Only Memories Left Alive

In dieser Serie widmen wir den vermeintlichen und echten Meisterwerken
unsere Liebeserklärungen und Hasstiraden. Diesmal: Birkenstock.

von Louisa Wortmann

Jeden Sommer habe ich auf dich gewartet. Du einzigartige Perfektion eines anschnallbaren oder reinschlüpfbaren Tritterleichterers. Du, der du schon länger als die Dampflokomotive lebst und eine beeindruckende Geschichte hinter dir hast. Gebündelte Erfahrung von Schuhmeistern und -meisterinnen seit 1774 und schon so früh groß rausgekommen. Konntest neben der deutschen Nationalelf in den 70ern zum Weltstar werden und das sogar mit Socken in dir drin. Und du überlebst, obwohl von dir so viel geklaut, gestohlen, gezogen und geraubt wird! 
Wie du mich auf Zuckerwatte gehen ließest, mit dir schwebte ich immer und ausschließlich auf Wolke sieben! Mit dir konnte ich mit nur einem Schritt gleich zwei tun. Meinen Zehen hast du haargenau den richtigen Platz für ein frisches Lüftchen gelassen. Immer der perfekte Durchzug, selbst wenn es 36 Grad und noch heißer wurde. Nicht nur der Schuh, der atmet, sondern der Raum zum Atmen schafft. Ich hätte jedes Mal schreien können vor Glück, wenn ich zur Tür hinaus ging. Für dich war kein Hindernis zu groß und kein Weg zu weit. Der Weg konnte so steinig sein und schwer, wie er sein wollte, ich und du konnten ihn, ohne zu straucheln passieren. Jeden Tag hätte ich dir am liebsten gesagt, dass es so schön ist, dass es dich gibt! Berge sahen für mich wie Geraden aus, Rutschpartien wie mit Klebeband tapeziert und Sümpfe wie ein Schlaraffenland aus Schokoladensoße und Zuckerrübensirup. 
Zu jeder Gelegenheit hast du gepasst. Hast meinen ersten Kuss miterlebt, mein Abitur mit mir gefeiert, nachdem ich meine armen Füße wundstolziert habe auf deinen stöckligen Artgenossen. Hast meine Füße wohl umschmust. Hast mit mir mein Zuhause gewechselt, die Uni begonnen, Irrungen korrigiert, WG-Räume erträglicher durchquert, Partys voller Alkoholpfützen umtanzt und noch den höchsten Berg bestiegen! Jeder Farbe passtest du dich an, mein kleines Chamäleon. Ob meine Hose mit Schlag, die super skinny Röhre oder die neue Cargo Hose -, was nicht passend war, wurde passend gemacht.  – Das habe ich durch dich gelernt, meine liebste Sandale. Schuh, wo wär´ ich bloß ohne dich gelandet – dann säße ich wohl barfuß am Klavier und hätt´ dabei an dich gedacht. Du warst so viel mehr für mich als nur ein Schuh, mein lieber Birkenstock! 

Doch was ist aus dir geworden? Jeder Schritt auf jedem Weg tut weh. Jeden Stein kann ich spüren. Fast bei jedem zweiten Schritt muss ich stolpern und wenn ich einen Schritt nach vorne gehe, mache ich eigentlich zwei zurück. Überall wo ich hintreten will, liegen Scherben. Du beschützt mich nicht mehr vor Dreck, du produzierst ihn! Vor lauter Blasen kann ich meine Füße nicht mehr sehen und rein gar nichts lässt sich mit dir kombinieren. Zu meiner Wide Leg Hose siehst du aus wie Omas Gartenschuhe und zu meinem kurzen Glitzerrock wie zwei Schneidebrettchen mit Panzertape. Deine Farbe ist nicht vielseitig, sondern undefinierbar. Im Anatomieunterricht hast du meine Füße wohl übersprungen – trotz Weichbettung kein Bettgefühl. Schuh, wie werd´ ich dich am besten los! Von Wegen Liesbeth könnte mir dich abkaufen, das wär´ doch ne Idee. Ja du, jetzt ist endlich Schluss(-Verkauf)! Und ich habe aufgehört, dich zu lieben, ich kann es nicht mehr lassen, dich zu hassen! Aber du hast deine besten Tage hinter dir, denn, und das sag ich dir jetzt ganz klipp und klar: Die Adilette ist nun der Star!

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