You are currently viewing “Ich bin kein Prophet”

“Ich bin kein Prophet”

Walter Rosenthal ist seit 2014 Präsident der FSU. Im großen Akrützel-Herbstinterview spricht er über Präsenzlehre, Baumaßnahmen in der Bachstraße und die Zukunft des universitären Raums.

Das Interview führten Tim Große und Lukas Hillmann

Nach drei Online-Semestern findet nun das erste Semester wieder in Präsenz statt. Lief alles nach Plan?
Grundsätzlich hat das Semester positiv begonnen. Wir wissen von den Studierenden und Lehrenden, dass sie die Präsenz begrüßen. Auch die Verteilung der Lehrveranstaltungen auf die Räume hat gut funktioniert, sogar besser als an anderen Unis, wo es auch mal ein großes Fiasko gab. Die größte Herausforderung war das Selbsttestzentrum, das wir aufgrund einer Änderung der politischen Vorgaben kurzfristig einrichten mussten. Wir haben es innerhalb von zwei Tagen aus dem Boden gestampft und es lief gut. Ich habe am ersten Tag selbst ein bisschen mitgearbeitet.

Waren Sie überrascht von der Vorgabe des Ministeriums, jedem Studierenden zwei kostenlose Tests pro Woche anbieten zu müssen?
Eigentlich wollten wir nur etwas machen für diejenigen, die nicht geimpft werden können. Zwei Tage vor der Eröffnung kam aber eine Mail des Ministeriums, von der wir kalt erwischt wurden. Als Begründung wurde angeführt, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erwarte, dass auch allen Studierenden zwei Tests zur Verfügung gestellt werden, weil sie mit Beschäftigten gleichzusetzen seien. Wir fragen uns schon, ob das nötig ist und denken, dass das Bundesministerium und unser Ministerium über das Ziel hinausgeschossen sind, auch im bundesdeutschen Vergleich. Kein anderes Bundesland versteht das so. Einige Kolleginnen und Kollegen haben zum Beispiel berichtet, dass sie gar keine kostenlosen Tests anbieten dürfen. Deren Ministerien meinten, dass Universitäten die Bundesverordnungen nicht konterkarieren dürften.

Wer bezahlt die Tests?
Die Kosten muss die Uni übernehmen und das sind schon signifikante Beträge. Dort arbeiten nun vier Personen in zwei Schichten, die wir aus unserem Budget finanzieren. Wir können das Geld für Forschung und Lehre ausgeben oder für Tests, so könnte man es auf die Spitze getrieben formulieren.

Wie groß ist die Nachfrage nach dem Testzentrum?
In der ersten Woche wurden 1150 Tests gemacht; und jeden Tag war im Schnitt eine positiv getestete Person dabei, die anschließend zum PCR-Test in das DRK-Zentrum geschickt wurde.
Es gibt ein großes Sicherheitsbedürfnis unter den Studierenden, was sich unter anderem durch Beschwerden der studentischen Senatoren ausdrückt, dass zu wenige Wachkräfte die 3G-Regel überprüfen. Am ersten Tag hat die beauftragte Firma statt drei Personen nur eine geschickt und uns darüber nicht informiert. Die Beschwerde kam völlig zu Recht, weswegen wir aufgestockt haben. Neben zusätzlichen externen Kräfte ziehen wir auch intern mit Hilfskräften Stichproben.

„Wir können das Geld für Forschung und Lehre ausgeben oder für Tests“

An anderen Unis wird man bereits an den Eingängen auf 3G kontrolliert. Ist das an unserer Uni auch geplant?
Das ist logistisch bei uns als Universität in der Stadt kaum möglich. Andere Unis nehmen außerdem die Lehrenden ganz anders in die Pflicht: Diese müssen Kontrollen selber durchführen, was natürlich ein Zeitfaktor ist und wofür es bei uns auch keine große Begeisterung gibt. Wir gehen davon aus, dass 90 Prozent der Studierenden geimpft oder genesen sind. Ich glaube, dass die Uni ein sicherer Raum ist – sicherer als die Räume, die man in der Freizeit betritt, oder in der Familie, wenn Kinder anwesend sind.

Sehen Sie es realistisch, dass trotz der steigenden Inzidenz der jüngsten Zeit der Präsenzbetrieb bestehen bleibt?
Bei der Gelegenheit sage ich immer: Ich bin kein Prophet. Wenn Sie mich aber um meine persönliche Einschätzung bitten, dann glaube ich nicht, dass noch einmal umgestellt werden muss. Wenn wir vernünftig miteinander umgehen, wenn wir Masken tragen und Abstand halten, dann wird es klappen. Wir sind als Universität natürlich nicht allein, es gibt eine Gesellschaft, an die wir uns anpassen müssen. Aber die politische Debatte zeigt, dass niemand mehr einen Lockdown will. Vielleicht werden die Regeln wieder verschärft, aber nach meiner Einschätzung wäre die reine Online-Lehre die letzte Maßnahme. Präsenz ist die Basis der Universität.

