PROTOKOLL EINER STURA-SITZUNG

Schon im Vorfeld der ersten Stura-Sitzung des Jahres sorgte ein Brandbrief zur gescheiterten Vorstandwahl für Aufbegehren. Ein Protokoll tief aus dem Herzen der studentischen …ähm… Demokratie.

Von Tim Große

Es geht also los. Also fast. Es ist 18:15 Uhr. Es muss jeden Moment losgehen. Die Mitglieder des Stura (MdStura) werden nur noch gebeten, ihr Passwort privat an die Sitzungsleitung zu schicken, um auch abstimmen zu können. Das MdStura Oliver Pischke schreibt “Gartenlaube in den öffentlichen BigBlueButton-Chat. Ups.

18:20 Uhr Es geht endlich los. Frohes Neues! Frohes Neues! Ein frohes neues Jahr euch allen! Markus Wolf berichtet, dass der Start der Sitzung auf der Website für 18:30 Uhr angekündigt wurde. Jens Lagemann fragt an, ob es denn überhaupt rechtlich möglich ist, schon zu beginnen. Dem Vorstand ist diese Anfrage aber egal.

18:22 Uhr Feststellung der Beschlussfähigkeit. Langweilig, kann man nach meinen Geschmack weglassen.

18:24 Uhr Markus Wolf hat was rumgeschickt. Relativ spät, wegen Staatsexamen und so. Er will die Vorstandswahl heute besprechen.

18:26 Uhr Jetzt sollen die Tagesordnungspunkte (TOPs) verschoben werden. Gegenrede. Rückzug des Antrags.

Kindergarten? Nein, ein Gemeinschaftsprojekt der Stura-Mitglieder gegen Ende der BigBlueButton-Sitzung am 05. Januar. Screenshot: Akrützel

18:40 Uhr Draußen, direkt vorm Redaktionsfenster steht ein Baum, in dem sich vor allem im Winter recht viele Vögel wohlzufühlen scheinen. Immer wenn man das spätgotische Kastendoppelfenster im UHG einen Spalt öffnet, flattern sie wie wild hin und her und beruhigen sich erst wieder, nachdem ihnen klar wird, dass ich keinen Knicker in der Hand halte, um sie unangenehm vom Baum zu befördern. Es ist für mich gerade sehr aufregend, das Fenster immer wieder einen Spalt zu öffnen und dann wieder zu schließen.

18:45 Uhr Gero Reich hat sich über eventuelle Neuwahlen nach der Stura-Auflösung Gedanken gemacht. Online-Wahlen sind zu teuer. Was kostet das denn? 10.000 bis 30.000 Euro, sagt Felix Graf. Urnenwahlen gehen nicht. Hygiene und so. Briefwahl zu teuer. Etwa 15.000 Euro, sagt Rappen. 

Gero schlägt stattdessen ein Modell vor, bei dem der dritte Vorstandsposten aller zwei Monate wechseln soll.

Auftritt Rappen: “Der Vorschlag ist mit Verlaub die größte Unverschämtheit, die es hier jemals gegeben hat. Der beschissenste Vorschlag, den ich je gehört habe. Warum denn nicht einfach auflösen?”

18:48 Uhr Marcel J. Paul gibt eine persönliche Erklärung ab: “Wenn man eine erfolgreiche Vorstandswahl als größte Unverschämtheit betitelt, hat man sich in den letzten Stura-Sitzungen wohl selbst nicht zugehört.

18:49 Uhr Rappen: “MJP – denk doch mal nach, was du da von dir gibst!”

Jil: “Wir sind an den Punkt gekommen, wo wir sehen, es klappt einfach nicht.”

Leif ist Leif, ach nein Leif ist dran. Leif Jacob: “Warum tut ihr so, als gebe es nur diese zwei Möglichkeiten? Wir können doch einfach Felix wählen.” Hm, war da was mit Felix?

Jens: Kann sich nicht erklären, wer Felix nicht gewählt hat.

18.57 Uhr Marcel: “Neuwahl ist Bullshit. Es bringt niemandem etwas, das ganze Parlament aufzulösen und in vier Wochen ein neues Parlament zu wählen.” Da ist man in Erfurt ähnlicher Meinung.

Scania Steger: “Ich habe schon wieder vergessen, wie viele wir überhaupt sind.”

Jil: “War das ein GO-Antrag?”

Scania: “Ja!”

Abstimmung, ob man nächste Woche vor Ort ist: 26 sind da, drei nicht.

Sechs sind gar nicht bei dieser Sitzung.

