Literaturguerilla

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Zwischen Buch und Bühne: Jenas junge Literatenszene

Von Dirk Hertrampf und Maria Hoffmann




Pendlerbeschallung: Literarische „Untergrundaktivisten“ bei der Arbeit.

Foto: Jan-Henrik Wiebe

Als Peter mit seinem Germanistikstudium anfing, hatte ihn – kurz vor seinem Auszug von zuhause – seine Freundin Kristin verlassen. Er versuchte seinen Schmerz als Inspiration zu nutzen und hat eine Reihe Gedichte über die Trennung geschrieben. In kaltem, fast sterilem Ton schilderte er die Beziehung und ihr Ende, stilistisch ganz seinem großen lyrischen Vorbilds Gottfried Benn nacheifernd.

Peters Kommilitonen lassen gern halboffensichtlich kleine gelbe Bücher aus ihren abgewetzten Ledertaschen schauen, auch er ging nicht mehr ohne seine Ausgabe der „Wahlverwandtschaften“ von Goethe aus dem Haus. Zwischen all den jungen Menschen, die sich in der Mensawarteschlange vor ihm die Beine in den Bauch stehen oder sich in der Thulb unter staubtrockenen Fachbüchern vergraben, wird es doch sicherlich auch den einen oder anderen geben, dem Peters Gedichte zu Herzen gehen könnten, oder? Vielleicht ist da ja sogar eine schöne junge Studentin, die zwar nicht Kristin heißt, aber dennoch seine Gedichte wundervoll findet.
„Sobald im Oktober das Semester anfängt, ist Jena um mindestens zwanzig bis dreißig Autoren reicher“, sagt Romina Voigt, Mitveranstalterin der Lesereihe „Lautschrift“ im Kunsthof. „Das Schöne ist auch, dass wir nicht unbedingt die einzige Anlaufstelle sind“, ergänzt sie. Jena besitzt eine rege Literaturszene. Das Netzwerk ist gut ausgebaut, jeder kennt jeden; Schreiber und solche, die es werden wollen, treffen sich und tauschen Erfahrungen aus. Neben der Lautschrift, die während des Semesters einmal im Monat Zuhörer in den Kunsthof lockt, existieren noch die unregelmäßig stattfindenden „Lichtkegel“-Lesungen, und im Winterhalbjahr gibt es jeden letzten Sonntag im Monat den Livelyrix-Literatursonntag im Kassablanca. Gute Aussichten also für Peter und seine Gedichte.
„In dem Moment, in dem man sich in die Öffentlichkeit stellt, muss man manchmal schon ein paar harte Reaktionen aushalten. Es hat hier noch nie jemand mit Tomaten geworfen und ich habe noch nie ein ,Buh‘ gehört, aber man merkt es schon, wenn so eine gewisse Skepsis und Missfallen vom Publikum auf die Bühne wabern“, meint Moritz Gause, Rominas Kompagnon bei der Lautschrift. Peter war damals, kurz vor der ersten Lesung seiner Gedichte, nervös. War es eine gute Idee, bereits im dritten Semester mit seiner Lyrik ins Rampenlicht zu treten? Oder würden die Zuhörer faules Gemüse schleudern?

