Theatralische Schattengewächse

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Abseits der großen Bühnen – ein kurzer Ausflug in die alternative Theaterlandschaft der Saalestadt

Von Christian Fleige und Anna Zimmermann




Foto: theater zink „Wenn das Theater eingeht, ist auch der Eros eingegangen“, meinte Max Frisch.

Wer das Jenaer Theaterhaus umschreitet und ein wenig abseits ausgelatschter Wege stöbert, wer sich in den Schatten des Gebäudes traut und von buntscheckigen Gewächsen und diffusem Licht anlocken lässt, dem eröffnet sich ein Blick auf ein Dickicht aus Merkwürdigkeiten: Ali, der ukrainische Menschenhändler, räkelt sich auf einer Pärchensonnenbank, Pantoffeltierchen lüpfen an Vulkankratern vor Nacktmullen den Hut und eine Leninstatue weigert sich vehement gegen ihren Abriss. Nach kurzer Gewöhnungszeit an das schummrige Licht werden die Konturen deutlicher: Junge Menschen sind es, die hier in anderer Dinge Haut schlüpfen. Sie arbeiten, bemühen sich, proben konzentriert – sie sind Teil der freien Theaterszene Jenas.

Angst vor der Türklinke

Unkonventionell und offen wollen sie sein, sich von keiner Institution abhängig machen und eine Plattform für jeden darstellen, der auf der Bühne eine neue Welt erschaffen möchte. Theaterstücke gestalten, die ohne großes Budget das Publikum berühren. Dass derartige Inszenierungen nicht hinter Samtvorhänge und zu Perlsekt passen, steht außer Frage. So baut die freie Theatergruppe „Dramathea“ für ihr aktuelles Programm eine charmante Kulisse im Kulturbahnhof auf, in der sich der Zuschauer auch gemütlich in eine Couch sinken lassen kann, in intimer Atmosphäre und greifbarer Nähe zur kleinen Bühne. Gemäß dem Titel „Muthefil“ erwartet den Zuschauer eine Collage aus Kurzfilm, Instrumentalband und Theaterstück. Die einzelnen Beiträge sind thematisch unzusammenhängend, doch verbinden die Auftritte von Filmcharakteren in kurzen Zwischenspielen die einzelnen Elemente. Im Mittelpunkt des Stücks sitzt eine Hartz-IV-Empfängerin auf ihrem Sofa inmitten eines Müllberges und traut sich nicht vor die Tür. Schon die Türklinke macht ihr Angst. Eine Vergewaltigung macht sie zur Gefangenen. Als Schauspieler agieren Laien: Studenten, denen es zu verzeihen ist, dass nicht jede Gesichtsregung haargenau sitzt. „In unserem Stück kann der Zuschauer den Schaffensprozess ausmachen. Im Stadttheater sieht er nur das professionelle Produkt“, beschreibt Darsteller Steve Kußin den besonderen Charme seiner Truppe.
Als Mitglied von „Dramathea“ ist Steve auch Beisitzender des Vereins „Freie Bühne Jena“, dem Dachverband der freien Theatergruppen Jenas, der sich im April letzten Jahres gründete. Etwa 100 Personen spielen in den Schauspielgruppen Dramathea, Theater im Karton, tHeater ZINK, Rababakomplott, Theater fahrendes Volk, exil Theater und Theaterscheune Teutleben. Sinn des Verbundes ist es, die Möglichkeiten der einzelnen Gruppen zu erweitern und ihnen finanziell oder durch die Organisation von Technik und Requisiten unter die Arme zu greifen. Aber auch in kreativer Hinsicht wollen sich die Gruppen bereichern: Seit zwei Jahren wird jährlich das Kurztheaterspektakel veranstaltet, bei dem jede Gruppe einen Programmteil stellt. Obendrein entstehen gemeinsame Projekte wie das Stück „Terrorismus“, das im April uraufgeführt und in dem jede der fünf Szenen von einem anderen Regisseur gestaltet wird. Paul Josiger, eines der drei Vorstandsmitglieder des Vereins, sieht die Vorteile der freien Bühne vor allem darin, dass keinerlei Zwang herrsche, es keinen Intendanten gebe und jeder mit einer Idee kommen könne und dann Menschen fände, die ihn dabei unterstützen. Finanziert wird der Verein durch Gelder des Sturas, JenaKultur und die Eintrittsgelder der einzelnen Veranstaltungen. „Längerfristig ist es so gedacht, dass jede Gruppe für die anderen spielt. Nach dem Solidaritätsprinzip eben“, erklärt Paul.