19:00 Uhr Felix: „Wir wollen uns in Erinnerung rufen, lediglich zwei Stimmen haben gefehlt und ich wäre gewählt worden.“

Er ist gegen Erhöhung der Aufwandsentschädigung der Vorstandsposten in Höhe von 200 Euro, will keine Leute, die es des Geldes wegen machen. Also dann lieber weiter Leute, die es der leeren Felder im Soft-Skill-Teil ihres Lebenslaufs wegen machen.

19.07 Uhr Marcel geht mit den Beweggründen von Felix nicht konform.

Es sei eher so, dass da Leute keinen Bock hätten, weil da irgendwelche reichen Kinder aus dem Stura private Klagen gegen ebendiesen vornehmen.

19:11 Uhr Rappen: „aber auch wenn die reichen kids die uni oder den stura verklagen – das muss doch nicht der vorstand bezahlen :D“

19:13 Uhr Felix: “blablabla”

Die Person, die gegenüber der Redaktion eine Apartment-Wohnung im dritten Stock bewohnt, hat Wind von meinem Spaß mit den Vögeln bekommen. Irgendwie auch auffällig, dass der gefühlt den ganzen Tag vorm Fenster sitzt. Was macht der da? Sitzt er am Schreibtisch, macht er Gymnastikübungen oder beobachtet er für den Landesrechnungshofes den Linksextremismus im UHG? Ich weiß es nicht. Den Großteil des Tages ist nur der Haaransatz zu sehen. Darf man Haaransatz noch sagen, ohne dass uns reiche Kinder aus dem Stura verklagen wollen?

19:18 Uhr Markus: “Das ist schon wieder in eine Diskussion ausgeartet, die nicht mein Ziel war.”

Aber welches Ziel denn, Markus? Hast du gedacht, jemand schlägt eine Lösung vor und Rappen hält das nicht für den schlimmsten Vorschlag – mit Verlaub – der deutschen Nachkriegsgeschichte?

19:20 Uhr Oliver (ich kenne sein Passwort) fragt nach der Wochenarbeitszeit im Stura.

Jil: “Es gibt Vorstände, die hier wohnen. Es ist schwer, eine Zahl zu nennen. Für die Wahl am 12. Januar ist der Hörsaal 2 gebucht.”

Victor findet, dass das gar nicht in Präsenz passieren soll.

Auch Markus Wolf fühlt sich im HS2 unwohl.

19:33 Uhr Kai Hölzen: „man kann sich natürlich jetzt raus nehmen und sagen, man kommt nicht, weil präsenz ist ja nicht machbar. aber dass man dann auch 18.000 studierende dazu nötigt, wegen der eigenen unfähigkeit an einer präsenzwahl (urnenwahl) teilzunehmen, ist hier bei manchen scheinbar noch nicht angekommen…“

Scania: “Ist es überhaupt legal, mit 30 Leuten in die Uni zu ziehen?”

Felix: “Wir haben im Hörsaal zweimal 30 Reihen. Wenn man zwischen jedem Teilnehmer eine halbe Reihe Abstand hält, haben wir einen Abstand, den können wir quasi auf der Straße oder im ÖPNV nicht einhalten.”

Markus will kein Fass aufmachen. Ich würde eins nehmen. Er sagt nochmals, dass er dazu steht, Felix gewählt zu haben. Na wenigstens einer. Er will aber wegen der Vorstandswahl keine 14 Tage zu Hause bleiben, falls er Corona bekommt oder in Quarantäne muss. Wo treibt sich Markus denn sonst in diesen Zeiten rum, wenn er nicht zu Hause ist? Stay at home, Markus!

Scania schlägt Meinungsbild vor: reine Urnenwahl oder Präsenzsitzung?

Die Mehrheit ist für eine Urnenwahl, aber am Ende bleibt es bei der Präsenzsitzung, da ersteres niemand so wirklich organisieren will.

19:49 Uhr Celina findet die Debatte unverständlich.

Oliver, der mit der Gartenlaube, möchte sich aufstellen lassen. Juhu.

19:55 Jetzt steht plötzlich eine Pflanze vorm Fenster. Hat der Bewohner des gegenüberliegenden Appartements etwa mitbekommen, dass ich sein Leben spannender finde als das Stura-Gelaber?

20:06 Uhr Markus will die der Vorstandswahl vorgelagerte Personaldebatte digital per Zoom abhalten. Im Senat sitzt ein Jurist (Danz), der nichts dagegen sagt, wenn Personaldebatten online geführt werden.

Jonathan Schäfer: “Herr Danz ist eine Pfeife, was das angeht.”

Markus: “Herr Danz ist keine Pfeife!”

