Keine politische Lehrlingszeit

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Ein Gespräch über Aufgaben und Hürden eines Stura

Das Gespräch führte Maria Hoffmann




Peer Pasternack ist Direktor des Instituts für Hochschulforschung an der Uni Halle-Wittenberg. Er forscht unter anderem zu Wissenschaftsgeschichte und Hochschulpolitik. Mit dem Akrützel sprach er über Engagement an der Hochschule, Zeitmangel und angemessene Entschädigungen.

Foto: Pressestelle Uni Leipzig/Jan Woitas

Wie hat sich die Hochschulpolitik nach der Wende in Ostdeutschland entwickelt?

Es fing an mit einem Modell der studentischen Selbstverwaltung, das 1989 in vielen Diskussionen entwickelt wurde. Im Herbst 89 ging zunächst kaum jemand davon aus, dass es zwingend zu einer Vereinigung der beiden deutschen Staaten kommt. An den Ost-Hochschulen war das westdeutsche AStA-Modell gar nicht bekannt, und das dann selbstentwickelte war stark vom Rätemodell inspiriert. Damals bildeten sich überall Räte oder räteähnliche Strukturen, so auch Studentenräte.
Als dann die Vereinigung der beiden deutschen Staaten und damit auch der beiden Hochschulsysteme auf die Tagesordnung gelangte, zeigte sich, dass sich dieses Modell stark von dem westdeutschen unterschied. Die ostdeutsche Studierendenselbstverwaltung beruhte nicht auf Listen, die gewählt werden können, und setzte keine politischen Gruppierungen voraus. Stattdessen gab es Personenwahlen, die in der Regel über Fachschaftskandidaten zustande kamen.
Es herrschte eine Auffassung, die nur vor dem Hintergrund der FDJ-Erfahrung an den DDR-Hochschulen verstanden werden kann: Die FDJ hatte für sich ein studentisches Vertretungsmonopol in Anspruch genommen, aber zuerst die Politik gegenüber der Studentenschaft vertreten, erst danach im Einzelfall auch studentische Anliegen gegenüber der Politik. Die Studentenräte wollten nun zum einen die Studierenden vertreten und zum anderen möglichst alle vertreten: „Quasigewerkschaftlich“ wurde das damals genannt. Eine parlamentsähnliche Organisationsform mit politischen Gruppen, die um Anteile von Sitzen im Stura konkurrieren, wurde da kritisch gesehen. Dieses ostdeutsche Modell ist dann in Grundzügen, zum Teil optional, in die neuen Landeshochschulgesetze aufgenommen worden. An sehr vielen ostdeutschen Hochschulen ist das Stura-Modell infolgedessen bis heute das vorherrschende.

Welchen Einfluss hatte dieses Stura-Modell?

Es hat manche Sachen damals erleichtert. Insbesondere die politische Polarisierung innerhalb der Studierendenschaften war dadurch weniger stark, als es von westdeutschen Hochschulen bekannt ist. Es hatte aber auch Nachteile, weil ein Gremium, das grundsätzlich alle vertreten möchte, auch eingeschränkt ist in seiner Fähigkeit, sich besonders deutlich hochschulpolitisch zu positionieren. Stattdessen war das häufig sehr – manchmal wohl auch zu sehr – kompromissorientiert. Das scheint mir heute auch der Fall zu sein.

Welche Aufgaben und welche Rolle würden Sie einem Stura heute zuschreiben? Was hat sich gewandelt?

