Protest statt Proseminar

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Über die Ziele des Mitte Juni stattfindenden Bildungsstreiks

Von Philipp Böhm

Studentenprotest anlässlich der Hochschulrektorenkonferenz 2008 in Jena.
Foto: Akrützel-Archiv

Wer sich schon lange über die Lehre an den Universitäten aufregt, wem schon beim Gedanken an den nächsten überfüllten Seminarraum übel wird, wer den Bachelor liebend gern dorthin schicken würde, wo der Pfeffer wächst, dem bietet sich nun die Gelegenheit, seinem Ärger Luft zu machen.
Ein breites Bündnis ruft zum bundesweiten Bildungsstreik vom 15. bis 19. Juni auf. Auch in Jena sind Aktionen geplant, um auf Missstände im Bildungssystem aufmerksam zu machen. So sollen am Mittwoch, den 17. Juni, alle Schüler und Studenten raus aus Klassenzimmern und Hörsälen und auf die Straße, um zu demonstrieren. Beteiligt sind verschiedene Studenten- und Schülerorganisationen von den „Internationalen Marxistinnen“ über die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) bis zu den Jusos.
Die derzeitigen Entwicklungen seien so nicht mehr tragbar: „Jeder bekommt es mit, das Studium ist verbesserungswürdig und auch verbesserungsfähig“, sagt Stephanie Borck vom Bildungsstreikbündnis in Jena. Dabei werden nicht nur die Probleme der Studenten angesprochen: Auch die Situation der Schülerinnen und Schüler bleibt nicht außen vor, genauso wenig die Auswirkungen der Reformen auf die Lehrenden. Die Bewegung sucht zudem den Schulterschluss mit den Streikenden in den Kindertagesstätten und möchte sich auch für Dozenten in prekären Beschäftigungsverhältnissen stark machen. Sowohl Lehr- als auch Lernbedingungen müssten öffentlich kritisch thematisiert werden. Schließlich sind sie alle Teil des Bildungsapparats.

Menschen, keine Maschinen

Das Bündnis setzt sich für freien Zugang zu den Hochschulen, eine freie und unabhängige Lehre sowie für mehr demokratische Mitbestimmung an den Hochschulen ein. Zu den Kritikpunkten zählt die miserable Umsetzung der neuen Abschlüsse, die zur Verschulung des Studiums ohne die Möglichkeit individueller Akzentsetzung geführt haben: „Wir sind Menschen, keine Maschinen“, sagt Tim Schleinitz, der ebenfalls im Bündnis aktiv ist. Bachelor und Master seien in ihrer jetzigen Form nicht zumutbar, ein konsekutiver Master müsse für jeden Studierenden möglich sein. Konkret gefordert werden auch die Abschaffung der Verwaltungsgebühren und ein studentisches Mitspracherecht in sämtlichen Universitätsgremien.
Die geplante Aktionswoche ist eine gute Gelegenheit, um auf solche Missstände aufmerksam zu machen, gerade weil das Thema bislang zu wenig in den Medien reflektiert wurde: Ein starres Studium in überfüllten Seminarräumen, kaum bis gar kein selbstbestimmtes Lernen und ein zunehmender Zeit- und Leistungsdruck finden sich nicht nur in Jena, sondern bundesweit. Wichtig sei deshalb, auch auf die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge hinzuweisen: „Durchökonomisierung und Verwertungslogik sind Phänomene aus allen gesellschaftlichen Bereichen“, so Stephanie Borck.
Diese Faktoren sehen auch Dozenten an der Universität Jena als höchst problematisch an. So beispielsweise Robert Gramsch vom Historischen Institut: „Die- se Verwertungslogik geht mir absolut gegen den Strich. Dadurch wird unsere gesamte Wissenschaftskultur in Frage gestellt.“ Er sieht die vorherrschenden Probleme in der Bildungslandschaft in der schlechten Umsetzung der Reformen. Die Auswirkungen könne er jeden Tag sehen: Ein starrer Zeitplan im Studium und der permanente Termindruck führten beispielsweise dazu, dass vermehrt schlechtere Hausarbeiten abgegeben würden, weil einfach die Zeit fehlt: „Es kann nicht der Sinn der Lehre sein zu lehren, wie man in kurzer Zeit schlechte Hausarbeiten schreibt“, so Gramsch.
Stephan Lessenich, Professor für Soziologie an der Uni Jena, betrachtet die derzeitigen Prozesse im Kontext dessen, was oftmals „flexibler Kapitalismus“ genannt wird. Der Arbeitsmarkt stelle heute andere Anforderungen an mögliche Bewerber. Die vom Erwerbssystem ausgehende Leistungslogik verlängere sich im Lebenslauf sowohl nach „vorne“ als auch nach „hinten“. Demzufolge orientiere sich beispielsweise auch die Bildung an Schulen und Universitäten mehr und mehr an Gesetzen des Arbeitsmarkts und stelle höhere Anforderungen an die Lernenden: „Es heißt von allen Seiten: Sei flexibel! Orientiere dich neu! Auch Lehrende stellen sich darauf ein, auf Marktprinzipien zu reagieren. Das schlägt sich dann auch in der bezweckten Praxisorientierung modularisierter Lehre nieder.“

