„Am falschen Ort“

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Ein Student erzählt von seiner rechtswidrigen Verhaftung

Das Gespräch führte Steffen Elsner




Sven Schwabe, Student an der FSU, wurde 2007 in Heiligendamm für sechs Tage in Polizeigewahrsam genommen. Anschließend trat er den Gang durch die Institutionen an und verklagte Deutschland schließlich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Erst dort wurde ihm Recht gegeben und seine Festnahme als rechtswidrig verurteilt.

Foto: Steffen Elsner

Warum hast Du Dich entschieden nach Heiligendamm zu fahren?

Wir wollten gegen die ungerechte und aus unserer Sicht illegitime Politik der führenden acht Industrienationen protestieren. Die propagieren ein Wirtschaftssystem, das Reichtum und Privilegien für die reichsten fünf bis zehn Prozent der Menschen schafft, während der Großteil der Weltbevölkerung darunter zu leiden hat.

Wie habt Ihr die ersten Protesttage erlebt?

Wir haben an einer großen Demonstration am 2. Juni in Rostock teilgenommen. Die ist ziemlich eskaliert. Am Abend danach haben wir in einem Camp übernachtet. Dort haben Leute erzählt, ein Freund von ihnen sei in Polizeigewahrsam gekommen. Da sie kein Auto hatten, haben mein Freund und ich sie zum Gefängnis gefahren. Auf dem Parkplatz der JVA in Waldeck kam es dann zur Polizeikontrolle. Sie haben unsere Personalien kontrolliert oder wollten das nach ihrer Aussage zumindest. Dann haben sie uns äußerst brutal zu Boden gebracht und festgenommen. Mein Freund ist fast bewusstlos geworden. Er hatte schwere Blutungen am ganzen Kopf und eine Gehirnerschütterung. In Folge der Gewaltanwendung haben die Beamten unser Auto durchsucht. Mein Freund und ich wurden abgeführt, unsere Mitfahrer zuerst auch, dann aber wieder freigelassen.

Wie hat die Polizei Eure Verhaftung nachher gerechtfertigt?

Bei der Durchsuchung des Wagens fand die Polizei im Kofferraum die beiden Transparente auf denen „Freedom for all prisoners“ und „Free all now“ stand. Das wurde vom Amtsgericht Rostock zum Anlass genommen, uns sechs Tage in Polizeigewahrsam zu sperren. Der Aufruf zur Gefangenenbefreiung sei eine Straftat. Weder dass wir keine Waffen dabei hatten, noch dass außer uns niemand auf dem Parkplatz war, ließ deutsche Gerichte an ihrem Urteil zweifeln. Von uns neun Leuten ging überhaupt keine Gefahr aus. Wir waren vielleicht bloß zur falschen Zeit am falschen Ort.

Hatte das brutale Vorgehen Konsequenzen für die Polizisten?

Wir haben eine Klage eingereicht wegen Körperverletzung im Amt. Es gab dann ein Verfahren vor dem Amtsgericht Rostock. Der Polizist wurde allerdings freigesprochen. In dem Moment, in dem die Körperverletzung stattgefunden hat, hat angeblich gerade keiner hingeschaut oder sei mit anderen Dingen beschäftigt gewesen.

Wie ging es dann nach eurer Verhaftung weiter?

Wir wurden in eine Gefangenensammelstelle in Rostock gebracht. Am nächsten Tag hat uns der Amtsrichter zu Polizeigewahrsam verurteilt. Als erste G8-Protestanten kamen wir in die JVA in Bützow. Dort angekommen, mussten wir uns erstmal nackt ausziehen. Zuerst war ich 23 Stunden in Einzelhaft. Nur in einem abgeranzten Raum: Gitterstäbe vor den Fenstern und diese Tür, die hinter einem zuknallt. Uns war vollkommen unklar wie es weitergeht. Ich wurde dann nach dem Tag mit meinem Freund zusammengesperrt.

Wie war es im Gefängnis für euch psychisch und physisch?

Uns wurde körperlich nicht allzu groß zugesetzt. Und auch mit dem Wissen, dass man nach einer Woche wieder rauskommt, ist die Zeit wenigstens begrenzt. Es gibt noch eine ganz andere Bandbreite von Leuten: Manche bleiben mehrere Jahre in Haft und es gibt Leute wie Oury Jalloh, die in Polizeigewahrsam sterben. Und trotzdem ist es so, wenn man in diese Zelle reinkommt, ist das gar nicht so leicht mit der Realitätserfassung. Ich habe mich am Ende wirklich gefragt: Was habe ich falsch gemacht? Zu zweit war das schon besser, weil man sich dann austauschen konnte.

Ihr habt ja sicher versucht, möglichst schnell wieder rauszukommen. Was waren Eure Schritte?

