SAG MIR, WO DU STEHST

In einem nichtöffentlichen Prüfbericht kritisiert der Thüringer Rechnungshof die Studierendenschaften: zu links, zu verschwenderisch und zu weit weg von Studierendenbelangen. Was ist dran?

Von Marcel Haak und Tim Große

Sag mir, wo du stehst heißt es in einem Agitationslied der DDR-Singetruppe Oktoberklub. Und wo die Studierendenschaft steht, das will der Rechnungshof in einem dem Akrützel exklusiv vorliegenden Bericht festgestellt haben: zu weit links.
Der Thüringer Landesrechnungshof ist ein regierungsunabhängiges Organ zur Finanzkontrolle von Körperschaften des öffentlichen Rechts und eben auch von Teilkörperschaften des öffentlichen Rechts, wie dem Studierendenrat (Stura) der FSU. Seinen Sitz hat der Landesrechnungshof auf Schloss Ludwigsburg im sonst nicht gerade prominenten Rudolstadt. Als das Akrützel unangemeldet vorbeischaut, ist es ruhig im Schlosshof. Die Büros wirken verlassen. Aus dem Haupteingang kommt ein baskenmützentragender Mann und steigt in einen metallic-grauen Peugeot. Es ist das letzte Auto, was an diesem Tag den Parkplatz verlässt, denn es ist Freitag, 14 Uhr. Zu Beamtendeutsch: Wochenende. Auf telefonische Nachfrage teilt der Rechnungshof mit, dass aufgrund des laufenden Verfahrens noch nicht feststehe, wann beziehungsweise ob die Prüfungsergebnisse offiziell veröffentlicht werden.

Hof des Thüringer Rechnungshofes in Rudolstadt. Foto: Tim Große

Herren mit minderwertigen Anzügen

„Da kamen zwei Herren, die eher minderwertige und zu große Anzüge trugen. Sie sahen ein bisschen verkleidet aus. Dann haben sie ein paar dümmliche Fragen gestellt und ich glaube, sie waren nicht ganz in der Materie“, beschreibt Stura-Mitglied Florian Rappen die Rechnungsprüfer.
Florian ist Vorsitzender des Fachschaftsrates Wirtschaftswissenschaften und seit über fünf Jahren Mitglied des Stura. Er war anwesend, als die Prüfung vor Ort durchgeführt wurde. Laut Florian sollten dafür über 200 Ordner mit Finanzunterlagen aus den Stura-Räumen am Campus Ernst-Abbe-Platz in einen im UHG von den Prüfern reservierten Besprechungsraum gebracht werden. Das war unmöglich, wie er berichtet: „Sie haben sich dann bequemt, hier hoch zu laufen und sich das hier anzuschauen.“
Die Ergebnisse der einwöchigen Prüfung wurden dann im Sommer dem Thüringer Wissenschaftsministerium zur Stellungnahme vorgelegt. Dieses wiederum wandte sich an die Studierendenräte und bat um schriftliche Stellungnahme bis Oktober.

Campus der Anarchie?

