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Recht und Moral

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Stadt und Uni beschäftigen seit Jahren ein Umzugsunternehmen mit mutmaßlichem NSU-Hintergrund. Eine Initiative will das jetzt verhindern.
Von Götz Wagner und Dario Holz

Die Stadt und die Uni Jena ziehen mit mutmaßlichen NSU-Unterstützer:innen um, sagen Anika Zorn und Clemens Beck. Sie sprechen für eine Initiative aus linken Jugendorganisationen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich dagegen wehrt, dass ein Jenaer Umzugsunternehmen weiterhin öffentliche Gelder bekommt. Der Grund: Geschäftsführer C. Cor. soll Verbindungen zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) gehabt haben.
Der NSU war eine rechtsextreme Terrorzelle aus Jena, die rassistische Morde und Anschläge verübte. Das Kerntrio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wurde von einem Komplex aus 200 Menschen unterstützt.
Auch der Name Cor. fällt in Dokumenten des Gerichtsprozesses und des Thüringer Untersuchungsausschusses. Die Zeug:innen stellen Cor. als recht unauffällig dar. Er trug nie Naziklamotten und auf Kundgebungen fiel er nicht auf. Fakt ist auch, dass Cor. weder vorbestraft noch im Kontext des NSU verurteilt wurde.
Für Beck bleibt trotzdem die Frage: „Wie geht die Zivilgesellschaft mit Leuten um, die im Unterstützerfeld waren und für die es keine Strafe gibt?“

Ein unpolitischer Mitläufer

Es stehe fest, dass Cor. mit Ralf Wohlleben befreundet war – der wegen Beihilfe zum Mord verurteilt wurde. Wohlleben war in der NPD und Naziszene aktiv und unterstützte das Trio im Untergrund. Er besorgte die Tatwaffe und verhalf der Gruppe 1998 zur Flucht aus Jena, indem er ihnen das Auto seiner Mutter lieh. Cor. holte später das leere Auto zurück nach Jena. Was genau Cor. über den NSU zu diesem Zeitpunkt wusste – darüber lässt sich nur spekulieren. Danach hätte er sich aber regelmäßig nach dem Verbleib des Trios erkundigt. Zorn sagt: „Ich finde schon, dass das schlagkräftige Gründe sind, zu überlegen, ob eine solche Person an öffentliche Gelder kommen sollte.“
„Ich selbst bin unpolitisch“, sagt Cor. Heute habe er nichts mit dem NSU zu tun, er distanziere sich von den Vorwürfen. Wirklich von seiner Vergangenheit distanziert habe er sich aber nie, wirft ihm die Initiative vor. Cor. beschäftigt in seiner Firma noch eine weitere Person, deren Name in den Dokumenten vorkommt und der NSU-Unterstützung vorgeworfen wird. Auch diese Person sei nicht verurteilt worden, sagt Cor. Zorn sagt: „Wir haben den Eindruck bekommen, dass das eigentlich alle wissen, auch innerhalb der Stadtverwaltung.“
Die Initiative sieht durch die Beauftragung des Umzugsunternehmens eine aktive Gefährdung von Angestellten. Außerdem stehe es den Bemühungen, den NSU-Komplex gründlich aufzuarbeiten, entgegen. „Kein Schlussstrich ist nicht nur eine Parole im Zuge von Aktionswochen, sondern sollte sich auch im konkreten Handeln der Stadtgesellschaft und der örtlichen Verwaltung widerspiegeln.“
Bis jetzt gibt es noch keine offiziellen Zahlen, wie viel Geld die Stadt und die Uni an das Unternehmen von Cor. überwiesen haben. Bei der Uni handelte es sich aber im letzten Jahr um mehrere Zehntausend Euro. Die Stadt gibt schätzungsweise ähnlich viel aus. Beide loben immer wieder die Arbeit des Unternehmens und betonen die fehlerfreie und anstandslose Ausführung der vergebenen Aufträge.