Protest auf die Straße tragen

Dass bei einer solchen Umorientierung vieles auf der Strecke bleibt, muss nicht extra erwähnt werden. „Eine Änderung muss kommen und wenn genug öffentlicher Druck durch die Studierendenschaft aufgebaut wird, dann kann sich auch vieles ändern“, meint deshalb Robert Gramsch.
Das finden auch Tim und Stephanie vom Bündnis: „Wir haben jetzt die Möglichkeit, den Protest auf die Straße zu tragen. Jede Veränderung muss damit anfangen, dass man seine Vorstellungen erst mal ausspricht.“ Ein wesentlicher Pluspunkt des Streiks sei, dass parteipolitische Grabenkämpfe außen vor blieben. Stattdessen sei der Streik geprägt von der „solidarischen Artikulation gemeinsamer Interessen und Wünsche.“ Die angestrebten Veränderungen betreffen immerhin jeden einzelnen Studierenden.
Und ändern müsste sich vieles, betrachtet man auch die gesellschaftliche Bedeutung der Bildungsmisere: „Das momentane Bildungssystem dient der Reproduktion sozialer Schichten und nicht den Interessen der Mehrheit der Menschen“, kritisiert Klemens Himpele vom Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Diplom-Volkswirt beschäftigt sich schon seit langem mit Bildungs- und Sozialpolitik. „Was man in der Bildungspolitik betrachten kann, kennt man aus anderen politischen Bereichen: Die Schlagworte sind Privatisierung, Deregulierung und Wettbewerb. Bildung soll zu einem marktförmigen Gut gemacht werden.“ Jeder habe ja rein theoretisch die Möglichkeit ein Bildungszertifikat zu erwerben, womit eine bessere Stellung auf dem Arbeitsmarkt einhergeht. Gesellschaftliche Ungleichheiten würden dabei völlig ausgeblendet. Bildung solle aber auch immer die Frage stellen und beantworten, wie wir leben und produzieren wollen: „Die Erkenntnis von gesellschaftlichen Prozessen und das Erkämpfen einer gerechten Gesellschaft sind daher ebenfalls Teil eines vernünftigen Bildungssystems“, so Himpele. Momentan sei dies allerdings aufgrund der finanziellen Lage nicht möglich.

Geringe Bildungsausgaben

Die Bildung solle sich aber dennoch aus öffentlichen Geldern finanzieren, fordert das Streikbündnis. Erhebungen wie beispielsweise von der OECD zeigen, dass Deutschland, was die öffentlichen Bildungsausgaben angeht, gerade einmal auf Platz 21 der 29 untersuchten Staaten steht. Bei der privaten Finanzierung nimmt die Bundesrepublik dagegen einen Platz im vorderen Drittel ein. Zustände, die man auch in Jena wiedererkennen kann. Regelmäßig finden sich Werbestände auf dem Campus, die Telekom finanziert das Mensa-Essen. Spektakulärere Fälle wären die Umbenennungen von Hörsälen: „Ich sehe es nicht ein, dass ich an einer freien Universität in einem Schott-Hörsaal studieren muss“, meint Stephanie Borck dazu. Die Lehre sei von der zunehmenden Kommerzialisierung beeinflusst. Von einer freien und kritischen Wissenschaft könne nicht mehr gesprochen werden, wenn Unternehmen an der Uni ihr Image aufpolieren könnten.
Aber auch auf dem institutionellen Weg nehmen Wirtschaftsvertreter Einfluss auf den Hochschulbetrieb. So geschieht dies in Jena durch den Universitätsrat, in dem sich unter anderem ein aktives und ein ehemaliges Vorstandsmitglied befinden. Auch Himpele sieht die Durchdringung der Universitäten durch wirtschaftliche Interessen als problematisch an: „Die Frage, was geforscht wird, wird auch durch die Frage beantwortet, wofür bezahlt wird. Wenn beispielsweise Professoren einerseits Rentengesetze mit beeinflussen, andererseits aber Geld in der Versicherungswirtschaft verdienen, dann ist das ein Problem.“
Dem an dieser Stelle oft artikulierten Gegenargument, das Geld „müsse ja irgendwo herkommen“, entgegnet Stephanie Borck, dass es im Zuge der Krise ja auch möglich war, Milliarden in ein marodes Bankensystem zu pumpen. Die eigentlich schon beschlossenen Bildungsausgaben waren zunächst unter Haushaltsvorbehalt gestellt worden. Inzwischen ist wieder im Gespräch, das Geld doch freizugeben. Bislang ist jedoch ungewiss, in welchem Umfang, wann und vor allem für was: eine neue Exzellenzinitiative für einige Elite-Unis oder eine angemessene Bildung für eine breite Bevölkerungsschicht?

Das Ruder übernehmen

Schon im Vorfeld der Aktionswoche erregte der Streik die Gemüter. Der Bundesvorsitzende des RCDS Gottfried Ludewig sprach von „gewaltbereiten Gruppierungen“ und davon, dass man Bildungsthemen nicht „dem Mob überlassen“ dürfe.
„Wenn der RCDS Angst hat, dass hier Radikale das Ruder übernehmen, sollte er selbst aktiv werden. Wir wollen ein breites Bündnis für alle Studierenden und schließen niemanden davon aus“, entgegnet Tim Schleinitz. Der Streik sei ein erstes Zeichen, dass Studierende selbst das Ruder übernehmen und klarmachen, welche Positionen sie haben, was sie wollen und was sie nicht wollen: „Wir brauchen keine Vertreter.“
Auch wenn der Bildungsstreik nicht alle seine Forderungen sofort durchsetzen wird, so könnte er doch der Ausgangspunkt für eine neue kritische Studentenbewegung sein. Immerhin verspricht die Homepage des Streikbündnisses: Das ist erst der Anfang. Die Auseinandersetzung mit der aktuellen Bildungspolitik könnte auch zu einer stärkeren Sensibilisierung der Studierenden für den gesellschaftlichen Kontext ihrer eigenen Probleme führen, denn wie Klemens Himpele anmerkte: „Selbst ein perfektes Bildungssystem kann alleine gesellschaftliche Veränderungen in anderen Bereichen nicht ersetzen.“

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