Die große Ausgrenzung

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Selektive Förderung durch Stipendien

Von Kay Abendroth und Johanne Bischoff




Geld gibt’s beim Deutschlandstipendium nur für die Leistungsstarken.

Foto: Katharina Schmidt

„Ich dachte schon, ich habe den Dresscode verrissen, als ich mit Kapuzenpulli und Jeans dort ankam“, sagt Katharina Vogels, Studentin der Politikwissenschaft in Jena. Andere Studenten sind im Anzug mit dem Taxi vorgefahren. Sie alle waren auf dem Weg zum Auswahlseminar der Studienstiftung des deutschen Volkes, die als sehr elitär gilt. Mit etwa 11.000 geförderten Studenten bundesweit ist sie trotzdem der größte Stipendiengeber. Das entspricht etwa 0,5 Prozent aller Studenten in Deutschland.

Mehr als 50 Bewerber kamen an dem Wochenende zusammen. In jeweils zwei Einzelgesprächen mit Dozenten wurden die Teilnehmer zu ihrem Fach und ihren außeruniversitären Interessen und Engagements befragt. In Fünfergruppen musste jeder ein Input-Referat halten, über das im Anschluss kurz diskutiert wurde. Ein Dozent beobachtete die einzelnen Gruppenmitglieder und deren Diskussionsverhalten. Freunde hatten ihr gesagt: „Mach kein Referat über bedingungsloses Grundeinkommen“, erzählt Katharina. „Die dachten, dass kommt bei der konservativen Studienstiftung nicht gut an.“ Katharina blieb bei ihrem Thema. Und bekam am Ende ihr Stipendium.
Sie dachte immer, dass die Anforderungen für ein Stipendium zu hoch sind. Erst als einer ihrer Professoren Katharina im vierten Semester vorschlug, probierte sie es bei der Studienstiftung. „Mir wurde dann später gesagt, dass sie keine Auswendiglerner wollen.“ Und man müsse auch kein Ass in allen Bereichen sein, fügt sie noch an.
Derzeit erhalten in Deutschland nur etwa drei Prozent aller Studenten, circa 63.600, ein Stipendium. Weil die Bundesregierung eine breitere Förderung anstrebt, hat sie im letzten Jahr ein eigenes Stipendienprogramm ins Leben gerufen. Damit sollen in Zukunft bis zu acht Prozent der Studenten unterstützt werden. Das sogenannte Deutschlandstipendium startet zum Sommersemester 2011. Nach Angaben der Bundesregierung sollen im ersten Jahr insgesamt 10.000 Studenten bundesweit gefördert werden. Das entspricht etwa 0,47 Prozent. Sie erhalten unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern monatlich 300 Euro.
Für die Vergabe ist die Universität verantwortlich. Nur wenn sie es schafft, die Hälfte des Geldes von privaten Förderern oder Unternehmen einzuwerben, wird Studenten die Chance auf diese finanzielle Unterstützung gewährt. Denn erst dann zahlt der Bund auch die andere Hälfte dazu. Wieviele „Deutschlandstipendien“ eine Hochschule vergeben kann, hängt von ihren Geldeintreiberqualitäten ab, ist aber durch die Höchstförderquote beschränkt. Diese Obergrenze legt der Bund pro Universität fest und deckelt somit die Anzahl der geförderteten Studenten.

Leistung und Engagement

In Deutschland gibt es mehr als 1.400 Stipendiengeber. Die größten sind neben der Studienstiftung die parteinahen wie beispielsweise der Konrad-Adenauer- und der Heinrich-Böll-Stiftung, sowie die Stiftung der Gewerkschaften: Hans-Böckler. Die Höhe dieser Stipendien ist gesetzlich vorgeschrieben. Neben dem Grundbetrag, der vom Einkommen der Eltern abhängig ist und maximal 585 Euro beträgt, erhält jeder 80 Euro Büchergeld. Letzteres wird im März auf 150 Euro aufgestockt.
Alle diese Stiftungen achten zwar auf gute bis sehr gute Leistungen, grundsätzlich entscheidend sind diese allerdings nicht. Ausschlaggebend für die Bewilligung ist auch nicht der Besitz eines entsprechenden Parteibuchs. Stipendiaten sollten sich jedoch mit den Zielen der jeweiligen Stiftung identifizieren können. Wichtig ist vor allem gesellschaftliches Engagement: Arbeit im Sportverein, in einer kirchlichen Einrichtung oder der Einsatz für Gleichberechtigung. Auch hochschulpoltische Gremienarbeit gehört dazu.
Naby Berdjas arbeitet seit drei Semestern im Fachschaftsrat Pol/Soz. Er studiert Soziologie an der FSU Jena und ist Stipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung. „Ich interessiere mich für kritische Gesellschaftstheorie, daher kam für mich diese Stiftung am ehesten in Frage“, sagt Naby. „Entscheidend war für mich, dass da Menschen sind, die ähnlich kritisch denken wie ich.“
Er hatte sich im zweiten Semester initiativ beworben, wobei ihm Authentizität wichtig war. „Ich wollte mir nicht die Frage stellen, was die da eigentlich hören wollen“, so Naby. Stattdessen setzte er sich in seiner Bewerbung kritisch mit eben solchen „anbiedernden Selbstdarstellungen“ auseinander.