Politische Maßnahmen

Die Firma hat in Jena eine Art Monopolstellung für Umzüge von großen Institutionen. Auf diesen Fakt verweist auch die Uni. Es gebe gar keinen anderen Anbieter. Deshalb habe die Uni auch erst kürzlich den Vertrag erneuert. Die Initiative sieht das als Ausrede, andere Firmen könnten in die Marktlücke springen. Die Initiative beruft sich auf den Zehn-Punkte-Plan der Stadt gegen Rassismus. In diesem hat sich die Stadt vorgenommen, eine Antirassismusklausel in das Vergaberecht zu schreiben.
Das Vergaberecht beantwortet die Frage, welche Firma einen öffentlichen Auftrag übernimmt. Es soll vor allem Vetternwirtschaft vermeiden und ist grundsätzlich apolitisch. Aber „durch das Ändern der Ausführungsbedingungen könnte man auf den Kreis der in Frage kommenden Unternehmen einwirken“, sagt Tobias Birk, SPD-Mitglied und Promovend zum Vergaberecht. Solche Bedingungen gebe es auch schon für Klima- und Arbeitsschutz.
Die Stadt könnte in den Ausführungsbedingungen beispielsweise szenetypische Tattoos und Kleidung und rechtsextreme Gesinnung verbieten – zumindest bei sensiblen Umzügen, wie beim Ausländeramt oder Flüchtlingsheimen. Martin Pfeiffer, Chef vom Rechtsamt der Stadtverwaltung, sieht keine Gefahr bei Umzügen dieser Einrichtungen. Sensible Akten seien mittlerweile elektronisch, sie könnten also nicht so einfach eingesehen werden, und man könne kein Unternehmen ausschließen, nur weil mutmaßliche Rechtsextreme Kisten schleppen – Auch nicht vor dem Hintergrund des Zehn-Punkte-Plans. Denn Ausführungsbedingungen seien immer am Auftragsobjekt zu messen.
„Würde es sich um konkrete Straftaten handeln, wäre ich der Erste, der handeln würde, aber mit mir findet kein Umweg über das Vergaberecht statt“, sagt Pfeiffer. Man könne nicht nachholen, worin die Justiz im NSU-Prozess versagt hat.
Und überhaupt – in den letzten 20 Jahren sei es zu keinem einzigen rechtsextremen Vorfall gekommen. Deshalb gelte das Prinzip des Rechtsfriedens. Alles andere wäre Sippenhaft. Gefährlich findet Pfeiffer eher die Vorstellung, dass Nazis Flüchtlingsunterkünfte bewachen. Deshalb behalte sich die Stadt auch immer das Recht vor, Einzelpersonen von solchen Jobs auszuschließen.
Der Vorschlag der Initiative ist rechtlich zumindest unsicher. Bei einer Klage gegen neue Ausführungsbedingungen könnte ein Gericht im Zweifel zugunsten des Unternehmers entscheiden. Die Stadt hat Angst vor einer Niederlage und pocht deshalb auf Rechtssicherheit.

Sieg oder Niederlage

Klar ist aber, dass sich Uni und Stadt keine Schlagzeilen wie “Jena unterstützt den NSU” leisten können. Beide könnten sich in Zukunft also für ihr fehlendes Handeln verantworten müssen.
Birk hält eine Niederlage für unwahrscheinlich. Die Chancen würden 85 zu 15 stehen. “Der Best-Case wäre, Cor. würde klagen und vor Gericht verlieren.” Dann würde feststehen, dass man mutmaßliche Neonazis von der öffentlichen Vergabe ausschließen kann. Das könne anderen Kommunen die Rechtssicherheit geben, genauso ihre Vergaberichtlinien anzupassen.
Bei einer Niederlage würden die Vorwürfe an Cor. größere Aufmerksamkeit bekommen – und daran kann er sicher kein Interesse haben. Der Prozess könnte eine Diskussion über die Vergabe öffentlicher Gelder an mutmaßliche Rechtsextreme auch außerhalb Jenas anstoßen. Jede juristische Niederlage bedeutet einen politischen Sieg für die Initiative.
Trotzdem ist die Initiative an einer Kooperation mit der Stadt und der Uni interessiert. In einer Arbeitsgruppe soll nun eine gemeinsame Lösung gefunden werden. Die Positionen sind in der Praxis jedoch nicht miteinander vereinbar. Die Initiative behält sich vor, mit den Vorwürfen an die bundesweite Öffentlichkeit zu gehen. Für Zorn ist klar: „Die dürfen frei sein, eine Firma haben, aber sie sollen nicht dafür belohnt werden – da ziehe ich eine Grenze.“

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