Oliver und Felix haben nichts dagegen, öffentlich befragt zu werden, statt wie sonst unter Ausschluss der Presse. Mal gucken, ob sie das nach Veröffentlichung dieses Protokolls anders sehen.

20:08 Uhr GO-Antrag auf fünf Minuten Pause.

Jil: Jan und ich würden mal kurz die Toilette aufsuchen“. Hui.

20:13 Uhr Toilettenpause ist vorbei

Oliver, an dessen Stelle ich überall meine Passwörter ändern würde, wird befragt:

Warum bewirbt er sich erst jetzt? Studium, Nebenjob blablabla. Felix wäre die bessere Wahl, sagt er selber. Top Bewerbung.

Jil fragt, was denn die Aufgaben des Vorstands sind. Hier muss man Oliver in Schutz nehmen, das sollte Jil doch wirklich selbst besser wissen. Schließlich ist sie Vorstand. Oliver ahnt vieles und vertraut auf eine gute Einarbeitung.

Umgang mit Personal? Oh Schreck, damit bin ja ich gemeint. Eine respektvolle Beziehung soll es sein und er will mich nicht verprellen. Sympathisch.

Partei? SPD! Oh Schreck. Er ist da nur zu faul zu kündigen, letzte Aktivität 2018 in Chemnitz. Oh Schreck.

Er hat sich zwischendurch erstmal was zu essen geholt. Ist ja auch nur eine Personalbefragung.

Er ist im Refera… ähh, Arbeitskreis ASPA. Oder ist es doch ein Referat? Da sei aber wenig los. Er hat bereits die Mails gecheckt. Da kam aber nichts. Also ist wenig los. Gute Arbeit.

Warum will er aus der SPD austreten? “Beitrag sparen.”

20:31 Uhr Samuel Ritzkowski: “Arghgghdasghsgdhsgdhg”

Jil: “Samuel, würdest du bitte…”

Samuel: “Sorry

Jacob Schuster sieht die persönlichen Beziehungen zwischen Felix und Jil als große Bedenken. Tendiert deswegen zu Oliver.

Jil: “Wir haben alle verstanden, dass ich mit Felix verlobt bin, aber ich habe etwas dagegen, diese Beziehung hier jede Minute zum Thema zu machen.”

Rappen: “Mir ist bewusst, dass ich hier eine große Macht habe. Ich finde beide Kandidaten super. Ich werde nie wieder Klausurtagungen auf Mallorca machen. Bahamas, Südsee, wir kommen. Oliver wird mir das schon genehmigen.”

Denn Oliver sitzt auch in Rappens FSR Wirtschaftswissenschaften.

Markus: “Ich verstehe Florian, ein gefügiger Vorstand ist immer gut.”

Er schlägt vor, für die Vorstandswahl FFP2-Masken bei Rossmann zu kaufen. Er weiß nicht, ob die Menschen, die ihn gewählt haben, bei einer Neuwahl Lust auf eine Urnenwahl hätten. Ich denke, Mensch bleibt Mensch, auch wenn es ein Markus Wolf-Wähler ist.

20:56 Uhr Rappen: “Was spricht für Oliver? Er ist sympathisch. Ich muss noch nachdenken. Er ist nicht Felix! Hmm, jetzt wird es dünn.”

20:58 Uhr Christian Pawelczyk: „Ich fühl diesen Oliver mehr. Solide und unpolitisch.“ 

21:00 Uhr Auch ich fühle mich mittlerweile beobachtet. Auf Reaktion folgt Gegenreaktion oder Resonanz, wie Hartmut Rosa unter Pseudonym selbst in seinen Wikipedia-Eintrag geschrieben hat. Wenn der Bewohner des gegenüberliegenden Apartments sich hinter einer Pflanze versteckt, dann spiele ich mit. Ich suche mir eine Pappe mit der Aufschrift Akrützel. Akrützel, was ist das eigentlich für ein komischer Name? Egal. Ich spanne die Pappe in den Raum zwischen dem inneren und äußeren Teil des Kastendoppelfensters und versperre dem Apartment-Heini die Sicht. Die Vögel bleiben mittlerweile relativ ruhig. Wahrscheinlich pennen die, oder denken, ist dieser Typ da unten bekloppt. Zu Recht.

21:23 Uhr Ende der Sitzung

So, das wars. Fazit: Von 35 Mitgliedern labern wie immer die selben zehn. Ob die Auflösung des Stura aufgehalten werden kann, wird sich erst nächste Woche zeigen und Oliver sollte sich bis dahin ein neues Passwort ausdenken.

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