Mehr als sechs Quadratmeter

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Ende März soll das Asylbewerberheim in Jena bezugsfertig sein

Von Johanne Bischoff

Die Schuluhr ziert noch den Giebel des großen weißen Gebäudes. Im Eingangsbereich, in dem es nach frischer Farbe riecht, liegen Gipskartonplatten und Dämmmaterial. Um ein neu eingesetztes Fenster herum, an dem die Anmeldung beim Pförtner stattfinden wird, trocknet der Putz.

Im Büro von Samvel Babayan herrscht Funktionalität und ein Flair vergangener Zeiten, doch ist es gemütlich. Tee und russische Süßigkeiten werden gereicht. Babayan leitet das Übergangswohnheim für Asylbewerber in der Schulstraße 11. Zur Zeit sind die Zimmer leer. Abgesehen von ein paar Handwerkern, die gerade ihre Frühstückspause in einem der Räume machen und nebenbei Radio hören, sind nur Babayan und seine Mitarbeiterin im Haus.
Bisher lebten hier ausschließlich sogenannte Kontingentflüchtlinge, das sind laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge „Flüchtlinge aus Krisenregionen, die im Rahmen internationaler humanitärer Hilfsaktionen aufgenommen werden“ – im Fall von Jena sind das Juden, die aus einem der Staaten der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland kommen. Deren Zahl sinkt aber seit einigen Jahren. „Das Thüringer Landesverwaltungsamt hat ganz klar signalisiert, dass Jena in Zukunft auch nicht-jüdische Flüchtlinge aufnehmen muss“, erklärt Dörte Thiele, Beauftragte für Migration und Integration in Jena. Laut Gesetz ist die Stadt dann jährlich zur Aufnahme von 67 Menschen verpflichtet.
Für Thiele stellt dabei gerade die prekäre Wohnungssituation in der Stadt ein Problem dar. „Das Heim in der Schulstraße ist damals für Spätaussiedler konzipiert worden, die in sehr großen Familienverbänden nach Deutschland kamen.“ Sie hätten schon große Schwierigkeiten gehabt, die jüdischen Flüchtlinge, die im Heim gelebt hatten, mit Wohnraum zu versorgen.

Ein Schritt zu Privatsphäre

„Wir verändern im Moment die Aufteilung der Zimmer“, erklärt Babayan und weist dabei in einen der neu entstandenen Räume. Länglich, ungefähr 15 Quadratmeter groß, ein Waschbecken, am Ende ein Fenster mit Blick auf ein Nachbarhaus. Die Wände sind gelb gestrichen, wie fast überall im Haus. Neben einem großen Gemeinschaftsraum werden auch Küche, Waschküche und sanitäre Anlagen zusammen genutzt. „Wir haben versucht dem Wunsch nachzukommen, Kochgelegenheiten in die Zimmer zu integrieren, aber aus brandschutztechnischen Gründen ist das nicht umsetzbar.“
Stephan Tetschke, Teamleiter im Amt für Soziales, scheint zufrieden zu sein. „Die großen Zimmer mussten weg, sonst hat man nur Ärger. Die Leute sollen sich hier auch wohlfühlen.“ Jeder Bewohner soll im Schnitt etwa elf Quadratmeter Lebensraum bekommen, das Gesetz schreibt sechs vor.
Theoretisch entsteht so Platz für 75 Asylbewerber. „Die Auslastung werden wir aber nicht voll erfüllen, denn für den Erhalt der Privatsphäre bleiben dann ein paar Betten unbelegt“, sagt Thiele. Demnächst wird auch ein neues Sicherheitssystem im Heim eingeführt. Besucher müssen sich dann an der neuen Pforte ausweisen; die Bewohner werden eigene Schlüssel bekommen, damit sie unabhängig das Haus betreten und verlassen können. Dabei ist anzunehmen, dass Kontrolle eine gewisse Rolle spielt. Denn nur wer weiß, dass ein Flüchtling abends nicht in seinem Zimmer ist, kann im Zweifelsfall Strafen wegen Verletzung der Residenzpflicht verhängen.
An anderer Stelle scheint die Stadt aber für die Flüchtlinge aktiv zu werden: Oberbürgermeister Albrecht Schröter steht gerade in Verhandlung mit der Sparkasse, um den Flüchtlingen einen Kontozugang zu ermöglichen und so das kritikwürdige Gutscheinsystem zu umgehen: „Wir haben hier momentan weniger als 30 Menschen, die in regulären Asylantragsverfahren stecken oder eine Duldung haben, aber die leben in eigenen Wohnungen. „Wenn die Personen einen eigenen Haushalt haben, greift das Gutscheinsystem nicht.“ Auf der menschlichen Ebene wollen die Stadt und der Oberbürgermeister keine Gutscheine, der Handlungsspielraum für die Kommune sei jedoch eingeschränkt. „Nach Analyse der Gesetzestexte haben wir es so gelesen, dass Bezüge in Form von Gutscheinen gewährt werden sollen, aber dort steht nicht, dass das ausschließlich so sein muss“, erklärt Thiele. „Wir wollen, dass die Flüchtlinge Konten bekommen. Dort werden alle Gelder gutgeschrieben.“ Außerdem ist sowohl die Ausgabe von Gutscheinen als auch von Bargeld mit einem ernormen Aufwand verbunden.
Dörte Thiele ist sich sicher, dass es einen Dissens geben und dieses Vorgehen auf Widerstände stoßen wird, aber dem will sich der Oberbürgermeister stellen. In anderen Bereichen wie der Abschaffung der Residenzpflicht sei es schwieriger.
Miloud Cherif vom Flüchtlingsforum „The Voice“ ist insgesamt skeptisch. Er fordert, dass Flüchtlinge nicht in „Lagern“ leben müssen: „Ein Lager, das für Flüchtlinge gebaut wurde, ist immer ein Lager nur für Flüchtlinge. Damit entsteht Isolation. Für die Behörden“, kritisiert Cherif, „ist damit die Abschiebung leichter und bleibt vor den Augen der Gesellschaft verborgen.“

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