„Der Wind ist härter geworden“

Rektor Klaus Dicke über die Folgen des Bologna-Prozesses

Das Gespräch führten Norbert Krause und Matthias Benkenstein

Foto: FSU/Rektorat

Rektor Dicke, Mitte Juni wollen die Studenten bundesweit für eine bessere Bildung streiken. Wogegen würden Sie protestieren?
Ich vermute mal gegen Einengungen, die der Bologna-Prozess mit sich bringt – da, wo sie existieren. Sie existieren nicht überall. Es gibt durchaus Bereiche, in denen die Bologna-Umstellung sehr gut gelungen ist. Es würde davon abhängen, was ich studiere.

In welchem Fach würden Sie denn protestieren?
Das kann ich so nicht sagen. Es ist ja auch eine Frage, wann die Schwelle zum Protestieren überschritten ist. Da muss schon einiges an Frustration da sein.

Könnten die genannten Einengungen der Auslöser sein? Was genau meinen Sie denn damit?
Zum Beispiel die Verstetigung von Prüfungssituationen über das ganze Studium hinweg, die Modularisierung oder die Einengung von Freiheiten in der Studiengestaltung. Es sind hier ganz neue Situationen entstanden, auf die man sich einstellen muss. Man darf aber nicht erwarten, dass das so schnell geht, das kann schon eine Studentengeneration dauern.


Führt diese „neue Situation“ nicht auch zu einer Verschulung des Studiums?

Ich kann diese Kritik verstehen und ich bin gewillt, sehr genau hinzugucken und hinzuhören, was da dran ist und was man tun kann, um die Dinge zu verbessern. Ich bin aber nicht unbedingt der Meinung, dass man damit automatisch Leistungsanforderungen heruntersetzen muss. Wir haben gerade die umfangreichste Studienreform seit den 60er Jahren durchgeführt. Da kann man nicht erwarten, dass man einfach auf einen Knopf drückt und sie sofort fertig ist. Das wäre völlig absurd. Da muss man wirklich miteinander reden und überall hingucken, um zu sehen, was und wie man etwas verbessern kann.

Gibt es schon erste Ideen oder Lösungsansätze, um die Reform weiterzuentwickeln?

Erst in der letzten Woche haben wir uns mit den Studiendekanen zusammengesetzt und am Ende des Semesters werden wir uns in zwei Runden mit Studierenden aus den einzelnen Fächern zusammensetzen. Dann wollen wir mal hören, wie die Rückmeldungen sind, was man besser machen kann und wo man nachjustieren muss. Ein erster Punkt sind beispielsweise die Bibliotheksöffnungszeiten.

Und außerdem? Haben Sie nicht eine bestimmte Sache im Kopf, an der jetzt schon dringend nachjustiert werden muss? Was antworten Sie einem Protestierenden auf dem Campus, der Sie fragt, was Sie als Erstes tun?
Ich möchte wirklich erst prüfen, wie das mit den Prüfungsbelastungen ist. Und ich möchte sehen, dass man im Studium auch den Eindruck hat, dass man ein Stück Freiheit verwirklicht. Freiheit und Leistung sind im Übrigen keine Widersprüche, ganz im Gegenteil.

Prorektor Koschmieder sagt bereits, dass die permanente Prüfungsbelastung wieder zurückgefahren werden soll.
Ja, in der Tat. Das können Sie doch beobachten, dass mit der steigenden Prüfungsbelastung automatisch Stress entsteht. Deshalb müssen wir überlegen, wie man dem entgegenwirkt. Möglicherweise durch Reduzierung, möglicherweise durch Rationalisierung, möglicherweise durch mehr Studienberatung. Wie gesagt: möglicherweise. Ich sage nicht, dass das überall der Fall ist.

Das ist natürlich auch eine Frage des Geldes. Können Sie kurz und knapp zusammenfassen, wie es der Uni Jena momentan finanziell geht?
Das kann man nicht in wenigen Worten sagen. Ich bin schon der Auffassung, dass man, was die Grundausstattung in der Lehre angeht, noch zulegen muss – beispielsweise sind wir mit Räumen sehr knapp, brauchen also mehr Raummittel. Gar nicht so schlecht sind wir bei der Einwerbung von Drittmitteln für Forschung, auch was den Vergleich mit den anderen neuen Ländern angeht.