Geändert hat sich zunächst, dass sich der Stura nicht mehr fortwährend legitimieren muss. Er ist in den Hochschulen akzeptiert als die Struktur der Selbstverwaltung der Studierenden. Das musste am Anfang erst einmal durchgesetzt werden. Nachdem die Hochschulgesetze dann im Jahre 1991 verabschiedet waren, waren sie zwar formal legitimiert, aber sie mussten noch darum kämpfen, auch inhaltlich anerkannt zu werden: als Partner, Ansprechgremium und als dasjenige Gremium, das die studentischen Interessen bündelt.
Eine Kontinuität ist, dass die Studentenräte relativ stark auf Mitwirkung fokussiert sind und als solche von den Universitäts- und den Fakultätsleitungen ernst genommen werden. Man erwartet von ihnen, dass sie die studentischen Positionen erheben, bündeln und vertreten. Das fällt allerdings ziemlich schwer, weil es gewisse Schwierigkeiten mit der Mobilisierungsfähigkeit der Studierenden gibt. Infolgedessen werden dann häufig die persönlichen Präferenzen derjenigen, die die Sprecherpositionen bekleiden, stark wirksam. Dabei ist eine besondere Schwierigkeit der letzten Jahre, dass es durch das Bologna-Regime für Studierende schwieriger wird, die Zeit zu finden, um sich an studentischer Interessenvertretung oder Meinungsbildung zu beteiligen.

Ist es schwierig alle Studenten unter einen Hut zu bekommen, um sie angemessen vertreten zu können?

Ja, sie unter einen Hut bringen zu können, würde voraussetzen, dass klare Artikulationen stattfinden. Es herrscht hier allerdings Nicht-Artikulation von Interessen vor, und dann müssen diejenigen, die gewählt sind, von vermuteten Interessenlagen der von ihnen zu vertretenden Klientel ausgehen. Sie müssen aufgrund von Alltagsgesprächen Vermutungen darüber anstellen, was das studentische Interesse zu einem bestimmten Thema ist.

Was müsste sich ändern, damit man auch bei komplexeren Themen das Klima besser einfangen kann?

Wegen der eng getakteten Studienprogramme ist es schwer, zu Angelegenheiten des Faches, der Fakultät oder Universität zusammenhängende Positionen zu entwickeln, weil den Studenten die Zeit fehlt, sich damit zu beschäftigen. Man müsste also das Studium von allzu restriktiven zeitlichen Bedingungen befreien. Das wäre auch aus anderen Gründen durchaus sinnvoll.
Die Strukturierung, die durch den Bologna-Prozess in die Curricula gebracht worden ist, sollte ein Angebot an die Studierenden sein, und es sollte möglich sein, von diesem Angebot Gebrauch zu machen oder eben nicht. Das heißt, dass man auch unterschiedliche Studiergeschwindigkeiten zulässt, die es ermöglichen, dass man zeitliche Freiräume hat, um neben dem Studium auch andere Dinge zu betreiben, sei das nun studentische Interessenvertretung oder die Mitwirkung im Unichor. Es geht ja im Studium auch um Persönlichkeitsentwicklung.

Ist die Arbeit im Stura auch eine Art „politische Übung“?

Ja, aber da würde ich differenzieren, wie gut das ist. Eher problematisch ist es wohl, wenn man studentische Interessenvertretung als etwas begreift, mit dem man sich lediglich die Techniken aneignet, um sich später in einem „richtigen“ politischen Betrieb angemessen durchsetzen zu können. Das entwertet die studentische Interessenvertretung. Die sollte zunächst aufgrund von realen Bedürfnissen und Notwendigkeiten an der Hochschule betrieben werden.
Diejenigen, die sich an dieser Interessenvertretung beteiligen, nehmen aber massiven Erfahrungsgewinn mit, der sich dann sowohl in politischen als auch beruflichen Zusammenhängen positiv auswirken kann, weil es eine kooperative Arbeit ist, in der man sich durchsetzen muss, sozial wie auch argumentativ. Das sind Dinge, die sich nicht nur in einer anschließenden politischen Karriere positiv auswirken können, sondern für das ganze Leben einen Zugewinn an Erfahrung bringen.

Aber das sehen Sie eher als Nebenprodukt aus der Notwendigkeit einer Studierendenvertretung?

