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Gastkommentar zum Stura-Akrützel-Verhältnis

Zu den ungeschriebenen Gesetzen der Akrützel-Geschichte gehört es, dass es im Schnitt alle acht Jahre zu einer großen Vertrauenskrise zwischen Studentenzeitung und -vertretung kommt.
Im Januar 2013 war es wieder einmal soweit.

Auf die in Ausgabe Nr. 318 geübte harsche Kritik am amtierenden Studierendenrat folgte ein heftiger Schlagabtausch hinter den Kulissen: Vorstands- und andere Sturamitglieder dachten darüber nach, dem Chefredakteur zu kündigen bzw. dem Akrützel die finanziellen Mittel zu entziehen.
Gegen das Blatt gerichtete Pamphlete im schönsten K-Gruppen-Stil geisterten durch das Internet. Akrützel-Unterstützer marschierten im Stura auf – wer dessen Sitzungen kennt, weiß, was für ein entsagungsvoller Akt der Solidarität dies ist. Mittlerweile hat die Stura-Mehrheit deutlich zugunsten der Zeitung entschieden und man könnte das Ganze als Ausbruch persönlicher Feindschaften abtun, wie sie z.B. gewisse im Stura-Engagement ergraute Langzeitstudenten hegen. Dennoch müssen wir, die Akrützel-Leserschaft, wachsam bleiben, damit nicht auf solche Weise irgendwann einmal ein gut funktionierendes, lebendiges Zeitungsprojekt zerschlagen wird. Dazu möchte ich einige grundsätzliche Überlegungen beisteuern.
Gleich vorneweg bekenne ich, parteiisch zu sein: Auch ich halte die jüngst im Akrützel erhobenen Vorwürfe für gerechtfertigt. Die Arbeitsweise des heutigen Stura dürfte auf viele Studierende, die sich engagieren wollen, abschreckend wirken. „Unsere Geschäftsordnung ist mir heilig“, wird ein Vorstand zitiert. Als einer, der vor 20 Jahren an der „Gesetzgebung“ der Jenaer Verfassten Studentenschaft mitgewirkt hat, möchte ich da nur laut ausrufen: „Das haben wir nicht gewollt!“ Wo eine Geschäftsordnung oder z.B. auch eine „geschlechtergerechte“ Sprechweise – die jeden Sprechakt unnötig verkompliziert und ihrerseits diskriminierend ist, weil sie die deutsche Sprache bewusst missversteht und deren Sprecher mit dem Stigma des Sexismus versieht – zum Selbstzweck erklärt werden, wird sach­orientiertes Arbeiten unmöglich. Dies zu kritisieren, ist legitim, ja es ist die vornehmliche Aufgabe des Akrützel.
Zweitens: Es ist, historisch gesehen, eine Fehleinschätzung, wenn Sturamitglieder weitreichende Aufsichtsrechte über das Akrützel reklamieren. Studentenvertretung und -zeitung sind eineiige Zwillinge: Sie gingen beide aus derselben „Reformhaus“-Studentenversammlung vom 19. Oktober 1989 hervor. Wir alle waren damals überzeugt, dass zur Demokratisierung der Hochschule auch die Schaffung einer unabhängigen Presse gehört, welche keineswegs nur das Verlautbarungsorgan irgendeines Gremiums ist. Die Erfolgsgeschichte des Akrützel, das heute zu den drei auflagenstärksten und ältesten Studentenzeitungen in Deutschland gehört, spricht für sich.
Diese Zeitung abschaffen zu wollen, ist somit nicht zuletzt ein Angriff auf die Errungenschaften der Demokratiebewegung vom Herbst 1989, auf die sich die Satzung der Jenaer Studierendenschaft heute immer noch
bezieht. Sie sollte den Jenaer Studenten auch heute ihr Geld wert sein – hier stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis! Schon 2005 gab es übrigens den Vorschlag von Stura-Seite, einen Teil des Semesterbeitrags direkt für das Akrützel zu reservieren. Wenn man schon unbedingt alles regeln will, dann vielleicht doch am ehesten so!
Eine dritte Frage ist die nach zu beachtenden journalistischen Standards. Sehen wir von groben Verstößen ab, ist der redaktionelle Spielraum groß. Man kann es nicht immer allen recht machen, auch die normale Tagespresse tut dies nicht. Und erst recht eine Studentenzeitung sollte sich einiges herausnehmen dürfen. Es war immer schon ein Markenzeichen des Akrützel, frech, satirisch und politisch unkorrekt zu sein – ein Erbe seines Gründers Bernd Zeller. Was würde der wohl jetzt sagen? Vielleicht einen berüchtigten Staatsmann zitieren: „Die Kritiker kommen und gehen, das Akrützel aber bleibt!“ ¤

PD Dr. Robert Gramsch war 1991/92 Akrützel-Chefredakteur und 1993-95 Vorstandsmitglied des Jenaer Studentenrates.

Literaturtipp: Robert Gramsch / Tobias Kaiser (Hrsg.): Engagement und Ernüchterung. Jenaer Studenten 1988 bis 1995. Mit einem Vorwort von Lutz Niethammer, Jena 2009.

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