Wie hat sich das in den letzten Jahren aus Ihrer Sicht entwickelt?

Es sind zwei Faktoren, die man da berücksichtigen muss. Der eine ist: Wir haben speziell hier in den neuen Ländern Mitte der 90er Jahre eine Betreuungsrelation gehabt, die traumhaft war. Die haben wir inzwischen verloren. Dadurch haben wir einen komparativen Vorteil eingebüßt, der im Grunde genommen wirklich nur durch Personalaufstockungen wettzumachen wäre. Der zweite Punkt ist, dass Sie mit Bologna einen höheren Beratungsbedarf haben. Diese Rechnung ist von der Politik einfach nicht eingelöst worden. Die Reform ist umgesetzt worden, ohne dass das Personal, dass eigentlich erforderlich wäre, um das wirklich sinnvoll und gescheit machen zu können, da gewesen ist. Deswegen müssen wir sehen, wie wir nun zurande kommen.

Das heißt, die Uni war bereits unterfinanziert und musste dann auch noch den Bologna-Prozess stemmen? Wäre das nicht ein Grund zu protestieren?
Was heißt „wäre“? Es ist ein Anlass, um beständig darauf hinzuweisen, dass wir beim Personal in der Lehre zulegen müssen. Das tun wir bei jeder Gelegenheit, sei es bei der Verabschiedung des letzten Hochschulpakts in Thüringen oder bei der Verabschiedung des Hochschulpakts 2020.

Sie sind ein Fan von Studiengebühren. Wann kommen denn Studiengebühren in Thüringen?
Ich bin Realist und weiß deswegen, dass ich in meiner Amtszeit keine allgemeinen Studiengebühren erleben werde. Wir haben Langzeitstudiengebühren, die wir für die Verbesserung der Lehre einsetzen. Aber andere werden wir in Thüringen vorerst nicht kriegen.

Das klingt, als seien Sie darüber traurig…

Ich habe mir abgewöhnt in Hinblick auf Fakten der Politik traurig oder nicht traurig zu sein. Wir haben sie nicht. Das wird ja auch vom Freistaat Thüringen ganz bewusst als Wettbewerbsfaktor eingesetzt – gar nicht zu unrecht. Auch wir machen das.

Seit dem Uni-Jubiläum finanziert sich die FSU auch auf eine neue Art und Weise: durch Sponsorengelder von Firmen wie Jenoptik oder der Commerzbank. Als Gegenleistung werden Hörsäle nach ihnen umbenannt.
Ich wäre ja happy, wenn ich davon auch nur eine einzige Stelle besetzen könnte. Die Hörsaalumbenennung ist schlicht und ergreifend darauf zurückzuführen, dass wir das Jubiläumsjahr mit Mitteln aus dem öffentlichen Haushalt der Universität nicht hätten feiern können. Das ging nur mit Sponsorengeldern. Auch das Geld für den Habil.-Preis kommt von der Commerzbank, das Geld für den Lehrpreis von der Sparkasse. Das ist eine sinnvolle Angelegenheit.

Kritiker befürchten, dass die Hörsaalumbenennungen nur der Anfang sind und dass die Wirtschaft immer mehr Einfluss gewinnt, sodass von einer freien und kritischen Universität irgendwann nicht mehr gesprochen werden kann.
Das darf nicht passieren und ich bin dankbar für diese Sensibilität. Wir haben im Akkreditierungsprozess erlebt, dass wir Vertreter der sogenannten Praxis hatten, die da sehr nassforsch ihre nackten Interessen präsentiert haben. Das können wir nicht akzeptieren, es muss ein akademisches Studium bleiben. Es ist also richtig, aufzupassen, dass das nicht ausufert und man nicht abhängig wird. Im Fall Commerzbank ist das aber wahrlich nicht gegeben. Man darf das Kind auch nicht mit dem Bade ausschütten.

