Hartz-IV-Professur

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Schwer kalkulierbare Wissenschaftskarrieren in Deutschland

Von Johanne Bischoff, Kay Abendroth und Laura Wesseler




Eigentlich wollte er Frau und Kinder, heute hat er eine Drittelstelle.

Foto: Daniel Hofmann

Die Universität ist ein Klassensystem: Oberbau, Mittelbau, Unterbau. Doch von Klassenkampf kann keine Rede sein, denn der Mittelbau hält still. Trotz prekärer Arbeitsverhältnisse ist kein Laut des Unmuts zu vernehmen. Wissenschaftliche Mitarbeiter trauen sich nicht über ihre Probleme zu reden, jedenfalls nicht offiziell. Sie akzeptieren halbe Stellen, Kurzzeitverträge und die Unsicherheit darüber, ob sie jemals an ihr Ziel kommen werden: die Professur. Laut Definition ist ein Großteil der Angestellten als prekär beschäftigt zu betrachten: „Das sind Beschäftigungsverhältnisse, die nicht dauerhaft oberhalb eines kulturellen Minimums existenzsichernd sind und deshalb in den Dimensionen Anerkennung, Entlohnung und Integration beständig diskriminieren“, so Klaus Dörre, Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Friedrich-Schiller-Universität, gegenüber dem Akrützel (Nr. 296).

„Es gibt Zweidrittel-, halbe und Drittelstellen, die sich aber in der tatsächlich geleisteten Stundenzahl nicht unterscheiden“, sagt Dr. Boris Schmidt, der an einem Forschungsprojekt über den Mittelbau beteiligt war. „Das heißt, egal, für welche Art von Stelle man einen Vertrag hat, die Arbeitszeit liegt immer bei etwa 40 Stunden in der Woche.“ Von zehn befristet Beschäftigten arbeiten vier in Teilzeit.
Helge Schneider*, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FSU, hat in seiner Laufbahn bisher „eigentlich Glück gehabt. Man kommt da rein und unterschreibt dann immer Zwei-Jahres-Verträge“, schildert er seine Erfahrungen. Bislang hat er jedes Mal einen Vertrag bekommen. „Trotzdem besteht immerfort eine Planungsunsicherheit; und das ist es, was ich so mies finde.“
Die langfristigen Perspektiven sind sehr ungewiss – das hat viele Folgen. Der wissenschaftliche Nachwuchs lebt ein modernes Nomadendasein, unterschreibt eine Ver­tragsverlängerung nach der anderen, arbeitet Projekt für Projekt ab, zieht von Universität zu Universität. Immer in der Hoffnung am Ende einen festen Platz zu ergattern. „Theoretisch kann es einem jederzeit passieren, dass man plötzlich dasteht und nichts hat“, erklärt Schneider seine Ängste. Drei Monate bevor der befristete Vertrag ausläuft, sollte man sich beim Arbeitsamt melden, um im Zweifelsfall keine Ansprüche zu verlieren. Schon bei früheren Recherchen haben Betroffene immer wieder erzählt, dass Verträge erst in der Woche vor Ablauf des alten Vertrags erneuert werden. In Jena scheinbar gängige Praxis.
Zudem sei das Auftreten der Mitarbeiter des Personaldezernats nicht immer entgegenkommend: „Da lässt man die Leute schon spüren, wer am längeren Hebel sitzt“, so Schneider. Und gerade das empfindet er während der immer wiederkehrenden Zeit der Anspannung als sehr unangemessen. Ein aufmunterndes Wort würde die Situation schon erleichtern.