Es sollte so sein, dass man sich in jeder Lebenslage für die gemeinschaftlichen Angelegenheiten interessiert und gegebenenfalls auch engagiert. Das ist für eine mündige Bürgergesellschaft eine Grundvoraussetzung, damit sie funktionieren kann. Insofern ist die Universität nur ein Ort von vielen, an dem man sich biografisch für eine bestimmte Zeit aufhält und den man genau deshalb mitgestalten sollte. Aber man sollte das nicht instrumentell, als eine Art politische Lehrlingszeit, auffassen.

Für wie wichtig erachten Sie Kompetenzen bei der Mitarbeit im Stura?

Das ist ein großes Problem für die studentische Selbstverwaltung, weil es fortwährend schnelle studentische Generationenwechsel gibt und es infolgedessen Wechsel in den Ämtern geben muss. Das wird verschärft durch die Bologna-Strukturen. Durch die beiden Studienzyklen wechseln viele nach dem Bachelor die Universität und investieren dann zwei oder drei Jahre in das Masterprogramm. Das ist relativ kurz, um sich in die speziellen Bedingungen vor Ort einzuarbeiten und sich einzubringen. Da wäre, um Kompetenzen zu sichern, ein Erfahrungstransfer von einer studentischen Generation zur nächsten nötig. Das gelingt in den meisten studentischen Vertretungen nicht.

Wie ist das zum Beispiel bei einem Haushaltsverantwortlichen, der mit großen Summen und öffentlichen Geldern umgehen muss?

Hier gelangen die meisten Studentenvertretungen zu der Mischstruktur, dass es einen oder eine hauptamtliche Angestellte gibt, die sich mit den Finanzen befasst, und einen Finanzreferenten, der versucht, sich so weit einzuarbeiten, dass die Finanzsachbearbeitung nicht die hochschulpolitische Arbeit über die Finanzen steuern kann. Das Modell hat sich als recht erfolgreich erwiesen. Wenn die Finanzsachbearbeitung viele Jahre für die studentische Vertretung tätig ist, akkumuliert sie viel Insiderwissen und kann dadurch in die Versuchung geraten, die inhaltliche Arbeit des Stura über die Steuerung von Finanzströmen zu beeinflussen. Das sollte nicht passieren. Deswegen muss die Zeichnungsberechtigung bei einem gewählten Finanzreferenten liegen, aber auf der Grundlage einer professionellen Finanzsachbearbeitung, damit keine technischen Fehler passieren, die mit der hochschulpolitischen Arbeit der Studierendenvertretung gar nichts zu tun haben. Der Finanzreferent oder die -referentin ist so auch entlastet von diesem technischen Kram. Man muss nur Willens sein, eine Personalstelle dafür zu bezahlen, die aus studentischen Mitgliedsbeiträgen finanziert wird.

Inwieweit kann der Stura als Arbeitgeber fungieren?

Die meisten Studentenräte an Universitäten haben Angestellte, und diese sollten immer nur dienstleistende Funktionen wahrnehmen. Andernfalls können sie in die Lage kommen, die inhaltliche Arbeit zu bestimmen, was unter Umständen den Mehrheitsbeschlüssen der Studentenvertretungen nicht entspricht.
Aufwandsentschädigungen sollte man an gewählte Vertreter zahlen, die eine Funktion wahrnehmen, die sehr intensiv Zeit absorbiert. Wenn sich das zwischen 25 und 50 Prozent des Zeitbudgets bewegt, müsste eine Aufwandsentschädigung gezahlt werden, weil es sonst schwierig wird, Leute zu finden, die das überhaupt machen. Wenn man 25 Prozent seiner Zeit in Vertretungsarbeit investiert, muss man davon ausgehen, dass sich auch das Studium um 25 Prozent verlängert. Aufwandsentschädigungen sind eine höchst preiswerte Variante, Engagement zu vergüten, weil hier keine Lohnnebenkosten anfallen, was bei Angestellten der Fall ist.

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