Sie sprachen vom Einfluss der Praxis auf die Uni, womit wir auch beim Thema Universitätsrat sind. Darin sitzen Vertreter von Wirtschaft und Politik. Haben Sie dort auch die Sorge, dass deren Einfluss im höchsten Gremium der Universität zu groß werden könnte?
Beim derzeitigen Zuschnitt des Universitätsrats habe ich die Befürchtung nicht. Das hängt mit den Kompetenzen zusammen, die das Gremium hat. Die Wahl des Rektors kann beispielsweise nicht vom Unirat allein bewerkstelligt werden, hier ist auch der Senat gefragt. Sie müssen immer sehen, wie ein solches Gremium in Relation zu anderen steht und da habe ich schon Zweifel, ob Sie richtig liegen mit dem „höchsten Gremium“. Es gibt immer noch einen Senat und ich betrachte das Zusammenspiel und das Austarieren der Kompetenzen als eine ausgesprochen wichtige Angelegenheit.
In den Unirat wird immer soviel hineingeheimnisst, da wird getan, also ob da Gott weiß was passiert. Da sitzen nur zwei Wirtschaftsleute drin – von zehn. Es gilt das Prinzip: Mehrheit Universität. Gerade in der Mischung liegt der Sachverstand als Gremium begründet.

Es sitzt aber kein Student im Gremium.
Nö, kein Student. Trotzdem ist Mitwirkung möglich.

Hätte der studentische Vertreter nicht auch mehr als nur eine beratende Stimme bekommen können?
Wenn es zum Beispiel um personalrechtliche Konflikte geht, kann das problematisch sein.

Im Senat geht das doch auch…
Das ist richtig. Aber wie gesagt: Im Unirat halte ich das für schwierig, gerade wenn personalrechtliche Fragen auf der Tagesordnung stehen. Ich finde aber, dass das eine Rolle ist, aus der man etwas machen kann. Der Vorsitzende des Unirats hat auch beim letzten Mal darum gebeten, eine Stunde vor der nächsten Sitzung mit dem Stura-Vorstand zu reden.

Um noch einmal auf die Bachelor- und Masterumstellung zu sprechen zu kommen: Wie werden die Übergangsquoten vom Bachelor zum Master geregelt?
Es gibt keine Quoten.

Wenn nur ein Bruchteil der Bachelorstudenten weiterstudieren kann, weil es nur sehr wenige Masterplätze gibt, könnte man das schon Quote nennen. Stellt das nicht eine Einschränkung des Weiterstudierens dar?
Ja, das ist aber auch gleichzeitig eine Maßnahme der Qualitätssicherung. Das geht nicht ohne Einschränkungen. Aber lasst uns doch erstmal abwarten. Warum immer dieses Von-vornherein-Festlegen? Haben Sie doch mal ein bisschen Geduld und lassen sie die Sachen doch mal wachsen. Wenn mehr Masterplätze benötigt werden, dann müssen wir überlegen, ob und wie das möglich ist. Grundsätzlich haben wir mehr Master- als Bachelor-Studiengänge im Angebot.

Beim Bildungsstreik werden alle diese Themen noch einmal angesprochen. Halten Sie den Streik für einen geeigneten Weg, Protest zu äußern?
Im Grunde genommen sind wir da wieder beim Thema. Mit Bologna ist der Wind im Studium härter geworden. Ob man sich eine Woche Streik leisten kann, da habe ich meine Fragezeichen. Aber ich glaube schon, dass man sich die Zeit nehmen muss, um über diese Dinge gründlich zu diskutieren. In Jena gab es ja zum Beispiel schon die Alternative Universität, was ich für eine wunderbare Angelegenheit halte.

Würden Sie eine Amnestie für Streikteilnehmer befürworten?
Nein. Einzelheiten überlasse ich den weisen Urteilen der Hochschullehrer vor Ort.

Würden Sie zum Streik gehen oder mit den Streikenden reden?
Natürlich bin ich daran interessiert, wenn Studenten ihre Probleme auf den Tisch legen. Dann soll das aber lieber in einem Hörsaal stattfinden, da kann man besser reden.

Ist das ein Angebot?

Ja, wenn die wollen, natürlich. Aber dann lege ich auch Wert darauf, dass man differenziert reden kann.

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