Nahtoderfahrung in Neopren

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Akrützel-Redakteure im Ausland – Teil 2: Aberdeen/Schottland

Von Anna Zimmermann




Die Neoprenanzüge wieder ausgezogen zu bekommen ist fast schwieriger als das Surfen selbst.

Foto: Anna Zimmermann

Was ich als erstes sehe, als ich in Edinburgh aus dem Shuttlebus vom Flughafen steige, ist ein dicker Mann im Kilt, der Dudelsack spielt. Viel stereotyper hätte mein Auslandssemester in Schottland nicht beginnen können. Highlandromantik lebt, entdecke ich schnell, und sie findet ihre letzte Konsequenz in tartankarierten Kondomen mit Whiskeygeschmack. Später in Aberdeen, weiter im Norden und noch viel weiter weg vom gut verständlichen Hochenglisch, wird sich diese Art von schottischem Patriotismus dann glücklicherweise besser verstecken und die Zeit wird verfliegen. Bis zu meiner Rückreise werde ich schwer bepackt sein – mit Haggis, zahlreichen blauen Flecken und derbem Muskelkater. Ich habe nämlich mein Erasmussemester dazu genutzt, nicht nur ein fremdes Land kennenzulernen, sondern auch mich selbst. Genauer gesagt: meine sportliche Leistungsfähigkeit.

Auf den ersten Blick scheint Schottland dazu ungeeignet: Leider stimmt das Klischee der fehlenden britischen Esskultur, und einheimische wie ausländische Konsumenten werden von Pasteten, Sandwiches und Irn-Bru (der schottischen Traditionssprudelmarke) unweigerlich aufgebläht. Doch die University of Aberdeen bietet mit ihren 58 teilweise obskuren Sportclubs genügend Möglichkeiten zur körperlichen Ertüchtigung. Dank horrender Studiengebühren von bis zu 9000 Pfund im Jahr verfügt die Uni auch über ausreichende Mittel, diese Clubs bestens auszustatten. Beim riesigen Sports Faire am Anfang des Semesters präsentiert sich das Angebot: Die Musik der unterschiedlichen, dicht gedrängten Sportclubstände wummert durcheinander, alle möglichen Superfirmen verschenken alle möglichen zucker-, fett- und energiegeladenen Konsumgüter; und Flyer, Sticker und Armbänder mit Terminen zu Probetrainings werden an jeden und auf jedem verteilt.

Alles außer Tontaubenschießen

Mir bringt der ganze Spektakel allerhand Erfahrungen ein: Beim Unterwasserhockey bemerke ich, dass ich für Teamsportarten nicht genügend Ehrgeiz mitbringe. Scottish Dancing ist nur gut, solange es sich nicht um Highland Dancing handelt – über auf dem Boden liegende Schwerter zu springen macht wohl nur echten Schotten Freude. Was auf mich am meisten Eindruck machte, ist der Surfclub. Er verspricht ein wöchentliches Surfen am Aberdeener Strand mit anschließendem Pubabend, Gratispizza und Getränkerabatt.
Mit einem riesigen Schaumstoff-Anfängerbrett unter dem Arm und kompletter Neo­prenausrüstung komme ich Newbie mir bei meinem ersten Surfing drei Wochen später ziemlich lässig vor. Nach anfänglicher Erleichterung, dass das Neoprenzeug tatsächlich das kalte Nordseewasser hinein, aber angewärmt nicht wieder hinauslässt, warte ich auf Wellen und paddle, paddle, paddle. Natürlich werden nur die „foamy waves“ gesurft, also die, die schon gebrochen sind und deswegen nicht mehr zu stark. Und natürlich bleiben wir so nah am Strand, dass wir eher Gefahr laufen, unsere Finnen im Sand zu brechen als abzutreiben. Aber als Vorbereitung auf das Surfclubwochenende in Thurso reicht es allemal.

Fleischbeschau und Diskopop

Als „epic“ wird dieses Wochenende von der Clubpräsidentin angepriesen. Mit zwei Minibussen, die bis oben voller Surfequipment und Spirituosen sind, fahren wir an den nördlichsten Punkt des schottischen Festlandes. Auch wenn es nicht naheliegend erscheint, ist Schottland ein beliebtes Surfgebiet. Als ich in der Wikipedia lese, dass die Wellen von Thurso mit denen in Hawaii vergleichbar sein sollen, bekomme ich ein bisschen Angst.
Beim abendlichen Zeitvertreib werden diese Sorgen allerdings sogleich ertränkt. Wenn britische Inselbewohner nämlich wegen etwas herausstechen, dann wegen ihrer Freude am süßlich-alkoholischen Amüsement. Das eigentliche Partyhighlight ist jedoch erst für den nächsten Abend angesetzt: ein Besuch in „Skinandi’s“, dem Diskotempel im schottischen Nirgendwo. Inmitten samtroten Interieurs wird sich der gesamte Surfclub um die Gogostangen drängen oder sich über das golden glänzende Geländer beugen, um wohlbeleibte Briten dabei zu beobachten, wie sie ihre nackten, stattlichen Oberschenkel bei Diskopop immer weiter entblößen. Erstaunlicherweise erweist sich Großbritannien kleidungs- und musiktechnisch nämlich als weniger hip als gedacht. Zumindest bei der Kleiderwahl scheinen junge Britinnen jedoch sehr enthusiastisch zu sein. Ähnlich ihren georgischen Kommilitoninnen könnten sie sofort nach der Uni in den Club gehen.
Vor „Skinandi’s“ steht mir allerdings noch ein Tag voller Surfen bevor. Bei blauem Himmel und Sonnenschein zeigt sich die raue, zerklüftete Küste kurz vor den Orkney Islands genau so, wie ein Arte-Reisemagazin sie darstellen würde: schroff und so gewaltig, dass ich mich vor lauter Landschaft ganz klein fühle. Mit meinem riesigen Surfbrett stehe ich an einem Abhang, gucke aufs Meer und warte darauf, dass ich beim Abstieg auf dem durch Schafskot glitschig gewordenen Gras ausrutsche. Der Wind pfeift, im Gras stehen Disteln – die schottische Nationalpflanze –, und plötzlich erwische ich mich dabei, mir hier sogar den Dudelsackspieler aus Edinburgh passend vorstellen zu können. Die Highlandromantik holt mich also doch noch ein.
Dass man von Erlebnissen solcher Art nichts als Erinnerungen mit nach Hause nehmen kann, ist vielleicht ganz gut. Lediglich der Geruch des Bikinis wird später an die immer muffigen Neoprenanzüge aus dem Fundus des Surfclubs erinnern. Und auch, wenn mir meine blauen Flecken mein letztes Nahtoderlebnis vergegenwärtigen und darauf verweisen, dass ich wirklich noch nicht bereit bin für richtige Wellen und Strömungen, werde ich ein bisschen traurig sein, wenn sie verblassen.

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