Gretchenfrage: Die Jogginghose

Himmlische Erlösung oder Todsünde

Sie polarisiert an Schulen, der Universität und den Wohnblocks von Lobeda (wobei da eher weniger). Deswegen muss endgültig und abschließend ausdiskutiert werden: Ist die Jogginghose als alltägliches Kleidungsstück erlaubt oder, wie Karl Lagerfeld erklärte, der Kontrollverlust des eigenen Lebens. Zwei Meinungen von Sebastian Danz und Niclas Seydack.

 

Pro:

Von Sebastian Danz

„Ich träume davon, von einem Mann in alten Jogginghosen übers Knie gelegt zu werden“, verrät eine Dame auf fetisch-freunde.de. „Ich steh voll auf Typen in Jogginghosen. Am geilsten find ichs, wenn man ’ne schöne Beule erkennt“, schreibt ein User im Boypoint-Forum. Die Jogginghose ist der Star der deutschen Sexfantasien. Warum das für sie spricht? Sexfantasien machen das Leben schöner und erhöhen die Schmerzschwelle (Quelle: gesundheit.de). Tragt die Jogginghose in der Öffentlichkeit, denn es ist ein Akt der Nächstenliebe!
Das kontroverse Kleidungsstück ist nicht nur baumwollgewordene Philanthropie. In Dresscode-Zeiten ist die Jogginghose ein Zeichen des Widerstandes gegen den Modeeinheitsbrei. Ist denn die einzig akzeptable Kombi für einen gediegenen Theaterabend irgendwas steifes Schwarzes mit irgendwas steifem Schwarzen? Zieht an, was euch gefällt! Erschreckt Theaterabonnenten-Omas und -Opas mit euren beige-goldenen Sportdressen. Tragt die Jogginghose in der Öffentlichkeit, denn es ist ein Menschenrecht!
Schon mal Putin oder Kim Jong-un in Jogginghose gesehen? Eben. Der klassische Despoten-Kleiderschrank ist jogginghosenfreie Zone. Die Jogginghose verschafft dem Unterleib Raum zur Entspannung, was die Anspannung im Hirn mindert und so fixe Ideen wie Neurussland und die Hinrichtung von Familienmitgliedern im Keim erstickt. Anzugträger machen auf dieser Welt die meisten Probleme. Tragt die Jogginghose in der Öffentlichkeit, denn es ist ein Bekenntnis zum Pazifismus!
Die Präsenz der Jogginghose in der Öffentlichkeit steht für die drei großen F des Lebens: Fetisch, Freiheit und Frieden. Werdet bessere Menschen! Greift das nächste Mal, wenn ihr vor euren Kleiderschränken steht, ins richtige Fach!

 

Contra:

Von Niclas Seydack

Eine Regel des journalistischen Schreibens ist es, nicht auf Menschen einzutreten, die bereits am Boden liegen. Daher ist ein Text über jene, die ihre Jogginghosen in der Öffentlichkeit spazieren führen, im Grunde überflüssig. Wird hier jedoch herumkrakeelt, die Jogger sei die Befreiung von Anpassungszwängen, kann ich nicht schweigen.
Jogginghosen in der Uni zu tragen, ist das sicherste Indiz dafür, sich komplett aufgegeben zu haben. Es hat nichts mit Kontrollverlust über das eigene Leben zu tun, wie es Karl Lagerfeld einst formulierte. Die Jogginghose ist eine Bankrotterklärung an die eigene Würde.
Es sei ja so herrlich bequem, behaupten die Polyester-Apologeten. Doch die einzige Lässigkeit, die eine Jogginghose ausstrahlt, ist Nachlässigkeit. Klar, der Campus ist kein Laufsteg. Doch bleibt angesichts eines aschgrauen Baumwollsacks im Schlaghosenschnitt ein mulmiges Gefühl: Wen heute das morgendliche Anziehen einer Jeans überfordert, dem möchte ich morgen weder Raucherlunge noch Midlife-Crisis anvertrauen.
Zieht doch gleich Crocs an! Die sind auch bequem, und steckt die Hose in die geringelten Socken mit Rutschstopper und Anti-Hornhaut-Sohle. Dazu passt das versetzt-geknöpfte Hemd mit dem Kaffeefleck von vorgestern und die Handytasche am Gürtel. Von farblich abgestimmten XXL-Hoodies, diesen Couture-Exoskeletten als Zeugnis des alltäglichen Scheiterns, fange ich gar nicht erst an. Lieber brenne ich auf ewig im Fegefeuer der Eitelkeiten als einen Tag in Funktionskleidung zu verbringen.
Nicht auf Menschen eintreten, die bereits am Boden liegen – für diesen Text musste ich einen Grundsatz brechen. Es ist allerdings genauso journalistische Pflicht, Missstände in der Gesellschaft anzukreiden, in der Hoffnung zu ihrer Beseitigung beizutragen.

 

Foto: Helena Falk

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