Es ruhe in Frieden

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Ein Nachruf auf das Feigenblatt

Von Philipp Böhm



Zeichnung: Johannes Kretzschmar

Das Feigenblatt ist nicht mehr. Es wird keines mehr geben. Es kommt nie wieder. Das heißt nicht nur, dass sich Scharen blutjunger Erstsemester in den Allerwertesten beißen werden, ob all der Späße, die sie versäumten. Es heißt auch, dass ein Redakteur einen Nachruf verfassen muss, in dem er mit einer ordentlichen Portion Pathos über den mit dem Ende der satirischen letzten Seite einhergehenden Verfall der Universitätskultur klagen wird. Solche Texte neigen dazu, peinlich für alle Beteiligten zu werden. Wie es auch angegangen wird, am Ende liest man doch nur dasselbe heraus: Untalentierter Nachwuchsredakteur sonnt sich in der Glorie der Vergangenheit, um von der eigenen Bedeutungslosigkeit abzulenken. Nichtsdestotrotz muss es einer machen.

Angelehnt an die berüchtigte „Gartenlaube“, erschien im Herbst 2005 als konservatives Pendant zum links-hetzerischen Akrützel die „Campus-Zeitung“ und beanspruchte die letzte Seite für sich. Bereits nach einer Ausgabe wurde das Projekt jedoch in Feigenblatt umgetauft. Die zuständigen Redakteure fielen vor allem dadurch auf, dass sie sonntags spät kamen, alle Rechner blockierten, sämtliche Süßigkeiten verdrückten und schnell wieder verschwanden, sobald es nichts mehr zu essen gab. Planungstreffen fanden an einem geheimen Ort statt. Gerüchteweise waren diese Treffen geprägt vom Konsum alkohol- und kohlensäurehaltiger Getränke und von ständigem Ärger über die musikalische Beschallung. Dennoch schafften es die jungen kreativen Geister stets, eine Seite zu füllen. Mittlerweile sind die Geister aber weder jung noch kreativ, sodass mit dem Beginn des Wintersemesters das Feigenblatt seine Produktion einstellt.
Für das Akrützel bedeutet das eine Abnahme von mehr oder weniger geistvoller (wenn auch zutiefst kleinbürgerlicher) Satire und eine Zunahme von ebenso kleinbürgerlicher, dafür aber erschreckend langweiliger „journalistischer Arbeit“, die mit ihrer angeblichen Neutralität nur über eine mangelnde eigene Meinung des Autors hinwegtäuscht, der dank eines absolvierten dreiwöchigen Praktikums bei der OTZ-Lokalredaktion in Apolda selbstverständlich über das nötige Fachwissen verfügt, um selbst komplizierte institutionelle Zusammenhänge an der altehrwürdigen Alma Mater dem geneigten Leser verständlich zu machen. Für die Chefredakteurin von Jenas führender Hochschulzeitung bedeutet das Ende des Feigenblatts vor allem eine Abnahme von Leserbriefen, oft erzürnter Art. Sie begannen meist mit den Worten „Eigentlich lese ich das Akrützel ja sehr gerne …“, manchmal auch „Grundsätzlich ist gegen Satire nichts einzuwenden …“. Dann aber brach die lang aufgestaute Wut des ehrbaren Studenten heraus: Die neueste Ausgabe des Feigenblatts schieße ja deutlich über das Ziel hinaus, Satire sei das ja ohnehin nicht mehr, witzig ebensowenig und zudem in höchstem Maße pietätlos/sexistisch/diskriminierend/undeutsch/kommunistisch (Nicht-Zutreffendes bitte streichen, gegebenenfalls ergänzen). Gefordert wurde nun mindestens die öffentliche Steinigung der Redakteure. Sollte dies aus unerfindlichen Gründen nicht möglich sein, dann wenigstens eine offizielle Entschuldigung bei sämtlichen Personen, die sich unter Umständen angegriffen gefühlt haben könnten oder deren zartes ästhetisches Empfinden durch niederträchtige Karikaturen und Fotomontagen traumatisiert wurde.
Eifrigste Schreiber waren übrigens Mitglieder der Bundeswehr, die sich von den diversen Eskapaden des Feigenblatts des Öfteren missverstanden fühlten und in langen Beschwerdebriefen der Redaktion ihre gekränkten Herzen ausschütteten. Die Autoren solcher Briefe waren im Allgemeinen natürlich nicht von vorgestern, sondern wussten stets gut Bescheid, was Satire eigentlich ist und was sie darf.
Mit dem letzten Feigenblatt wird das Akrützel-Postfach nun wohl verwaisen. Fünf Jahre sorgte die letzte Seite nicht nur für Zwist und Unfriede in der Saalestadt, sondern auch für viele vergnügliche Straßenbahnfahrten, und machte nebenbei als geheime Banklektüre manche Vorlesung wesentlich erträglicher.

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