt, er könne für sein Unternehmen nur schwer neues Personal nach Jena holen, da es keinen Wohnraum gebe. Rose ergänzt, dass Wohnungen für Studenten in Saalfeld und Gotha kein Konzept sein können, sondern vielmehr Ausdruck der Konzeptlosigkeit der Stadtverwaltung seien.
Auch der Stura bezeichnet die Wohnungssituation in Jena als untragbar. Es fehle der Stadt, dem Land und auch dem Studentenwerk an Problembewusstsein. Man könne nicht darauf hoffen, dass die Studentenzahlen sinken, und das Problem einfach aussitzen. Er fordert mit seiner Plakatkampagne den Bau bezahlbarer Wohnungen in der Stadt, damit auf längere Sicht ein gesunder Leerstand von zwei bis drei Prozent erreicht werden könne. Zusätzlich veranstaltet der Stura derzeit WG-Gründungstreffen, um Suchende zusammenzuführen und zu informieren.
Zumindest die Uni bleibt gelassen und verweist auf die ostdeutsche Bevölkerungsentwicklung. Geburtenknick und Abwanderung nach der Wende müssen durch einen immer höheren Anteil von Studenten aus den alten Bundesländern ausgeglichen werden. Das gelang bisher besser als erwartet, die Studentenzahlen stiegen in den letzten Jahren enorm an. Die Uni fährt bereits „Überlast“, wie es Dr. Eva Schmitt-Rodermund, Dezernentin für akademische und studentische Angelegenheiten, ausdrückt. Die Auslastung der Lehrräume liege theoretisch schon bei über 100 Prozent.
Dennoch warnt Schmitt-Rodermund vor möglicherweise sinkenden Studentenzahlen. Das erscheint fragwürdig, denn der große Ansturm kommt erst noch. Durch die Umstellung von 13 auf 12 Schuljahre in den meisten der alten Bundesländer sowie in Berlin und Brandenburg droht zwischen 2011 und 2013 eine wahre Schwemme an Studenten, die dem Hochschulpakt zufolge besonders von ostdeutschen Hochschulen aufgefangen werden soll. Bisher waren es eher die fehlenden Studiengebühren und das gute Image von Stadt und Universität, die für den Zulauf aus den alten Bundesländern gesorgt haben.

Stadt ist eingekesselt

Besonders seit letztem Jahr ächzt die Stadt geradezu unter der Last der Studenten. Nach dem Aufruf „Macht die Betten frei“ durch Uni und Stadt gibt es selbst in einigen Hotels Angebote für Studenten.
Langwierige Wohnungssuchen sind zwar auch aus anderen Universitätsstädten bekannt, in Jena ist die Situation dennoch eine andere. Da wäre zum einen die Einkesselung Jenas zwischen Bergen und Naturschutzgebieten, die ein Wachsen der Stadt stark erschweren, und zum anderen das gern gepflegte Image als beschauliche „Stadt der kurzen Wege“. Bei kurzen Wegen denken aber die wenigsten an einen Regionalexpress.
Eva Schmitt-Rodermund stört das wenig, sie selbst sei als Erstsemester in Gießen auch zuerst ins Umland gezogen und dann nach einem Jahr an den eigentlichen Studienort. Sie führt aber auch an, dass die Landesfinanzierung implizit Studentenzahlen von über 20.000 verlangt. Die Mittel vom Land sind zum größten Teil direkt proportional zu den Studentenzahlen. Dass diese derzeit so hoch sind, sei notwendig, um die Fixkosten decken zu können. Kurioserweise führen die hohen Zahlen aber auch dazu, dass die Uni für gutes Geld Räume mieten muss: zum Beispiel im ehemaligen Uniturm, der heute als JenTower bekannt ist.
Für die bereits erwähnten 2.700 Bewerbungen um Wohnheimplätze standen  ca. 580 Plätze zur Verfügung, wovon 100 auf zwei Monate begrenzt sind. „Wenn sich jemand im Januar oder Februar bewirbt, sind seine Chancen groß, dass er im Wintersemester einen Platz im Studentenwohnheim bekommt. Im September hat man kaum eine Chance“, sagt Siegfried Kinzel, der beim Studentenwerk für den Bereich Wohnen verantwortlich ist. Für die Vergabe ist das Posteingangsdatum alleiniges Kriterium.
Das Studentenwerk hatte sich des Problems angenommen und wollte neue Studentenwohnheime bauen, eines davon am Friesweg. Enttäuscht schaut der Geschäftsführer des Studentenwerks Dr. Ralf Schmidt-Röh, wenn man ihn heute darauf anspricht. Er wollte dort schnell neuen Wohnraum schaffen, wurde nach anfänglicher Zustimmung aber im April jäh ausgebremst. Anwohner formierten sich gegen die Baupläne, weil sie Angst um ihre kostbaren Parkplätze hatten. Außerdem solle sich das Wohnheim architektonisch nicht in das Gesamtbild eingefügt haben, das vorgesehene Gebäude wäre zu groß gewesen. Mit viel Glück steht im nächsten Oktober tatsächlich ein neues Studentenwohnheim. Reichlich spät. Ärgerlich ist auch, dass das Studentenwerk die Masterstudenten anfangs quasi „übersehen“ hat. Schuld war eine Kommunikationspanne zwischen der Universität und dem Studentenwerk.
Im Stadtrat wird argumentiert, die Bevölkerungsentwicklung könne dazu führen, dass neugebaute Wohnungen am Ende leer bleiben. Dabei wird vergessen, dass man sich in dieser Hinsicht schon einmal geirrt hat. Die Abwanderung hat sich in Jena nicht annähernd so stark bemerkbar gemacht wie befürchtet. Die Stadt ist inzwischen an einem Punkt, an dem Grundschulen dringend ausgebaut werden müssen und sich der Abriss von Wohnungen, zum Beispiel 2004 in Lobeda, als Fehler herausgestellt hat. Außerdem wird nicht gesehen, dass man sich Chancen verbaut: Studenten, die sich überflüssig und ungewollt fühlen, bleiben ganz sicher nicht in Jena. Firmen, die ihre neuen Mitarbeiter nicht unterbringen können, werden auch nicht wachsen.

Schnelle Lösung nicht
in Sicht

Susann hat derweil einen Platz zum Schlafen gefunden: in Pößneck, 35 Kilometer entfernt. Bei ihrer Suche hat sie sich sogar einen zum Wohnraum umgebauten Pferdestall angesehen. In naher Zukunft will sie sich nochmal in Ruhe auf die Suche nach einer Bleibe in Jena machen. Vor dem Sommersemester ist dies erfahrungsgemäß deutlich einfacher, da die meisten Studiengänge nur zum Wintersemester anfangen.
Auf eine schnelle Änderung des grundlegenden Problems braucht man vorerst aber nicht zu hoffen. Während Jena und die FSU wachsen, fehlt es an Mut und Vertrauen, die längst fälligen Rahmenbedingungen für eine Besserung der Lage zu schaffen. Hinzu kommen Fehleinschätzungen und Pannen und ganz schleichend auch die Gefahr von Prestigeverlust. Jena vergisst den eigenen Anspruch.  Anstatt die derzeitige Entwicklung als eine Chance zu nutzen, sieht man tatenlos dem Zusammenbruch entgegen.

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