Eine Welt auf 25 Quadratmetern

Aus dem Leben eines Buchhändlers

Von Lennardt Loß

Gunther Philler sieht aus wie eine Schwarzweißfotografie. Eckige Brillengläser mit rahmenlosem Gestell, darunter ein weißer Schnurrbart. Beim Sprechen betont er jede Silbe gleich, trotzdem will man dem Mann zuhören. Die Welt dreht sich langsamer, wenn er Wörter sagt wie: Büchertisch, Lesemarathon und Mittagskaffee.
Seit 32 Jahren ist Gunther Philler Inhaber der Jenaer Bücherstube. Der winzige Laden am Johannistor wurde dieses Jahr mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet, und zwar in der Kategorie „besonders herausragende Buchhandlungen“.
Fast hätte Philler sich gar nicht beworben. Zwölf Seiten Fragebogen: „Hat ihre Buchhandlung eine eigene Internetseite?“ Hat sie nicht. „Einen Onlineshop?“ Auch nicht. Er legte die Bewerbungsmappe zur Seite, dann kurz vor Einsendeschluss, füllte er den Fragebogen doch aus. Für jedes „Nein“ schrieb er auf, was die Bücherstube ansonsten bietet: „Wir sind keine Erlebnisbuchhandlung, aber die Inneneinrichtung ist von 1929.“
Nach Jena zog es Philler 1976. Sieben Jahre lang ging er an der Bücherstube vorbei, ohne den Laden zu betreten. Schwere, rote Gardinen hingen vor dem Schaufenster. Philler erinnert sich: „In der Stadt hieß es: Ach, die alten Damen in dem kleinen Laden. Keiner wusste so richtig, was diese Bücherstube eigentlich ist.“ 1983 öffnete er trotzdem deren Tür: Die Inhaberin, Helga Töppner, suchte einen Nachfolger.
„Der Preis ist die Krönung meiner Laufbahn.“
Die Preisverleihung fand in Frankfurt am Main statt. Dort hat sich Philler mit anderen Buchhändlern unterhalten. Denen geht es schlecht, sie bangen um ihr Geschäft: Warum zur Buchhandlung hetzen, wenn man sich den neuen Jonathan Franzen auch im Netz bestellen kann? Der Preis ist auch eine Reaktion darauf, nämlich die Arbeit kleinerer, inhabergeführter Buchhandlungen zu würdigen.
Gunther Philler fürchtet nicht um sein Geschäft: „Wir können uns in Jena nicht beklagen. Die Leute lesen.“ In der Bücherstube gibt es keine Eiffelturm-3D-Puzzles und Oliver-Kahn-Biografien. „Keine Eintagsfliegen! Ich möchte wissen, was in meinen Büchern steht“, sagt Philler. Bevor er eine Neuerscheinung bestellt, liest er sie an. Wenn ein Kunde doch Oliver Kahns Biografie haben will, stellt Philler sie mit dem Rücken zur Wand ins Abholregal.
„Wer hier reinkommt, muss sich zwar mit unseren Schrullen abfinden, verlässt aber den Laden fast nie ohne ein Gespräch.“ Es gibt Kunden, die über 90 sind und denen Philler die Bücher nach Hause bringt. Zu seinem dreißigsten Betriebsjubiläum kamen über 200 Gäste. Philler sagt selten „Kunden“, häufig „unsere treuen Kunden und Freunde“.
32 Jahre auf 25 Quadratmetern, zwischen T. C. Boyle, Renate Feyl und Hans Magnus Enzensberger: „Der Preis ist die Krönung meiner Laufbahn“, sagt Philler.
Manchmal besuchte ihn seine Vorgängerin Helga Töppner, die sagte dann: „Sie stellen hier zu viele Bücher ins Schaufenster – das sieht nicht schön aus.“ Gunther Philler fragt sich, was er seinem Nachfolger sagen würde. Wahrscheinlich gar nichts: „Ich könnte hier nicht mehr arbeiten, das würde mir die Luft zum Atmen nehmen, weil mein Nachfolger es natürlich nicht so machen kann wie ich.“

Foto: Lennardt Loß
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