Kurzzeitverträge wie Perlen auf einer Kette

In Deutschland sind mittlerweile 86 Prozent des Mittelbaus auf Zeit angestellt. „An der Uni Jena sind sogar über 90 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter befristet beschäftigt“, so Dr. Herbert Schulze, Vorsitzender des Personalrates der FSU. In dieser Statistik seien auch die Drittmittelbeschäftigten eingerechnet, doch die würden sowieso von der Universität in der gesamten Planung berücksichtigt. Für Schulze wäre es schon ein enormer Fortschritt, wenn man jedem Dritten ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ermöglichen könnte. Auch sein Kollege Jürgen Rapus pflichtet dem bei: „Wenn ich die Qualität der Uni halten möchte, muss ich auch Leute beschäftigen, die die Lehre durchgängig begleiten.“
Im Vergleich zu Deutschland haben in Großbritannien und den USA viele Universitätsangestellte unbefristete Verträge (siehe Grafik auf der folgenden Seite). Dort besteht für Juniorprofessoren die Chance, bei guten Leistungen nach insgesamt sechs Jahren eine reguläre Professur zu erhalten. Diese Überleitungsmöglichkeit heißt Tenure Track.
„Den internationalen Vergleich scheue ich ein wenig, da vergleicht man Äpfel mit Birnen. Wenn man sich die Finanzierungsmodelle der einzelnen Staaten anschaut, sind diese doch sehr verschieden“, setzt Schulze dem entgegen. In der Tat finanzieren sich gerade Hochschulen im angelsächsischen Raum mit enormen Studiengebühren. Eine Entschuldigung für die prekäre Situation in Deutschland ist dies aber nicht.
Ein endloses Fortführen der Aneinanderreihung von Kurzzeitanstellungen ist hierzulande auch nicht möglich: Nach spätestens zwölf Jahren im deutschen Hochschulsystem hat der wissenschaftliche Nachwuchs das Recht auf eine feste Beschäftigung. Das von Annette Schavan (CDU) eingeführte Wissenschaftszeitvertragsgesetz sieht vor, dass je sechs Jahre vor und sechs nach der Promotion in zeitlich begrenzten Anstellungsverhältnissen gearbeitet werden darf. Stellen, die überwiegend mit Drittmitteln finanziert werden, zählen dabei nicht. So können Mitarbeiter theoretisch bis zur Rente mit befristeten Verträgen beschäftigt werden. Genau an diesem Punkt entsteht ein weiteres Problem: Da die Universitäten das Recht der Arbeitnehmer auf Festanstellung umgehen wollen, suchen sie sich lieber frische Akademiker, die auf ihrem „Befristungszähler“ bei null anfangen. Für die älteren ist dann kein Platz mehr. Haben sie es bis dahin nicht geschafft, wird es eng: „Du musst eben versuchen in dieser Zeit deine Habilitation zu schreiben und eine Professur zu bekommen, um dich auf den sicheren Dampfer zu retten“, sagt Schneider. Doch die Fahrkarten sind begrenzt.

Nicht jeder kann Prof werden

„Wenn ich von heute auf morgen keine Stelle mehr habe, dann stehe ich auf der Straße. Ich kann nicht einfach in den Schuldienst gehen. Und eine Professur zu bekommen ist wirklich schwer“, schätzt Schneider seine Situation ein. In jedem Jahr schaffen es mehr als 2100 Nachwuchswissenschaftler sich über eine Juniorprofessur oder mit einer Habilitation zu qualifizieren. Von ihnen erhielten aber nie mehr als 40 Prozent tatsächlich eine Stelle als Professor.
„Ich vergleiche das immer mit dem Esel, dem eine Karotte vor der Nase baumelt. Der Esel zieht den schweren Karren mit der Aussicht sie irgendwann zu erreichen“, veranschaulicht Dr. Matthias Neis die Sachlage. Der Soziologe forschte an Hochschulen zum wissenschaftlichen Prekariat. Für die Nachwuchswissenschaftler sei die erfüllende und interessante Arbeit Grund genug sich dieser Tortur zu unterziehen. Neis sieht das größte Problem in dem „Schwebezustand zwischen Studenten- und Professorendasein: Entweder ist man Professor oder man will es werden.“
Da die meisten wissenschaftlichen Mitarbeiter in eine ungewisse Zukunft blicken, verschieben sie auch ihre Familienplanung immer weiter nach hinten. Einer Befragung des Hochschulinformationssystems (HIS) zufolge, die im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durchgeführt wurde, stimmen 49 Prozent der Frauen der Aussage zu, in der Wissenschaft werde man vor die Entscheidung gestellt, ob man Kinder haben oder Karriere machen wolle. Diese Wahl spiegelt sich auch in den Ergebnissen der Studie „Junge Elternschaft und Wissenschaftskarriere“ der Universität Dortmund wider. Wissenschaftlerinnen sind demnach zu 80 Prozent kinderlos. Gesamtgesellschaftlich haben hingegen nur 20 Prozent der Frauen über 40 keinen Nachwuchs. Im europäischen Vergleich belegt Deutschland in Sachen Gleichstellung den vorletzten Platz – vor Malta. Lediglich eine von vier Professuren ist mit einer Frau besetzt.

