„Ein Schwachsinnsprogramm“

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Jenaer Soziologe über das Deutschlandstipendium

Das Gespräch führten Kay Abendroth und Johanne Bischoff




Professor Stephan Lessenich ist Dekan der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften. Er ist auch Vertrauensdozent der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Mit dem Akrützel sprach er über das Deutschlandstipendium und politische Stiftungen.

Foto: privat

Als Vertrauensdozent einer Stiftung haben Sie einen guten Einblick in die Stipendienvergabe. Spielen Leistungen die Hauptrolle?

Allen parteinahen Stiftungen wird häufig unterstellt, es würde bei der Vergabe um die Gesinnung gehen. Sprich: Je dokumentierter die Gesinnung, desto eher bekommt man ein Stipendium. Tatsächlich spielen – von der Adenauer- bis zur Luxemburg-Stiftung – vor allem zwei Qualifikationen der Bewerber eine Rolle. Sie müssen hochbegabt sein – was auch immer das dann heißt, meist wird es aber an überdurchschnittlichen Studienleistungen gemessen. Und sie müssen gesellschaftspolitisch engagiert sein, sich also an der Gestaltung des Gemeinwesens beteiligen. In welchen Gruppen, Vereinen, Organisationen ist man aktiv? Ist man kommunal- oder hochschulpolitisch tätig? Klar hat da die Konrad-Adenauer-Stiftung andere Präferenzen als die Rosa-Luxemburg-Stiftung, aber die Bewerber sollten eben nicht nur ihren eigenen Karriereweg vor Augen haben. Nur mit einer Parteimitgliedschaft bekommen Sie kein Stipendium.

Noten sind also nicht das Wichtigste?

Man kann sich – da spreche ich jetzt für die Rosa-Luxemburg-Stiftung – auch mit einem 2,3er-Abi bewerben. Das ist kein Ausschlusskriterium. Die Noten zählen nicht allein.

Allen großen Stiftungen haftet der Ruf der Elitenförderung an.

Schon Studierende haben einen Startvorteil in allen möglichen Belangen unserer Gesellschaft. Und zwar nicht nur bei den Einkommenschancen, sondern auch bei der Reputation, dem Prestige und den Netzwerken, die sie bilden können. Also gehören Studierende, wie auch ihre DozentInnen, in diesem Sinne einer Elite an.
So wie es jetzt ist, ist es tatsächlich eher Elitenförderung im engeren Sinne, weil unter den Studierenden noch einmal eine Gruppe hervorgehoben wird. Da finde ich es schon ganz gut, wenn Stiftungen nicht nur die intellektuellen Leistungen heranziehen, sondern auch großen Wert auf das Engagement legen. Dennoch ist das Moment der Selektion drin, das Moment der Abhebung der einen Gruppe gegenüber der anderen. Das finde ich auch persönlich als Vertrauensdozent durchaus ambivalent. Einerseits würde ich mich für eine breit angelegte Studienförderung, auch über die derzeitigen Bafög-Regelungen hinaus, aussprechen. Gleichzeitig nehme ich aber selbst an einem Auswahlprozess teil und empfehle der Stiftung: ,Fördere lieber die Person als die andere!‘

Ist das „Deutschlandstipendium“ im Grunde ein reines Elitenstipendium?

Schon den Namen „Deutschlandstipendium“ finde ich absurd. Gefördert werden sollen doch offensichtlich einzelne Studierende, die bestimmte Qualifikationen mitbringen. Womöglich kommt das dann auf irgendwelchen verschlungenen Pfaden Deutschland zu Gute, wer auch immer das sein mag. Das ist schon einigermaßen zweifelhaft.
Das Prinzip dieser Förderung steht einer gerechten Breitenförderung diametral gegenüber. Es geht hier einzig und allein darum, nach Notendurchschnitten die Besten auszusuchen.
Personen mit einem bildungsnahen, bildungsbürgerlichen Hintergrund haben hier per se höhere Chancen. Aber nicht unbedingt weil sie klüger sind, sondern auch weil sie strukturell bedingt bessere Voraussetzungen haben, ein gutes Abitur zu machen, den Anforderungen eines Studiums zu genügen und gute Noten zu erreichen. Das ist eindeutig sozialstrukturell vorgeprägt.
Das ist wirklich Elitenförderung im schlechten Sinne.

Firmen und private Förderer sollen die Hälfte eines solchen Stipendiums finanzieren. Diese Drittmittel muss die Uni aber erst einmal einwerben.

Dieses Programm ist wirklich ein Schwachsinnsprogramm. Allein für das Einwerben müsste die Universität Jena eine eigene Abteilung und Personal vorsehen. Diesen Umweg einer öffentlich-privaten Partnerschaft halte ich für völlig irrsinnig. Es ist ineffizient, von der politischen Intention her nicht angemessen. Und ich glaube, es wird keinen Erfolg haben.

Wie sieht Ihrer Meinung nach ein besseres Stipendiensystem aus?

Ich fände es sinnvoll, wenn es nicht von politischen Stiftungen getragen würde. Für Leute, die sich zusätzlich politisch engagieren, kann es aber auch weiterhin Stiftungen mit entsprechenden Stipendien geben.
Im Sinne der Chancengleichheit halte ich eine möglichst große Ausbreitung von Studienstipendien, also jenseits der Hochbegabung, für eine gute Sache. Unabhängig vom Haushalt ihrer Eltern sollten Kinder die Möglichkeit haben, ein Studium aufzunehmen und gefördert zu werden.
Für diejenigen, die es materiell nicht brauchen, für die eine Förderung bloß eine ideelle Bestätigung ihres Tuns ist, könnten dann auch andere, immaterielle Formen der Förderung gefunden werden. Grundsätzlich würde es aber darum gehen, allen jungen Menschen die Möglicheit für ein selbstbestimmtes Studieren zu eröffnen.

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