Reproduktion von Eliten

Viele Stiftungen suchen explizit nach „Hochbegabten“. „Dummerweise ist es nicht so, dass sich die Begabungen gleichmäßig verteilen. Früher dachte ich, der eine ist gut in der Schule, der andere ist gut im Sport, der Dritte ist gut in Musik“, sagt Hartmut Rosa, Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der FSU Jena. „Heute weiß ich: sehr häufig kommt das zusammen.“ Rosa meint, die Stipendienwerke würden bei Bewerbern eigentlich nach einem Profil von Motivation und Energie suchen. Ihm zufolge hängt Begabung mit einem hohen intrinsischen Interesse zusammen. „Das ist nicht Schichten-neutral verteilt“, so Rosa. „Und auf diese Weise setzt eine Art von Elitenreproduktion ein.“ Stipendiaten der Studienstiftung beispielsweise kommen zu 80 Prozent aus Akademikerfamilien.
Eine der Möglichkeiten, solchen Tendenzen entgegenzuwirken, besteht darin, Kinder aus einkommensschwachen Haushalten zu unterstützen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung versucht gezielt Studenten aus bildungsfernen Milieus zu fördern. „Damit sind wir neben der Böckler-Stiftung sehr erfolgreich, denn nur 20 Prozentunserer Stipendiaten sind nicht Bafög-berechtigt“, sagt Henning Heine, Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen.

Die FSU als Geldeintreiber

Der Name „Deutschlandstipendium“ suggeriert zwar, dass eine breite Masse unterstützt werden soll, allerdings ist es explizit darauf ausgerichtet, eine Förderung der Leistungsstärksten vorzunehmen. Für das Einwerben der benötigten Mittel von Firmen und privaten Unterstützern bekommt die Universität Geld. „Für die FSU Jena sind das 8.788 Euro in diesem Jahr. Davon können Sie gerade einmal zwei Monatsgehälter zahlen, vielleicht auch zweieinhalb“, sagt Kanzler Klaus Bartholmé. „Oder anders, vielleicht ein bisschen bissig: Davon können Sie ein paar Abendessen mit Sponsoren bezahlen.“ Aber die Verwaltungskosten für die Bearbeitung des ganzen Stipendienprogrammes könne man damit nicht decken, geschweige denn eine Abteilung aufbauen, die die notwendigen Fördergelder einwirbt, so Bartholmé weiter. Für das Jahr 2011 hat das Bundesministerium für Bildung undForschung für die FSU eine Förderquote von 0,45 Prozent festgelegt. Das sind etwa 93 Stipendien. „Das Interesse der Unternehmen, sich am Deutschlandstipendium zu beteiligen ist, vorsichtig formuliert, eher begrenzt“, stellt Bartholmé fest. Firmen, die Mittel und das Interesse haben, Hochschulförderung zu betreiben, würden das schon seit Jahr und Tag machen. Andere jetzt noch hinter dem Ofen hervorzulocken, werde nicht einfach sein. Insgesamt sei die Lage in den Neuen Bundesländern problematisch, Jena gehe es aber noch relativ gut.

Gefährliche Tendenzen

Die Firmen, die sich doch für eine Beteiligung am „Deutschlandstipendium“ entscheiden, haben dafür ein Mitspracherecht bei der Vergabe. Sie können bei zwei Dritteln der von ihnen finanzierten Stipendien die Fachrichtung oder das Institut des Geförderten festlegen.
Der Kanzler findet es „bemerkenswert“, dass die Firmen bei einem Drittel kein Mitspracherecht haben. Er räumt jedoch ein, eine Sicherungsklausel sei notwendig, da sonst fast nur technisch-naturwissenschaftliche Fächer gefördert werden würden.
Der Soziologe Hartmut Rosa sieht beim Deutschlandstipendium eine Reihe von gefährlichen Tendenzen. „Idee und Logik gehen in einigen Hinsichten in eine falsche und bedrohliche Richtung. Erstens: Eine neuerliche Steigerung des Wettbewerbssystems und dazu noch eine Verkürzung der Zeithorizonte, was die Leute unter Dauerperformanzdruck setzt. Zweitens: Ökonomisierung statt Demokratisierung des Studiums.“
Er möchte sich nicht mit der von Ministerin Annette Schavan (CDU) proklamierten „kleinen Revolution“ anfreunden: „Das Deutschlandstipendium führt diesen neoliberalen Schwachsinn einfach nur weiter.“
Wie gut das neue Programm anläuft, ist derzeit unklar. Im Bundesministerium für Bildung und Forschung gibt man sich optimistisch. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena ist man hingegen skeptisch.

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