Der Mittelbau hat keine Lobby

Schneider ist schon oft aufgefallen, dass die Wertschätzung mit dem Tag der Berufung auf eine Professur ins Unermessliche steigt. „Davor werden Sie wie ein kleines Licht behandelt, obwohl sie schon die gleiche Arbeit gemacht haben. Und dann kommen auf einmal alle auf Sie zu und sind begeistert von dem, was Sie sagen und tun.“
Nicht nur das Ansehen steigt, sondern auch die Macht. Jetzt sind die Aufgestiegenen selbst verantwortlich für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Und dessen Abhängigkeit vom Wohlgefallen des Professors ist enorm. Er entscheidet über die Vergabe freier Stellen, er ist der Mentor, er empfiehlt seine Zöglinge weiter. Neis sagt: „Wir haben in der Wissenschaft ein klassisches Lehrer-Schüler-Modell. Wenn man an seiner Arbeit etwas problematisiert, fällt das immer gleich auf dieses persönliche Verhältnis zurück.“
Für Jürgen Rapus vom Personalrat kann nur ein Ausbau des Mittelbaus und die Steigerung der Anzahl an Festanstellungen diesen Missstand beheben: „Wenn der Professor behauptet: ,Der Mitarbeiter hat es einfach nicht drauf’, lässt sich das schwer widerlegen. Ich kenne Fälle, da wurde es brenzlig.“ Ein unbefristet angestellter wissenschaftlicher Mitarbeiter könne dann auch eher für die Belange anderer eintreten, weil er sich nicht in einem so starken Abhängigkeitsverhältnis zu jenem Professor befindet.
Der Mittelbau hat keine Lobby. „Alle im öffentlichen Dienst Beschäftigten haben gleichermaßen eine Personalvertretung, nur die wissenschaftlichen Mitarbeiter nicht. Das kann doch nicht wahr sein!“, beschwert sich Schulze. Sie können bei auftretenden Problemen zwar einen Antrag stellen und sich dann vom Personalrat der FSU vertreten lassen. Der ist aber uneingeschränkt nur für nichtwissenschaftliche Beschäftigte, also technische Mitarbeiter und Verwaltungsangestellte, zuständig. „Wir hoffen auf die jetzt anstehende Änderung des Personalvertretungsgesetzes, die noch die parlamentarische Hürde nehmen muss“, sagt Schulze. Der Personalrat würde bessere Einsicht in die Arbeitsverträge bekommen. „Wenn klar ist, dass da nochmal jemand draufguckt, überlegt man sich im Personaldezernat das ein oder andere vielleicht nochmal.“
Auch das Templiner Manifest, ein Forderungspapier der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), geht darauf ein. Darin wird betont, dass die Anstellung in der Wissenschaft ein normaler Beruf sei und ein normales Leben ermöglichen müsse. Wer Lehr- und Prüfungstätigkeiten über mehrere Jahre hinweg wahrnimmt, habe einen Anspruch auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.
Neis betont die tragende Rolle des Mittelbaus: „Wenn Sie sich die Nachwuchswissenschaftler nur für einen Tag wegdenken würden, könnte man die Hochschule zumachen.“ Auch er hält es für notwendig mehr Dauerverhältnisse zu schaffen. „De facto leistet der Mittelbau schon heute unabhängige Arbeit in Lehre und Forschung. Trotzdem werden sie nur als ,Nachwuchs‘ behandelt“, so Neis.
Die Situation ist aber nicht in allen Fachbereichen dieselbe: So müssen sich Wirtschaftswissenschaftler, Juristen und Naturwissenschaftler weniger sorgen. Da sie auch neben der universitären Karriere in der Wirtschaft gute Berufschancen haben, müssen sich die Hochschulen mehr um sie bemühen. Zwar gebe es auch hier befristete Verträge, erklärt Neis, „trotzdem gibt es ganz klare Unterschiede: Die Verträge in den Natur- und Ingenieurswissenschaften laufen länger und es sind wesentlich mehr Vollzeitstellen vorhanden.“ Kurze Laufzeiten seien eine „Spezialität“ der Sozial-, Verhaltens- und Geisteswissenschaften.

Individualisten, vereinigt euch!

Die Entscheidungsträger in der Politik seien sich der Probleme bewusst, sagt Neis. „Aber ohne Druck wird es zu keiner Änderung kommen.“ Den könne man aber nur aufbauen, wenn man beginne sich zu organisieren. „Das fällt dem Mittelbau sehr schwer.“ Dafür gebe es drei Gründe: den enormen zeitlichen Druck, der auch mit den Befristungen zusammenhängt; das starke persönliche Abhängigkeitsverhältnis zum Professor und schließlich das Selbstverständnis der Wissenschaftler. Sie „sind traditionell Individualisten“, erklärt er. „So erzieht uns das System.“
Matthias Neis ist inzwischen von der Uni zur Gewerkschaft gewechselt: „Ich bin bewusst zu Verdi gegangen, um auf der politischen Seite Dinge zu verändern, analysiert habe ich sie lange Jahre. Jetzt ist es Zeit etwas zu tun.“



Foto: Quelle: Reinhard Kreckel, Institut für Hochschulforschung, 2008

* Namen von der Redaktion geändert

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Ralf

    Dieser Artikel trifft vieles auf den Punkt. Eine Veränderung ist politisch schwierig, weil einflussreiche Leute per Definition mehr gehört werden und ihre Machtpositionen kaum freiwillig beschneiden. Der Mensch ist von Natur aus ein gnadenloser Egoist. Verstand und Weitsicht Fehlanzeige Fehlanzeige. Die meisten Leute sind zudem feige und begründen das immer mit ihren Existenzängsten. Angst macht gefügig. Ein Anfang wäre schon einmal, dass es an jeder Uni eine Stelle gibt, die Sorgen und Ängste der Mitarbeiter vertritt und vor allem ernst nimmt. Der infiltrierte Personalrat kann dies jedenfallls nicht leisten.

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