Habt ihr kein Zuhause?

Die Nils Landgren Funk Unit eröffnet die Kulturarena

von Alexander Holzer

„Wer Posaune spielt, gehört meiner Meinung nach in den Knast“, heißt es bei den Gilmore Girls. „Er trägt keinen Bart und doch ist er hart, der Mann mit der Posaune“, singt Farin Urlaub. „Wen würde es beim Arbeiten stören, wenn direkt neben ihm jemand ein so liebliches Instrument wie Posaune spielt?“, fragt Mark Uwe Kling in seinem Buch „Die Känguruh-Offenbarung“ „Das Känguruh setzt die Posaune an und erzeugt ein apokalyptisches Pfeifen.“ Auch wenn das unhandliche Blechblasinstrument mit dem langen Zug in Orchestern kaum beliebter ist als die Tuba, haben sich einige Jazz- und klassische Musiker ihm verschrieben und es darauf zu wahrer Meisterschaft gebracht. Einer der Bekanntesten und Besten ist sicherlich der Schwede Nils Landgren, der am 16. 7. 2014 mit seiner „Nils Landgren Funk Unit“ in der Kulturarena zu hören war. Für den 58-jährigen war es insgesamt das sechste Gastspiel in Jena.
Wer auf Landgrens Spuren abseits von Gitarre, Klavier und Geige musikalisch andere Wege beschreitet, muss sich oft die Frage gefallen lassen, was das denn für ein Instrument sei, das man da spiele. Um Missverständnissen vorzubeugen: Nein, es handelt sich bei einer Posaune nicht um das filigrane, messingglänzende Ding mit den drei Klappen. Das ist eine Trompete. Eine Posaune ist deren tumbe große Schwester. Sie ist eine Oktave tiefer gestimmt, nudelt in der mittleren Tonlage zwischen Melodie und Bass herum und ist selten gut zu hören. Deswegen lassen kleinere Formationen diese Stimme oft auch ganz weg.
Landgren dagegen lässt sich mit seinem Instrument nicht auf die Plätze verweisen. Mit einer weißen Jacketjacke, die er sich bei seiner ersten Gesangseinlage in „Fall for That!“ vom Leib reißt, und seiner rotlackierten Tenorposaune groovt die imposante kahlköpfige und schwergewichtige Erscheinung in Jena durch den lauen Sommerabend. Die Lackierung seiner Tröte hat ihm den Namen „Mr. Red Horn“ eingetragen. Seit 22 Jahren ist der studierte Klassikposaunist mit seiner sechsköpfigen „Nils Landgren Funk Unit“ unterwegs. Auf der Bühne des Theaterhauses war der Schwede mit dem Bassisten Magnum Coltrane Price, dem Schlagzeuger Robert Mehmet Ikiz, dem Gitarristen Andy Pfeiler, Magnus Lindgren am Saxophon und Sebastian Studnitzky an den Keyboards zu erleben.
Kultusminister Christoph Matschie lässt es sich nicht nehmen, ganz leger mit den Händen am Gürtel persönlich das Konzert zu eröffnen und sich für seine warmen Worte auspfeifen zu lassen. Nachdem das ausgestanden ist, schlendert die Band auf die Bühne und beginnt ohne Umschweife und große Gesten, zu spielen. Ein bisschen Schlagzeug, ein bisschen Bass, dann die effektgeladene Gitarre von Andy Pfeiler, bis der Chef persönlich auf die Bühne schlendert und soliert. In charmantem, skandinavisch akzentuierten Deutsch zwinkert er der Menge zu: „Habt ihr kein zuhause?“ Die Leute lachen verhalten, wiegen sich im Takt und klatschen artig. Gegröhlt wird hier nicht. Überhaupt ist das Konzert eine sehr brave Veranstaltung und transportiert wenig von der urwüchsigen, schmutzigen und kernigen Kraft der schwarzen Funkmusik. Das Publikum ist über vierzig, in schickem Sommerkleidchen und Poloshirt, schlürft Weißwein und smalltalkt und sieht gefährlich so aus, als trügen über drei Viertel der Anwesenden einen Doktortitel. Eine solche Veranstaltung kann selbst der fast sechzigjährige Landgren trotz aller Meisterschaft nicht aufmischen. Seine Musiker verlieren sich in endlosen, sicherlich sehr originellen Soli und rühren sich dabei auch körperlich kaum vom Fleck. Beeindruckend ist vor allem die rhythmische Exaktheit, mit der Saxophonist Lindgren und Landgren in den Bläsereinsätzen unisono spielen. Wer sich noch gewundert hat, warum keine Trompeten mitspielen, dem wird klar: Die sind in der Funk Unit völlig unnötig, weil Landgren deren Tonlage auch auf der Posaune bestens beherrscht. Dennoch bietet das Konzert wenig Originelles. Die Rhythmen hören sich ähnlich an, die Gitarreneffekte bleiben diesselben, den Soli kann man nur schwer folgen. Bassist Magnum Coltrane Price spielt ein angenehm grooviges Bassfundament und dominiert die Band – manchmal, wenn er sich den Schweiß von der Stirn wischt, auch mit nur einer Hand.
Als nach einer sehr instrumentallastigen halben Stunde das erste Gesangsstück kommt, ist das eine Erlösung. Die Band singt vierstimmig, was einen durchaus beeindruckenden Männerchor abgibt. Nils Landgrens unverkennbare nasale Jazzstimme ist dabei längst nicht immer dominant, sondern jedes Bandmitglied hat seine Solostellen. Leider beschränkt sich die Darbietung des Sextetts auf Stücke wie „Red Horn“ und „Masimoto“ und enthält dem Publikum Ohrwürmer wie „Amtrak“ oder die raffinierten Coverversionen von „I Will Survive“ und „Riders on the Storm“ vor. Somit hat Nils Landgren dem Jenaer Publikum zwei anspruchsvolle Stunden Musik beschert. Das Zuhören war allerdings nicht immer ein pures Vergnügen. In den Knast sollte er deswegen aber nicht gehen.

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