Lyrik statt Tomaten

Die Verbindung von Bühne und Publikum spielt für die Literaturszene in Jena sowieso eine große Rolle, was die Menge an Lesungen und Lesezirkeln erklärt. „Es ist auch einfach interessant, den Autor zu sehen, seine Stimme zu hören und seinen eigenen Text wirklich zu erleben“, sagt Romina. „Ein ganz junger Autor, der selber noch nicht so richtig weiß, wo er hin will, würde bei einer Veranstaltung, wo es wirklich darauf ankommt, untergehen. Wir sind auch ein bisschen dafür da, dass man Leute, die ihr Ziel noch nicht hundertprozentig kennen, in einem relativ geschützten Raum einfach mal auf die Bühne lassen kann.“
Peter hatte seine erste Lesung überstanden und war zufrieden. Das Publikum ist zwar nicht in frenetischen Jubel ausgebrochen, hat ihn aber auch nicht ausgebuht. Er nimmt sich vor, seine Gedichte nochmal zu überarbeiten und hat auch schon ein paar Ideen für neue Texte. Außerdem möchte er von einer reinen Nachahmung von Benns Stil wegkommen und eine eigene Stimme entwickeln. Vielleicht kann er ja auch irgendwann mit der Lyrik seinen Lebensunterhalt bestreiten?
„Man muss sich damit abfinden, dass man mit Literatur heute kein Geld verdienen kann“, meint Moritz. Romina stellt richtig: „Man kann Geld damit verdienen, aber das reicht nie zum Leben.“ „Die wichtigste Finanzierungsquelle sind Stipendien und Preise“, führt Moritz aus. Glücklicherweise sieht es auch in Thüringen ganz gut aus. Seit 2005 wird alle zwei Jahre der „Thüringer Literaturpreis“ ausgeschrieben, seit 2009 das Thüringer Harald-Gerlach-Literaturstipendium, und der Lese-Zeichen e.V. vergibt eine Autorenwohnung. An Fördermöglichkeiten mangelt es also nicht. Ein weiterer Preis wird vom Fachschaftsrat Germanistik der FSU jedes Wintersemester verliehen. „Es werden die ersten drei Plätze prämiert, außerdem werden Texte für den Publikumspreis nominiert, der dann erst bei der Preisverleihung vergeben wird. Man kann entweder Prosa oder bis zu drei Gedichte einschicken“, erklärt Linn Dittner, Mitglied des FSR, das Procedere. Der Hauptpreis ist die Rückerstattung eines Semesterbeitrags. Auch sie hält es für sehr wichtig, sich heutzutage mit den eigenen Texten auf die Bühne zu stellen. „Ich denke, gerade in Zeiten, in denen neue Sachen wie etwa Poetry-Slam immer mehr im Kommen sind, wird es zunehmend wichtiger, dass man seine Texte gut vortragen kann und auch die Gäste mit einbezieht.“
Peter hatte sich bereits beworben, auf die Einsendung seiner Gedichte im Stile Benns jedoch verzichtet. Als er dann mit Louisa zusammengekommen war, waren ihm diese alten, noch arg von Eindrücken aus dem Deutschunterricht gefärbten Texte fast etwas peinlich.
Neben gemeinnützigen Vereinen und den Angeboten, die von Studenten oder aus der Universität selbst kommen, gibt es auch eine Reihe von städtischen Förderinstitutionen und -aktionen. Die Ernst-Abbe-Bücherei hat im letzten Jahr etwa dreißig Lesungen veranstaltet, außerdem den Lesemarathon im Oktober und November. Jenakultur vergibt zusammen mit dem Theaterhaus alle drei Jahre den „Jakob-Michael-Reinhold-Lenz-Preis für Dramatik der Stadt Jena“ und schreibt auch die Stelle des Jenaer Stadtschreibers aus. Autoren erhalten hier die Möglichkeit, ein halbes Jahr in der Villa Rosenthal zu wohnen und sich literarisch mit Jena und seiner Geschichte auseinanderzusetzen. Im zweiten Halbjahr 2011 hatte die Lyrikerin Nancy Hünger dieses Stipendium inne. Peter hält dieses Amt in seiner jetzigen Position als Hobbylyriker noch für zu ambitioniert. Stattdessen steckte er die Gewinne seiner bisherigen Lesungen in Jena und Erfurt lieber zusammen mit seinen anderen Ersparnissen in einen Sommerurlaub mit Louisa in Rom.
„Es ist für Schriftsteller ein ausgesprochener Luxus, ein halbes Jahr lang unbehelligt arbeiten zu können und wirklich nur das eigene Projekt zu verfolgen. Aber ich würde nicht sagen, dass sich durch den Aufenthalt in Jena meine Art zu Schreiben verändert hat. Man hat im Idealfall bereits seinen Ton gefunden und dieser verändert sich nicht grundsätzlich durch einen Ort. Der Ort geht in die Texte ein, indem man auf ihn reagiert“, resümiert Nancy Hünger ihre Zeit als Stadtschreiberin. Was die Jenaer Lesebühnen angeht, zeigt sie sich begeistert: „Es gibt unglaublich viele literarische Veranstaltungen! Ich komme aus Erfurt, da fällt das Angebot – wie mir scheint – nicht ganz so üppig aus.“ Sie fühlt sich als Künstlerin in Thüringen gut aufgehoben, und meint, dass ihr viel geboten wird.
Romina und Moritz sehen die Situation etwas düsterer. Für junge Schriftsteller gebe es im Verlagsbereich nicht viel, meinen sie. „Es gibt etwa die Edition Muschelkalk der Literarischen Gesellschaft Thüringen, aber im Bereich von Verlagen sind es dann eher so Wald- und Wiesensachen. Wo halt Gretchen Müller auch mal ihre Naturlyrik präsentieren kann“, meint Romina kritisch.