In Gewahrsam haben wir natürlich sofort Anwälte angerufen, die sich dann sofort aufopfernd um uns gekümmert haben. Von etwa 1.100 Präventivfestnahmen während des G8-Gipfels waren 1.000 rechtswidrig. Für sie war sofort klar, dass das auch bei uns der Fall ist. Unsere Anwältin sollte am nächsten Tag vor Gericht zum Gefährdungspotenzial der Transparente Stellung nehmen. Da war sie vollkommen baff, was solle sie denn da ausführen. „Freedom for prisoners“ ist doch eine legitime Forderung, die man stellen kann. Vor allem wenn in Rostock 1.000 Menschen rechtswidrig eingesperrt sind.

Wie ging es weiter, als Ihr nach den ersten Klagen nicht freigesprochen wurdet?

Für unsere Anwältin war das eigentlich ein einfacher Prozess. Wir haben uns noch während der Haft bis zum Oberlandesgericht vorgeklagt und nach der Entlassung eine Klage beim Bundesverfassungsgericht vorbereitet, aber unser Einspruch wurde abgewiesen. Alle deutschen Gerichte meinten, es sei alles rechtens gewesen. Das hat uns schockiert.

Was dachtet Ihr, als Ihr erfahren habt, dass Ihr auch beim Bundesverfassungsgericht keinen Erfolg mit Eurer Klage habt?

Wenn man mitkriegt, dass vom Amtsgericht bis zum Bundesverfassungsgericht alle sieben Instanzen unseren Gewahrsam bestätigt haben, denkt man schon: Das kann doch nicht wahr sein.

Ihr habt Euch dann nochmal entschlossen, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu klagen. Erkläre doch mal, wie Ihr zu dieser Entscheidung gekommen seid.

Mein Freund, unsere Anwälte und ich haben sehr viel Ressourcen und Zeit investiert, um immer dran zu bleiben. Wir haben gesagt, dass das ein Fall ist, der nicht nur uns angeht, sondern für die Rechtsprechung insgesamt von Bedeutung ist.

Ihr habt vier Jahre auf das Urteil warten müssen und Recht bekommen. Wie lief das Verfahren vor dem EGMR ab?

Es wird alles schriftlich gemacht. Man schildert seinen Fall und die Rechtsbrüche. Die Bundesregierung hatte dann die Möglichkeit zur Stellungnahme. Zu einem bestimmten Zeitpunkt kommt es dann auf die Agenda. Auf die Entscheidung haben wir jetzt viereinhalb Jahre gewartet. Es schauen unheimlich viele Menschen, was dort gemacht wird und wer dort aus welchen Gründen verurteilt wird. Es gab ein unglaublich großes Echo in den Medien.

Wie sah das Urteil genau aus?

Wir haben wirklich in fast allen Punkten Recht bekommen. Deutschland hat gegen grundlegende Menschenrechte, das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie das Recht auf körperliche Unversehrtheit in voller Bandbreite verstoßen. Interessant ist, dass der EGMR in seinem Urteil noch direkte Hinweise gegeben hat, dass der polizeiliche Präventivgewahrsam, wie er in Deutschland durchgeführt wird, allgemein problematisch sein könnte. Er wird im Moment regelmäßig angewendet, um Leute vorsorglich, aufgrund vager Vermutungen, für mehrere Tage einzusperren. Man bestraft Menschen dafür, dass sie politisch aktiv sind.

Der EGMR hat Euch am Ende jeweils 3.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Was hast Du damit vor und hat es sich dafür gelohnt?

Beim G8-Gipfel waren Anwälte von der Roten Hilfe und vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälte-Verein aktiv, weil im Vorfeld schon klar war, dass die Bundesrepublik dort im großen Stil Menschenrechte verletzen wird. Ohne deren Hilfe wäre der Prozess am Ende nicht möglich gewesen. Daher ist man denen auf jeden Fall zu Dank verpflichtet und es ist mir wichtig, dass wir einen Großteil des Schmerzensgeldes diesen Organisationen zukommen lassen wollen. Uns war klar: Es geht um Demokratie und Menschenrechte, in Deutschland und Eu­ropa. Wir wollten das Verfahren führen, weil wir in Zukunft nicht darauf verzichten wollen, von unseren Grundrechten Gebrauch zu machen. Ich kenne aber sehr viele Menschen, die gerade infolge solcher Erlebnisse aufhören. Das kann ich nachvollziehen.

Was wird sich in Deutschland nun ändern? Welche Folgen sind absehbar?

Es ist schon eine Erleichterung für uns, diesen offensichtlichen Rechtsbruch als solchen bestätigt zu bekommen. Über Konsequenzen für die jetzige Rechtsprechung in Deutschland wird diskutiert. Es geht weniger um die Politik, sondern um die Polizeipraxis. Die muss sich jetzt stark einschränken. Es ist abzuwarten, wie die Polizei damit umgeht. Das Urteil hat im gesamteuropäischen Kontext unheimlich starke Resonanz ausgelöst. Meistens ist es nämlich die BRD, die andere Staaten für Menschenrechtsvergehen rügt.

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