„Nicht so verschnarcht“

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Gisela Horn über ihr Leben in Jena

Für das Gespräch bedankt sich Anna Zimmermann



Foto: Katharina Schmidt

Als wir Gisela Horn beim Fotoshooting für dieses Interview anbieten, ihr per Räuberleiter auf den Schoß der Statue im Garten des philosophischen Instituts zu helfen, ruft sie: „Mädchen, ich bin 61!“ Es fällt schwer, der fröhlichen Hochschuldozentin so viele Lebensjahre zuzutrauen. Nicht einmal, als sie von ihrem spießigen Garten in ihrem Wohnort Dornburg erzählt, wirkt sie altbackener. Die meiste Zeit ihres Lebens hat Gisela Horn in Jena verbracht, hat hier studiert und gearbeitet. Durch politisches und gesellschaftliches Engagement gestaltet sie ihre Wahlheimat Jena seit Jahren mit.

Sie haben in Jena studiert, promoviert und habilitiert. Nun arbeiten Sie hier als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Germanistischen Literaturwissenschaft. Warum sind Sie so lange in Jena geblieben? Das ist ja eigentlich ungewöhnlich im akademischen Leben.
Ungewöhnlich ist das für meine Generation eigentlich nicht. Für eine DDR-Biografie war es eher ungewöhnlich, nicht an der gleichen Uni zu bleiben. Nach der Wende hab ich dann versucht, im Ausland zu leben. Ich bin aber wieder zurückgekommen. Das hatte auch einen praktischen Grund: Ich hatte an der Uni meine Stelle und in meinem Alter eine neue zu bekommen, wäre sehr schwierig gewesen. Dazu gehört aber auch, dass ich gerne in Jena bin. Ich vermisse Welterfahrung, aber ich weiß, dass es richtig war, auch hier intensiv zu leben. Zu Jena habe ich eine enge Beziehung.

Können Sie ausmachen, woran das liegt?
Das hat drei Gründe. Ein Grund ist, dass ich mich sehr für Geschichte interessiere. Und Jena hat so eine spannende! Das zweite ist die schöne Landschaft. Man ist so schnell draußen, kann sich auf eine Wiese legen und auf einmal ist alles wieder ganz anders im Leben. Und das dritte ist, dass ich enge soziale Kontakte brauche. Ich bin jetzt schon in einem großen Generationsabstand zu meinen Studierenden, aber es ist eben eine junge Stadt und hier passiert immer was. Jena ist nicht so verschnarcht.

Würden Sie sagen, dass sich Studentenleben und Stadt gewandelt haben?
Ich kann jetzt schon wirklich viele Jahre überblicken. 40 Jahre … Die Stadt ist immer öffentlicher geworden. Früher war es auch ein spannendes Studentenleben, aber das hat eigentlich kaum auf der Straße stattgefunden.

Sondern?
Man war mehr in den Studentenwohnheimen. WGs gabs ja eigentlich gar nicht richtig. Da war natürlich auch einiges los, aber es war viel beengter und viel weniger offen. Man hat in der DDR auch Party gemacht, aber man musste immer alles planen. Wenn man sich eine Woche lang bemühen muss, ein Fest auf die Beine zu bringen, dann muss das auch was werden, dann ist das eine richtig intensive Erfahrung. Heute kann ich jeden Abend irgendwo hingehen. Früher waren das eher so Lichtpunkte. Aber ich kann mir darüber kein negatives Urteil erlauben. Ich bin nun einmal nicht Teil des studentischen Milieus, ich besuche es nur. Und es waren auch andere politische Verhältnisse. Man hatte manchmal einfach „Depressionen“, weil einem alles gegen den Strich ging.

Sie haben gesagt, dass Sie ein besonderes Verhältnis zur Geschichte haben.
Genau. Romantik hat mich immer interessiert. Es fasziniert mich heute noch, was damals in Jena passiert ist. Ich sehe aber auch, dass sich Geschichte nie auf Sonnenstrahlen fortbewegt und dass Jena Teil einer gesellschaftlichen und politischen Entwicklung war; dass es eben auch ganz dunkle Kapitel gab. Eigentlich reizt mich der Zusammenhang: Wie konnte es passieren, dass eine Stadt, die ein so hohes intellektuelles Niveau hatte, von der aus das klassische Menschenbild verkündet wurde, in der Nazizeit so tief in den Sumpf sinkt? Darüber nachzudenken finde ich wichtig, auch aus gegenwärtigem Interesse. Was lässt uns abfallen von den Idealvorstellungen, die wir im 18. Jahrhundert gewonnen haben? Ich blicke dabei auf die Opfer, aber auch auf die Täter, auf die Mitläufer und auf die scheinbar Unpolitischen.

Herr Doßman bemängelte im Gespräch mit Akrützel zum Artikel „Vergessene Nachbarn“ (Akrützel Nr. 297), dass es in Jena kein Tätergedächtnis gibt.
Das sehe ich ganz genauso. Ich finde es trotzdem richtig, dass man sich zuerst deutlich macht, wer die Opfer waren. In der DDR haben beispielsweise die jüdischen Opfer überhaupt keine Rolle gespielt. Aber es ist mittlerweile an der Zeit, die Frage nach den Tätern und den Mechanismen zu stellen. Wie sind sie zu Tätern geworden? Und dann: Wie können wir verhindern, dass es nochmal vorkommt? Diese Neonazis gehen einem so auf den Keks! Da bin ich im Aktionsnetzwerk gegen Rechtsextremismus ganz gut aufgehoben. Ich bin dort im Arbeitskreis „Sprechende Vergangenheit“.

Dann investieren Sie ja ziemlich viel Zeit in Dinge neben der Arbeit. Im Arbeitskreis Judentum sind Sie schließlich auch noch.
Ja, aber das ist eine ganz andere Gruppe. Der größte Teil der Menschen, die da versammelt sind, haben sich schon zu DDR-Zeiten gegen die öffentliche Politik für jüdische Schicksale interessiert. Das hat mich sehr beeindruckt. Ansonsten finde ich es eben wichtig, dass manche Dinge gemacht werden und dann mache ich sie einfach. Sonst würde ich mich ärgern.

Haben Sie sich deswegen auch in die Petersenplatzdebatte eingemischt?
Da war das noch ein anderer Zusammenhang. Ich mache das ja mit einer bestimmten politischen Überzeugung. Die möchte ich dann auch durchsetzen. Für mich stand bei der Debatte im Mittelpunkt: Wo hört unsere Toleranzgrenze auf, wenn es um nationalsozialistisches Denken und Handeln geht? Das habe ich anders eingeschätzt als andere und für meine Auffassung habe ich dann gekämpft. Es ist mir einfach nicht egal, wer in Jena geehrt wird.

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