Jenakrimi gesucht

Grit Werner, Lektorin im Verlag Neue Literatur aus Jena, erklärt hingegen, dass es wenige Anfragen junger hiesiger Autoren gibt. „Wir betreuen Autoren aus ganz Deutschland, da viele im Internet nach Verlagen recherchieren – erstaunlicherweise besonders viele aus Westdeutschland. Es sind im Vergleich jedoch genauso viele aus Jena wie etwa aus München oder Berlin. Wir wären dankbar, wenn wir beispielsweise mal einen Jenakrimi bekämen, aber das ist bisher leider noch nicht passiert.“ Annika Tittelbach-Helmrich, Lektorin bei Bussert & Stadeler, dem Schwesterverlag des Verlags Neue Literatur, ergänzt: „Es ist auch eine Zeitfrage. Gerade in dieser Literaturszene passiert sehr viel auf der Bühne und in Zeitschriften. Diese Menschen versprechen sich auch von einem traditionellen Verlag nicht so viel, sie wollen gar nicht die dicke Schwarte liegen haben, das ist ein ganz anderes Literaturerleben.“
Aus Sicht der Verlage liegt die geringe Zahl an Veröffentlichungen junger Autoren in Thüringer Verlagen also nicht an der mangelnden Qualität der Texte, sondern an unterschiedlichen Zielgruppen und Erwartungen in Bezug auf Literaturrezeption.

Kein Dünkel

Wieder ein anderes Verständnis äußert Tobi Krone vom Campusradio, Mitorganisator der Straßenbahnlesung im Rahmen des Eulenfreundefestivals im Januar: „Der gehobenen Literatur, da ist Slam jetzt ausgenommen, hängt etwas Dünkelhaftes an, so eine bildungsbürgerliche Arroganz. Aber wir sollten uns auch einmal bewähren in der Öffentlichkeit, bei den sogenannten normalen Menschen.“ Seiner Meinung nach hat das mit der Straßenbahnlesung gut funktioniert, jedenfalls gab es mehr positive Stimmen als Meckerer. Auch wenn die Organisation nicht perfekt funktioniert hat, zieht Tobi eine positive Bilanz. Moritz pflichtet ihm bei: „Ich sehe es auch gar nicht als den Fokus, dass es technisch perfekt ist, sondern dass man einfach die Leute mit Literatur konfrontiert, und zwar an einem Ort, wo sie es nicht erwarten. Dadurch schafft man Offenheit.“ Die Jenaer Literaturszene hat also den Wunsch auszubrechen. Für Moritz bedeutet das „Literaturguerilla: Unerwartet hinter dem Busch hervorspringen.“ Und Romina ergänzt: „Etwas undergroundig ist schon cool.“
Peter war inzwischen mit einem Koffer voller neuer Gedichte aus Rom zurückgekommen. Er saß gerade an seiner Bachelorarbeit, experimentierte nebenbei mit klassischen Formen und schrieb erotische Sonette. Er plante zusammen mit Freunden eine Lesung in der Mensa, eine Art literarische Intervention im öffentlichen Raum.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass es um die Literatur in Jena gut bestellt ist. Es gibt verschiedene Veranstaltungen für unterschiedliche Publikumsgeschmäcker, interessierte Hobby-Autoren können leicht einsteigen, es existieren viele Angebote und Preise und ebenso Möglichkeiten sich zu professionalisieren. „Jena ist eine relativ kleine Stadt, dadurch ist alles überschaubar. Wir sind zwar mehrere Gruppen, konkurrieren aber nicht miteinander, sondern arbeiten zusammen“, resümiert Steve Kußin, Organisator der „Lichtkegel“-Lesereihe.
Die Kommunikation mit Verlagen vor Ort könnte verbessert werden, aber gerade der Anspruch, Personen an ungewöhnlichen Orten mit Lyrik und Kurzprosa zu konfrontieren, wird sich wohl durch die Veröffentlichung in einem traditionellen Verlag nicht verwirklichen lassen. So wird ein Teil der Literaturbewegung wohl auch weiterhin an der Vergänglichkeit des gesprochenen Wortes haften bleiben und dafür direktere Rückmeldungen erhalten. Vielleicht gelingt es in Zukunft noch besser, den Literaturbetrieb in Jena weiter ausstrahlen zu lassen und Lesungen auch außerhalb der „A4-Kulturschiene“ von Erfurt nach Gera zu veranstalten. Peter hat sich im Übrigen gegen die Veröffentlichung seiner Gedichte in der Edition Muschelkalk entschieden. Er verspricht sich mehr vom Vortragen seiner Lyrik bei Lesungen. Louisa hat ihn verlassen, weil sie sich in ihrem Auslandssemester in einen anderen Mann verliebt hat. Die Gedichte, die er über diese Trennung geschrieben hat, klingen überhaupt nicht nach Benn und er wird sie auch niemandem vorlesen.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Otto

    Es gibt doch bereits einen Jena Krimi..?

    JenYoung:
    der ultimative Jena-Krimi ; aus den Abgründen der Wissenschaft ..

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