Doch was steht denn eigentlich drin? Unter anderem wird kritisiert, wofür die Studierendenschaften und ihre Vertreter Geld ausgegeben haben. Bei dieser ausführlichen Untersuchung hat der Rechnungshof nicht nur festgestellt, dass der Stura der FSU vor vier Jahren ein selbstgemaltes Transparent für eine AfD-Gegendemo mit rund 55€ finanziert hat, sondern auch, dass zahlreiche „von den Studierendenschaften unterstützte Veranstaltungen nicht allgemeinpolitischer Natur und ausschließlich dem linken Spektrum zuzuordnen sind.“ Was dem Rechnungshof also sauer aufstößt ist, dass der Stura mit seinen Geldern hauptsächlich linkspolitische Veranstaltungen unterstützt und somit einen klaren politischen Standpunkt bezieht und sich nicht neutral verhält. Die Studierendenschaften seien nach dem Thüringer Hochschulgesetz eben nicht befugt, eigene politische Forderungen zu vertreten.
Zwei Drittel der vom Rechnungshof genannten Negativbeispiele der Thüringer Studierendenvertretungen betreffen den Stura der FSU. Neben dem bereits genannten Transparent werden unter anderem die Alota (Alternative Orientierungstage) „unter Beteiligung von Gruppierungen mit Bezug zum Thüringer linksextremistischen Spektrum“ sowie zwei Filmvorführungen zum G20-Gipfel unter Führung der linksradikalen Basisgruppe Pekari aufgelistet. Der Rechnungshof kritisiert, dass das hochschulpolitische Mandat der Studierendenvertreter dadurch überschritten und die Studierendenbeiträge zweckwidrig verwendet wurden. Zudem sei das weder vom Haushaltsverantwortlichen des Stura noch dem Präsident der Uni beanstandet wurden.
„Ist ja eigentlich gar nicht öffentlich“, sagt Walter Rosenthal, Präsident der FSU, und schmunzelt, als das Akrützel ihn auf den Prüfbericht anspricht. Er sagt, dass ihm Transparenz wichtig sei, was er auch im Verlauf des Gesprächs unter Beweis stellt. „Wichtig ist der Gedanke, dass wir [die Uni] Rechtsaufsicht haben, was die Studierendenschaft angeht, aber keine Fachaufsicht und deswegen können wir auch keine Weisungen geben.“ Der Präsident stellt klar, dass der Stura als Teilkörperschaft der Uni hoheitliche Befugnisse hat. „Das können wir nicht und wollen wir nicht flächendeckend überwachen“, sagt er bezüglich der Ausgaben des Stura und bestätigt, dass man mit dem Rechnungshof nicht immer einer Meinung sei. „Wenn der Rechnungshof sagt, dass der Stura einer Neutralitätspflicht unterliegt, dann ist das so. Aber der Stura ist gewählt und hat deswegen eine bestimmte politische Zusammensetzung, die sich dann, wie bei jedem Parlament, im Handeln widerspiegelt“, sagt Rosenthal. Nicht gut findet er es jedoch, wenn Gruppierungen unterstützt werden, die verfassungsrechtlich problematisch sind, als Beispiel führt er dafür die im Bericht erwähnte Gruppierung Pekari an.

„Bloß nichts verändern zu wollen, ist ja auch politisch“

Stura-Mitglied Markus Wolf vom CDU-Studierendenverband RCDS (Ring Christlich Demokratischer Studenten) geht dagegen mit den Vorwürfen des Rechnungshofes weitgehend konform: „Für mich ist der Stura ein Verwaltungsgremium und kein politisches Spielfeld. Ich weiß, dass das viele aus dem linken Spektrum anders sehen.“
Und tatsächlich, Elisabeth Zettel von der Emanzipatorischen Linken Liste (Elli) sieht es anders: „Ja bloß nichts verändern zu wollen, das ist ja auch politisch.“ Weiterhin bringt sie an, dass in den Arbeitsbereichen des Stura wie Politische Bildung oder dem Referat Gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit überwiegend linke Personen tätig sind. „Man würde andere Debatten führen, wenn da nicht nur linke Menschen säßen. Vielleicht ist es aber auch ein bisschen den Themen geschuldet, da es unwahrscheinlich ist, dass jemand aus dem RCDS kommt und dem Gleichstellungsbüro zuarbeitet“, erklärt Elisabeth.
Außerdem verdeutlicht sie, dass der Rechnungshof nicht die Instanz ist, die entscheiden sollte, was die Studierendenvertretung politisch macht.
An dieser Stelle ist sie sich sogar mit Florian Rappen von der politisch oft weit entfernten Liste Aktiv, engagiert und motiviert (AEM) einig: „Für mich persönlich ist der Stura zu links, aber es ist eine Kompetenzüberschreitung des Rechnungshofes, das zu bewerten“, erklärt der 30-jährige Wirtschaftswissenschaftler. Er stellt außerdem klar, dass man deswegen nicht zum Ausgleich die AfD einladen müsse, da das politische Spektrum ja noch deutlich mehr bietet als nur rechts und links.
Zu den Alota äußert sich Florian Rappen in diesem Zusammenhang auch noch. Er meint, es sei schon nicht klar, wer diese überhaupt veranstaltet und kritisiert allgemein die Finanzierung einiger externer Veranstaltungen. Dass das überhaupt funktioniere, liege „an den Protagonisten im Stura, die mit diesen linken Veranstaltungen verbandelt sind.“

