Ein Heldentod

Theaterhaus Jena eröffnet Spielzeit mit Gotham City I

Von Christian Fleige


Gotham City 2

Er hat dringende Geschäfte zu erledigen…

Foto: Joachim Dette/Theaterhaus Jena

In der Stadt Batmans, in Gotham City, gibt es eine Psychiatrie, die je nach Erzählung mal auf einer kleinen Insel vor der Küste, mal unmittelbar im Zentrum liegt: „Arkham Asylum“. Eine Einrichtung für die geistig Versehrten der fiktiven Metropole: Die perversesten und brutalsten Gegenspieler Batmans wie Joker oder Two-Face sitzen hier ein. In der erfolgreichsten Batman-Geschichte aller Zeiten, „Batman: Arkham Asylum“, herrscht der psychopathische Spaßvogel Joker nach einem Aufruhr über die Nervenheilanstalt und ködert die Fledermaus mit totgeweihten Geiseln. In der Irrenanstalt begegnen sich die Erzfeinde auf Augenhöhe. Der unantastbare Rächer erscheint unwirklich klein und schwach, Verdrängtes kämpft sich ins Bewusstsein: Bruce Waynes Eltern sterben von Neuem. Der Held verkommt zum Versehrten.

Düsteres Sozialgefüge

In „Gotham City I – Eine Stadt sucht ihren Helden“, dem neuen Stück von Rebekka Kricheldorf am Theaterhaus Jena, spielt das Alter Ego von Bruce Wayne nur eine marginale Rolle. Hier wird ein Comicstrip hergezeigt, dort taucht seine Verkleidung mit falscher Füllung auf einem Kostümfest auf. In dem von Markus Heinzelmann inszenierten Gotham City versucht ein anderer für Recht und Ordnung einzustehen: der in seinen Fähigkeiten limitierte Sheriff Gordon Biff (Mohamed Achour). Seine Einführung auf dem Scheißhaus spricht Bände. Ein Möchtegernheld. Batman wurde nie beim Kacken gezeigt. Verhaftungen von dealenden Kleinkriminellen, die die Stadt mit Drogen überschwemmen, sind Biffs große Erfolge, die er bei der Frau seiner Träume, der egozentrischen Forscherin Sybill Clark (Zoe Hutmacher), nicht zu feiern weiß. Beim Wundenlecken helfen dem Versager eine Motivationskassette und jene Psychopharmaka, die ihm der misanthropische Therapeut Mappelthorpe (Ralph Jung) verschreibt. In seiner Praxis geht die halbe Stadt ein und aus, hier laufen die Abgründe der Metropole zusammen. Sybill Clark, Objekt der Begierde Biffs und Ex-Frau von Mappelthorpe, arbeitet in eine ähnliche Richtung: Sie möchte einem jeden eine zweite Chance ermöglichen, möchte mit Chemie die Seele reinigen, ihr einen Neustart zuschustern. Eine Katharsis durch einmaliges Schlucken, das Heilung von Pädophilie und Traumata verspricht.
Das theatralische Gotham City von Kricheldorf ist ein gut inszenierter, bedrückender Moloch, dessen spannende Bildwelten durch schnelles Spiel und den regelmäßigen Drehbühneneinsatz an Fahrt aufnehmen, sodass in mancher Szene beim Publikum der Eindruck entsteht, man sitze nicht mehr im Theater, sondern im Kino. Ferner verwischt der Einsatz von Kamera und Beamer, von Zwischentiteln, Surfmusik, die an Tarantino-Filme erinnert, und einer rauchig-rauen Erzählstimme aus dem Off die Grenze zum Film. Eingesprochen wurde das Voice-Over von Thomas Thieme und es kann als Verweis, als Ortsausgangsschild gelesen werden, erinnert es doch stark an die Off-Sprecher in der Verfilmung der Sin-City-Comics. Der Zuschauer verlässt Gotham City und fährt gen Sin City, die Stadt der Sünde, geschaffen vom Zeichner Frank Miller. Ein langer Abstieg. Denn in Sin City, da gibt es keine Helden. Nur wenige, die für einen kurzen Moment Gutes tun. Finsternis, blutrünstige Gewalt und Perversion herrschen ringsum. Abgetrennte Gliedmaßen und durchlöcherte Hoden gehören zum guten Ton.

Keine Helden mehr

Diese im Stück vollzogene Verwebung der beiden berühmten Comic-Erzählungen stellt die Idee des Heros zur Disposition. Gotham City, die Stadt Batmans, ist heldenlos. Es gibt Profiteure, Gewinner und moralisch halbwegs Integere, aber wie in Sin City sind letztere das Produkt einer Momentaufnahme – Vergänglichkeit hängt ihnen an. Bei fehlender Kontinuität wird der Held von gestern zum Tyrannen von morgen. Und es ist genau die­se Ambivalenz, die sich auch bei der Comic-Figur Batman finden lässt. In seinem Duell mit dem Joker im „Arkham Asylum“ lässt er die Chance zur Flucht verstreichen und sagt beim Gewahrwerden seiner Triebhaftigkeit: „Sometimes it‘s only madness that makes us what we are.“ Stück und Comic skandieren im Einklang: Der Held, der Heros, in seiner ursprünglichen Form ist abgeschafft. Lohnenswert ist beides: das Lesen und der Theaterbesuch.

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