Präsident Rosenthal im Erklärmodus. Foto: Tim Große

Aufgrund der Corona-bedingten Probleme bleiben Studierende länger in Jena und neue kommen nach. Braucht die Uni den neuen Campus in der Bachstraße, auch wenn kaum Wohnraum existiert?
Es gibt den Zusammenhang nicht, den Sie in die Frage legen. Wir vermehren unsere genutzten Quadratmeter nicht, wir verschieben nur. Wir haben über 120 einzelne Gebäude, die wir versuchen, zusammenzufassen, sodass eine Campussituation entsteht. Und durch das Verschieben werden Gebäude frei, die durchaus auch für Wohnzwecke geeignet sind. Außerdem brauchen wir die Bachstraße, weil einige Institute, wie die Pharmazie, derzeit problematisch untergebracht sind. Ein Campus hat infrastrukturelle Vorteile: Die Geräte können gemeinsam genutzt werden, Forschung und Lehre werden davon profitieren. Ich habe mich bei der Bachstraße auch dafür eingesetzt, dass es kein Campus in Reinform werden soll. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Möglichkeiten für privates Wohnen geschaffen werden, dass es ein paar Geschäfte geben wird und an der Leutra könnte ein Park entstehen.

Sie haben bei der Immatrikulationsfeier gesagt, dass Sie sich in Zukunft mehr Präsenz wünschen als vor der Pandemie. Wie wollen Sie dieses Ziel umsetzen?
Wir müssen mehr Aufenthaltsräume schaffen, auch um den Wechsel zwischen digitaler Lehre und Präsenzlehre zu ermöglichen. Die neue naturwissenschaftliche Bibliothek am Inselplatz wird wenig Regale haben, dafür viele Arbeits- und Pausenplätze für die Studierenden und Lehrenden. Wir müssen Komfortzonen schaffen. In den USA bleiben Studierende den ganzen Tag auf dem Campus, erleben dort Kultur und machen Sport. Die gehen nicht nur zu Lehrveranstaltungen und wieder nach Hause. Vorübergehend wird das bei uns noch sein, denn das ist ein Umbauprozess. Jedes Ministerium achtet darauf, dass die berühmten Verkehrsflächen klein gehalten werden, kleine Flure, kleine Foyers… Das muss sich grundlegend ändern, um die Aufenthaltsqualität an Hochschulen zu verbessern. Wir haben da einiges in Planung, aber der richtige Ausbau erfordert Umbauten. Frei werdende Räume, wie die alten Teilbibliotheken, müssen neu konzipiert werden. Meine Vision von Uni ist, dass man nicht nach einer Veranstaltung nach Hause geht, sondern bleibt. Dass man die Gemeinschaft mit anderen Studierenden pflegen kann und vielleicht auch anders mit den Lehrenden interagiert. Das ist eine Entwicklung, die mindestens zehn Jahre braucht, bis sie komplett umzusetzen ist. Wir machen uns jetzt aber auf den Weg.

„Präsenz ist die Basis der Universität“

Und in der Übergangstphase? Hat die Uni genug Platz für Studierende?
Wir haben in den letzten zwei Semestern den Studierenden zusätzliche Räume angeboten, aber die wurden kaum angenommen. Also haben wir das wieder zurückgefahren. Da war aber natürlich die Präsenz niedrig. Für das Wintersemester konnten wir inklusive der Thulb 3.850 Online-Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, so viele wie noch nie. Wir haben ausgequetscht, was auszuquetschen ist, um den Aufenthalt an der Uni wieder im größeren Maße möglich zu machen.

Wie hat sich Ihr Alltag in den letzten anderthalb Jahren verändert?
Zunächst gab es eine Phase, da war ich abends um 19 Uhr fertig, sonst bin ich meist bis 21 Uhr beschäftigt. Die hat aber nicht lange angehalten. Es fielen Termine und Reisen weg, die nicht nachgeholt werden konnten. Irgendwann ist die Zeitersparnis zurückgegangen und ich hatte acht bis neun Stunden am Tag Online-Meetings. Der Arbeitsalltag hat sich stark verdichtet. Es gibt aber auch positive Entwicklungen: In eingespielten Teams treffen wir uns jetzt nur noch jedes zweite Mal persönlich. Es ist umweltförderlich und kommt vielen entgegen. Jetzt nähern wir uns der Welt vor Corona an, aber mit Modifikationen. Und ich wünsche mir, dass diese Modifikationen bleiben. Ansonsten hat sich alles wieder eingespielt. Natürlich gibt es immer wieder Herausforderungen, aber wir haben auch Routine, mit der Situation umzugehen.

Herr Rosenthal, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Schreibe einen Kommentar