Keine feste Heimat

Einer der größten Unterschiede zum Stadttheater ist wohl das Fehlen eines festen Veranstaltungsortes. Zwar liebäugelte die „Freie Bühne“ mit dem Capitol-Kino, diese Option zerschlug sich aber. „Überhaupt wäre es wohl keine reine Spielstätte, sondern eher ein gemeinsamer Anlaufpunkt“, so Paul. Jede Theatergruppe soll ihre eigenen Freiheiten behalten – dazu zählt eben auch die Entscheidungsfreiheit beim Veranstaltungsort. Anzutreffen sind die Gruppen im Kulturbahnhof und im KuBuS. „THeater ZINK“ stellt seine Stücke in der Philomensa vor, tritt im Februar aber auch im Planetarium auf. Im Sommer erspielen sie sich den gesamten Stadtraum Jenas, die Straße und den Paradiespark.
Oder sie nutzen die Ladefläche eines LKW als Bühne wie das „Theater fahrendes Volk“ unter der Leitung Stephan Bodens. Sein Laster tuckert durchs Land, gespielt wird, wo es ihm gefällt. Das kann ein Campingplatz sein oder das Fusion-Festival. Herausforderung dabei sei, dass man nie wisse, was während des Spiels passiert. „Wir haben mal neben einem Volleyballfeld gespielt. Die haben sich überhaupt nicht von uns beirren lassen. Damit muss man als Schauspieler professionell umgehen können, dass plötzlich ein Ball vor die Bühne rollt“, erzählt Stephan. Professionalität ist ein Anspruch, den er an sich und sein Ensemble stellt. Im Gegensatz zu anderen freien Theatergruppen Jenas engagiert er zu jedem seiner Stücke passende Darsteller, er selbst ist Autor, Regisseur und Schauspieler. Das freie Theater ist für ihn Beruf. „In Saus und Braus leben kann man davon aber nicht“, auch wenn JenaKultur und das Kultusministerium Thüringen seine Projekte unterstützen. Da Förderungen aber jedes Mal neu beantragt werden müssen, bleibt es bis zuletzt unsicher, ob das nächste Projekt, in diesem Fall „ZOMBIE“, das am 2. April uraufgeführt wird, Unterstützung erfährt. Leider werde Straßentheater überhaupt so schlecht subventioniert, dass er seinen Laster verkaufen und auf kleinere Gefährte umsteigen muss. Trotzdem: Stephan ist froh, den strengen Dogmen eines Stadttheaters entkommen zu sein.

Theater als Ausgleich

Wenn auch weniger professionell, so kommt auch Gregor aus einem Stadttheater. Bevor er zum „Rababakomplott“, einer Improvisationstheatergruppe, wechselte, spielte er im Jugendtheaterclub des Theaterhauses. „Es hat mir da gefallen. Man trifft im Theater auf viele kreative Menschen“, erzählt Gregor. Überhaupt gibt es kein Konkurrenzdenken zwischen dem Theaterhaus und den freien Theatern. Im Gegenteil: Die Lichttechnik des aktuellen Dramathea-Stückes beispielsweise ist aus dem Theaterhaus entliehen. „Irgendwann wurden aber einfach die Schauspieler immer jünger. Da suchte ich mir etwas anderes.“ So kam Gregor zu Rababakomplott. Für Improvisationstheater entschied er sich, weil er keine Lust hatte, Texte auswendig zu lernen, und ihm die völlige Spontaneität des Spielens gefiel. Wie viele andere Laienschauspieler in den freien Theatergruppen Jenas ist er Student und nutzt das Spielen als Ausgleich zum Studium. Doch was auf der Bühne wie lockeres Spiel aussieht, ist Resultat wöchentlicher Proben. Henriette, die seit sechs Jahren im Rababakomplott spielt, erklärt, dass man sich und seine Gruppe kennen lernen müsse, um Reaktionen abschätzen und Fehler übergehen zu können. So erproben sie bestimmte Spielformen wie „Wartebank“ oder „Spacejump“. Es geht bei Letzterem um das schnelle Hineinversetzen in unterschiedlichste Rollen. Die Szene beginnt an einem Ort mit einem Schauspieler, mit jedem weiteren Schauspieler, der die Bühne betritt, werden Ort und Rollen gewechselt. Ist das Limit von fünf Schauspielern erreicht, verlassen die Schauspieler in der gleichen Reihen- und Szenenfolge die Bühne. „Trotzdem sind 80 Prozent des Abends Mist, man ist nur mit wenigen Szenen zufrieden“, bemerkt Henriette kritisch.

Die Lust am Imperfekten

Es kommt eben immer auch aufs Publikum an. Dieses wird nämlich in das Schauspiel einbezogen und kann zum Beispiel über die Rahmenbedingungen der Szenen entscheiden. „Sie wählen dann natürlich Orte, die besonders peinlich oder lustig sind. Toiletten sind sehr beliebt. Eigentlich wollen sie das dann aber gar nicht sehen.“ Dass die Lust am Imperfekten begeistert, zeigen die verschiedenen Impro-Gruppen, die es auch an anderen Theatern gibt. Im März wird es ein Impro-Battle zwischen Rababakomplott und plummBumm, der Impro-Gruppe des tHeaters ZINK, geben. Angedacht ist auch eine Impro-Meisterschaft, in der unterschiedliche Impro-Mannschaften im Ligabetrieb gegeneinander antreten. Im Vordergrund steht dabei aber nicht der Wettkampf, sondern die Freude am Spiel und die Liebe zum Theater. Und es ist genau diese Liebe zum Schauspiel, die der Zuschauer zwischen den Sträuchern, im Schatten des Stadttheaters wachsend, entdecken kann. Er findet kleine Pflänzchen, die bei näherer Inspektion einen Geruch von Wildkräutern an den Händen hinterlassen. Zu pflücken sind diese allerdings nur im Freien.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. steffen laute

    hiermit möchte ich zu dem Artikel “Theatralische Schattengewächse” nur etwas anmerken,
    das Theaterhaus wurde eben gerade für diese Theateraufführungen der “freien Bühne” nicht wie
    beschrieben “umschifft”, sondern im Gegenteil,
    im Rahmen dieser Aufführungen ist Technik für Licht und Ton vom Theaterhaus ausgeliehen worden ( und zwar kostenlos), weil leider, soweit mir das mitgeteilt wurde JenaKultur dazu nicht in der Lage war,
    desweiteren konnten sich Schauspieler und künstlerisch Beteiligte im Theaterhaus Jena(Theaterhausjugendklub bzw. als Lehrling) künstlerisch entwickeln….,
    ich möchte damit nur einfach mal zeigen, das gerade das Theaterhaus, soweit das uns möglich ist
    Randgruppen und die Offszene unterstützt und wir eben gerade nicht das klassische “Stadttheater”
    sind …..

    Steffen Laute
    Beleuchter des Theaterhaus Jena

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