Varieté in der Villa Rosenthal
von Sandra Vogel und Carlotta Ickert
Betritt der Zuschauer die Villa Rosenthal, fällt sein Blick zuerst auf eine psychedelische Drehscheibe. Schwarze, weiße und gelbe Schnörkel bringen den Verstand zum Kreisen. Im Kamin liegt eine blanke Hand, am braunen Transistorradio lehnt ein abgerissenes Bein. Blaue Masken an den Wänden scheinen mit ihren leeren Augen jeden Schritt zu verfolgen. Beim genauen Hinsehen wird jedoch erkennbar, dass die gruselige Atmosphäre Lücken hat. Die Plastikhand im Kamin ist nicht angekohlt, sondern so sauber, als hätte sie jemand bloß von einer Schaufensterpuppe abgeschraubt.
Die Theatergruppe „Mass & Fieber OST“ und das Theaterhaus Jena präsentieren hier das Varietéprojekt „Black Face: Die Villa“, inszeniert von Niklaus Helbling.
„Auf den Inhalt des Stücks kommt es nicht an, sondern nur auf die Wirkung“, heißt es im Programmheft. Und tatsächlich, der Inhalt hinterlässt keinen bleibenden, klaren Eindruck, denn die Handlung ist – soweit vorhanden – undurchsichtig und fragmentarisch. In kleinen Episoden wird die Geschichte der Familie Rosenthal sowie berühmter, angeblicher Villenbewohner erzählt. Parallel zu dieser Chronik läuft der Varietébetrieb: Während des ganzen Abends beginnen die Figuren immer wieder zu singen, tanzen und zu steppen. Dabei werden sie häufig vom Theaterpolizist Gustav Schott unterbrochen, der das Kabinett auf seine „politische Verflixtheit“ hin überprüfen will. Daneben ständig Puppen: Mal werden sie roboterhaft von Menschen gespielt, mal lehnen sie als unbelebte sogenannte „Puppe-Puppen“ in der Ecke. Sie wachsen aus dem Boden und werden für die Krone der Schöpfung gehalten. Doch Polizist Schott hat ihnen verboten, im Theater aufzutreten – was sie aber nicht davon abhält, trotzdem tanzen zu üben und Karaoke zu singen.
Das Stück ist sehr verworren, Versatzteile werden wahllos zusammengesetzt. Das macht es schwierig, einen roten Faden zu erkennen. Hinzu kommt, dass nicht jeder alles sieht. Die Zuschauer werden in Gruppen von fiktiven Hausbewohnern wie beispielsweise Nietzsche oder Haeckel von Raum zu Raum geführt und erleben sechs unterschiedliche Stücke.
» Darf ich Ihnen ein
Auge transplantieren? «
Fatty Arbuckle
Doch wenn, wie das Programmheft verkündet, die Stimmung wichtiger ist als die Handlung, stellt sich die Frage: Wie ist überhaupt das Ambiente? Die Erwartung eines gruseligen Krimi-abends wird enttäuscht. In einem ausrangierten Zirkuswagen nimmt zwar der ehemalige Stummfilmstar Fatty Arbuckle mit blutbefleckter Schürze eine Puppenaugen-Transplantation an einem Zuschauer vor. Zeitgleich trinkt jedoch ein anderer Teil des Publikums im Salon mit der Hausdame Tee, begleitet vom romantischen Gitarrenspiel des langhaarigen Alfred.
Das Stück will viel bieten und kratzt doch nur an der Oberfläche. Drogen, Schimpfwörter und Eva Braun – alles kommt vor, aber nichts rückt genügend in den Vordergrund. Dazu kommen konfuse Figurenkonstellationen und Mehrfachbesetzungen, die die Verwirrung komplettieren. Es gibt keinen erkennbaren Schluss, der die Handlungsstränge zusammenführt. Stattdessen endet die Insenierung mit Gesangs- und Tanzdarbietungen, die manche der Zuschauer bereits zum wiederholten Mal an diesem Abend sehen müssen. Das Schauspiel wird zwar durch thüringischen Dialekt oder tanzende Pharaonen mit kurzen Röcken variiert, doch dies kann über die ermüdende Redundanz nicht hinwegtäuschen. Auch sind viele Handlungselemente ohne Bedeutung. Warum gibt es die Figur der Eva Braun, die nur in der ersten Szene auftaucht? Und waren die schlechten Slapstick-Einlagen mit tausendfachem „Guten Tag, Guten Tag“ wirklich nötig?