Aktuelle Zusammensetzung des FSU Stura. Grafik: Robert Gruhne

Strafrechtliche Konsequenzen

Nicht zuletzt weist der Prüfbericht auf strafrechtliche Konsequenzen für die Verantwortlichen bei Überschreitungen des hochschulpolitischen Mandats hin. Sebastian Wenig ist Haushaltsverantwortlicher des Stura und wird als solcher im Prüfbericht auch mit dafür verantwortlich gemacht, dass es überhaupt dazu kommen konnte, die zahlreichen Veranstaltungen aus dem linken Spektrum zu finanzieren. Er selbst meint, dass in den geförderten Veranstaltungen eine politische Neutralität erkennbar sein sollte. „Das Problem daran ist, dass es in der Studierendenschaft selbst schon die Tendenz in diese politische Richtung gibt“, erklärt Sebastian. Er rechtfertigt die Entscheidungen des Stura als demokratisch legitimiert, da schließlich jeder Studierende diese Vertreter wählen könne und somit die Ausrichtung der Studierendenschaft widergespiegelt wird.
Befragt man Stimmen aus dem Landtag zu den Vorwürfen, ist Zurückhaltung erkennbar: Lena Saniye Güngör, Jenaer Landtagsabgeordnete der Linken, sieht die Prüfung des Rechnungshofes und die darauffolgenden Stellungnahmen als „wichtiges Verfahren, gerade für den Stura als demokratisch gewähltes und legitimiertes Gremium“. Nachdem sie betont, dass es sich um ein nicht finales und nicht öffentliches Dokument handelt und deswegen auch alle Positionierungen nur vorläufig sein können, sagt Güngör zu den gewählten Beispielen: „Das, was hier als ausschließlich links beschrieben wird, ist faktisch nicht korrekt. Das sind Dinge, die nicht dem linken Spektrum spezifisch zugeschrieben werden können, sondern Dinge, die im Grundgesetz verankert sind.“ Genauer sagte sie, es ginge hier vor allem um Antifaschismus und Antirassismus, die per Grundgesetz nicht links seien, sondern eine gesamtgesellschaftliche Verpflichtung.
Michael Kaufmann (AfD), Vizepräsident des Thüringer Landtags und Maschinenbau-Professor an der Ernst-Abbe-Hochschule, meldete sich auf Akrützel-Anfrage mit einem sehr trockenen Absatz darüber, dass politische Neutralität „für alle durch Steuergelder geförderten Vereine, Körperschaften etc. eine Selbstverständlichkeit“ sei. Außerdem wandte er sich ungefragt mit dem Rat an das Akrützel, bei „allen Aktivitäten strenge politische Neutralität zu wahren“.

Wie geht es weiter?

Die beiden Jenaer Studierendenräte an der FSU und EAH haben genau wie der Präsident ihre Stellungnahme schriftlich an das Thüringer Wissenschaftsministerium weitergeleitet. Dort will man sich auf Akrützel-Nachfrage nur informell äußern und bittet vehement darum „in ihrer Zeitung da nicht aus dem vertraulichen Bericht zu zitieren“.
Zu Aussagen, wie das Ministerium mit den Vorwürfen umgeht und welche Schlüsse es daraus zieht, zeigte man sich nicht bereit. Nun liegt es am Rechnungshof, ob die Prüfungsergebnisse im Jahresbericht auftauchen und damit offiziell an die Öffentlichkeit gelangen. Das aber, so heißt es aus dem Landesrechnungshof, werde noch geprüft. Das können sie ja bekanntlich am besten.

Mitarbeit: Martin Emberger

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