Barschel in Genua

Wolfgang Engel inszeniert Schillers “Fiesco” am DNT Weimar

Von Johannes Weiß




Ich und meine Badewanne.

Foto: David Greater / DNT

Das ist ja grade noch mal gut gegangen. Eigentlich sollte Schillers frühes Drama „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“ schon vor über einem Jahr am Nationaltheater Weimar aufgeführt werden, doch wenige Tage vor der geplanten Premiere zog Intendant Stephan Märki „aus künstlerischen Gründen“ die Neuinszenierung zurück. Eine derartige Rücksichtnahme darauf, was dem zahlenden Zuschauer zugemutet werden kann, wünschte man sich auch von so manchen anderen Theaterhäusern. Was jedoch noch wichtiger ist: Das Warten hat sich gelohnt, der eigens engagierte Gastregisseur Wolfgang Engel hat am vergangenen Samstag einen zweifellos vorzeigbaren „Fiesco“ präsentiert.

Vielleicht ist dem einen oder anderen die Inszenierung sogar ein Stück weit zu solide: Das Bühnenbild besteht aus einem schlichten kreisförmigen Gerüst mit roten, verschiebbaren Vorhängen; und auch was sich darinnen abspielt, hat wenig mit den heutzutage so beliebten abgehobenen und gewaltsam-provokanten Regiekonzepten zu tun. Engel widersteht sogar der Versuchung, einen nackten Fiesco auf die Bühne zu bringen, indem er diesen gegen Ende in Badehose aus einer Wanne steigen läßt. Allgemein wirken die Kostüme eher unauffällig – die meisten Schauspieler sind in weißem Hemd und schwarzem Jackett kaum von den Zuschauern zu unterscheiden.
Die Gleichstellung mit dem Publikum ist durchaus Programm, wie eine Aufruhr-Szene im zweiten Akt zeigt: Das Licht geht plötzlich an, und Graf Fiesco (Stefan Schießleder) wendet sich den Zuschauern zu, die für einen Moment zusammen mit im Parkett postierten und lautstark ihren Unmut verkündenden Ensemblemitgliedern eine aufgebrachte Volksmenge verkörpern. Ihr Zorn richtet sich gegen Gianettino Doria (Simon Zagermann), der als Neffe des Dogen Andreas Doria (Rosemarie Deibel) im republikanischen Genua des Jahres 1547 allzu tyrannische Verhaltensweisen an den Tag legt, und alle hoffen – zunächst vergeblich – auf die Hilfe der ebenso mysteriösen wie charismatischen Titelfigur.
Doch bietet die Inszenierung neben einer solchen direkten Ansprache noch andere, subtilere Möglichkeiten, das Publikum ins Bühnengeschehen hineinzuziehen. Dies schafft sie bemerkenswerterweise gerade dadurch, dass sie sich selbst nie in den Vordergrund drängt und stattdessen den Witz und die Spannung des Originals herausstellt. Dadurch nimmt sie sich einerseits weitgehend die Chance, Schiller zu hinterfragen und zu aktualisieren – in Themen wie etwa der Brüchigkeit demokratischer Strukturen und der massentauglichen Präsentation von Führungspersönlichkeiten hätte man durchaus Anknüpfungspunkte an die Gegenwart finden können.
Andererseits macht sich der Regisseur zunutze, dass der „Fiesco“ ein Drama ist, das sich selbst ständig in Frage stellt, was sich vor allem im schillernden, unberechenbaren Protagonisten ausdrückt. So legt Engel einen starken Akzent auf das Motiv der Maske, hinter der sich einzelne Figuren ängstlich oder übermütig verstecken und die teilweise sogar bestimmte Rollenzuschreibungen begründen kann, wie im Fall des eine schwarze Wollmaske tragenden „Mohren“ Muley Hassan (Christian Klischat). Die Lust, Grenzen zu verwischen und Unordnung zu stiften, macht sich in der Inszenierung immer wieder bemerkbar, beispielsweise wenn die beiden Szenen, in denen Gianettino Doria und Fiesco unabhängig voneinander ihre Putschpläne erörtern, kurzerhand zusammengelegt werden und nahezu simultan ablaufen. Ein solches Vorgehen erhöht das Tempo und die Lebendigkeit der Handlung, ohne ihrer Nachvollziehbarkeit zu schaden; die einzige Ausnahme ist die Versammlung der Verschwörer um den überzeugten Republikaner Verrina (Bernd Lange) im vierten Akt, wo das textgemäße Auftreten von Personen, die sich in Wirklichkeit schon längst auf der Bühne befinden, doch eher verwirrend wirkt.
Im fünften Akt kombiniert Engel hingegen die verschiedenen überlieferten Schlussversionen des Dramas: Fiescos Ehefrau Leonore (Marie Burchard) bleibt am Leben, doch der Graf selbst wird von Verrina ermordet, als er nach gelungenem Staatsstreich die Herzogswürde nicht mehr abgeben will. Definitiv neu gegenüber allen Fassungen Schillers ist, dass er sein Ende in der eingangs erwähnten Badewanne findet.
Auch wenn das dumpfe Gefühl bleibt, dass man sich in Weimar nach dem letztjährigen Fiesco-Fiasko vor einer gewagteren Auseinandersetzung mit Schillers Werk gescheut hat, geht die Rechnung dennoch auf: Der Zuschauer darf sich auf knappe drei Stunden guter Unterhaltung freuen, von Regie und Ensemble überzeugend in Szene gesetzt. Und begleitet von Streicher- und Renaissancemusik, die sich mitunter ins Jazzige bewegt und damit jene Aktualisierung des Stoffes vollzieht, die man auf der Bühne manchmal vermisst.

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