Wenn man nicht den Anspruch hat, mit einem Erkenntnisgewinn aus der Vorstellung zu gehen, ist der Abend dank guter Schauspieler und Sänger szenenweise unterhaltsam. Ferner regt die Inszenierung zu einer weiterführenden Beschäftigung mit der Jenaer Stadtgeschichte an. So kann das Publikum aus dem Varieté, das vom 30. Mai bis 9. Juni aufgeführt wurde, mitnehmen, was es möchte: Einen rasant-chaotischen Abend oder einen Wissenszuwachs, den man sich aber selbst erarbeiten muss. Die Frage, was an der erzählten Geschichte von Familie Rosenthal wahr ist und was nicht, bleibt offen. Inwieweit dieses Varietékonzept im fürs nächste Jahr geplanten zweiten Teil von „Black Face“ aufgehen kann, ebenso. Dann soll der Veranstaltungsort nämlich das Theaterhaus Jena sein, womit der einzige rote Rosenthal-Faden und auch die interessante Atmosphäre der Villa wegfallen werden.
Liebes Akrützel,
ich lese „Euch“ sehr gern, muss aber sagen, dass mich die letzte Rezension vom Theaterstück „Black Face“ (Ausgabe 324) verwundert hat.
Die überwiegend negative Kritik ist nicht hinreichend untermauert und kann nicht überzeugen! Hier wurde die Erwartung auf einen gruseligen Krimiabend enttäuscht. Allerdings muss man sich fragen, inwieweit das Stück diese Erwartung überhaupt erfüllen wollte? Das Theaterstück hat traditionelle Elemente des Varietés übernommen und in eine Rahmenhandlung integriert!
Varieté heißt, dass man eine kleinere oder größere Anzahl von Darbietungen inszeniert und diese mosaikartig zusammensetz. So bildet jedes Kabinett im Stück eine künstlerische Geschlossenheit mit Anfang und Ende und ist daher nicht „fragmentarisch“. Im Stück lassen sich zudem zwei Handlungsstränge ausmachen. Die Rahmenhandlung mit den Puppen, die der Varietédirektor versucht unter Kontrolle zu behalten, zudem der Polizist, der zum einen den Varietébetrieb kontrollieren will, sich jedoch zum anderen selbst in eine der Puppen verliebt. Diese Rahmenhandlung wurde dann mit der Lokal- und Nationalgeschichte verknüpft und häufig zum Aufhänger einer Varietédarbietung genommen. Historische Bezüge zum Nationalsozialismus und zur Lokalgeschichte, erklären zudem warum die Figur Eva Braun im Stück vorkam und ob die Familiengeschichte der Rosenthals der Wirklichkeit entsprach. Des Weiteren gehört auch Kleinkunst, wie etwa Slapstick, zur Tradition des Varieté Theaters. Auch wenn diese Art der Komik vielleicht nicht jedermanns Sache ist, so sollte diese Form der Situationskomik doch auf die folgenden Varietédarbietungen einstimmen.
Besonders problematisch scheint mir jedoch, dass im Artikel zentrale Motive des Stückes fehlen.
Wo ist der Bezug zum Titel „Black Face“? Wo ist das zentrale Motiv der Masken, das immer wieder aufgegriffen wurde?
Unter Blackface versteht man eine rassistisch geprägt Theater- und Unterhaltungsmaskerade. Sie entstammt der klassischen Tradition des Narren aus der Commedia dell’arte. Hier hatte die Maske die Funktion, dem hinter der Maske verborgenen Sprecher Narrenfreiheit zu gewähren. Dieser konnte ungehindert Späße machen und musste keine Konsequenzen fürchten. Diese Funktion wurde zum Beispiel zu Beginn des Stückes aufgegriffen.
Das der Artikel solche zentralen Motive übersieht, ist auch dadurch verschuldet, dass die Rezension sich vornehmlich auf Details und die Requisiten konzentriert, wie „eine nicht verkohlte Hand im Kamin“ und sich in Beschreibungen über die Atmosphäre verliert.
Zudem muss man loben, dass durch die vielen Räumlichkeiten durch die der Zuschauer geführt wurde und durch die verschiedenen Gruppen, in die man eingeteilt wurde, das Stück eine unglaubliche logistische Herausforderung zu bewältigen hatte, die mit Bravur gemeistert wurde. Weiterhin gab es Darsteller, die Sänger, Musiker, Tänzer und Schauspieler, zugleich waren, was an Vielfältigkeit kaum zu überbieten ist. Dem Zuschauer verlangte dies sicherlich ein hohes Maß an Konzentration ab und auch die Vielschichtigkeit der Handlung und Themen muss man sicherlich erst einmal verdauen, allerdings wurde im Artikel weder die Grundidee des Stückes richtig erkannt noch genügend hinterfragt.