Wenn zwei sich streiten

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Die Debatte um den Petersenplatz geht weiter

Von Anne Dünger




Die Plakate der GEW-Studis geben recht eindeutige Äußerungen Petersens wieder. Am Tag vor der Tagung schmückten sie den Weg zur „Imaginata“.

Foto: Katharina Schmidt

Der Rektor der FSU Klaus Dicke nannte den Boden der Diskussion „slippery slopes“. Es ging um den Workshop „Peter Petersen und die Jenaplanpädagogik“ am letzten Donnerstagabend in der „Imaginata“. Auf den rutschigen Abhängen der Debatte um die rassistischen Äußerungen des berühmten Jenaer Reformpädagogen Peter Petersen suchten Forscher aus der Erziehungs- und Geschichtswissenschaft nach Antworten: vor allem nach einem Gleichgewicht zwischen wissenschaftlichem Anspruch und politischen Fragen. Kann Petersen noch eine ehrungswürdige Person und ein Vorbild sein, nach dem ein Platz vor einer Schule oder gar hunderte Schulen bundesweit benannt sein können? Diesen Balanceakt hat die Gruppe um die Tagungsleitung von Prof. Jürgen John (emeritus, Neuere und Neueste Geschichte Thüringens), Prof. Peter Fauser (Lehrstuhl für Schulpädagogik und Schulentwicklung) und Dr. Rüdiger Stutz (Stadthistoriker Jenas) jedoch nicht geschafft.

Umbenennen oder nicht?

Der Workshop zur Person und Arbeit Peter Petersens sollte beides sein: ein wissenschaftlicher Diskurs über den aktuellen Forschungsstand zu Petersen und eine Hilfe für die Stadt bei der Entscheidung, den Petersen-Platz in Wenigenjena umzubenennen. Bereits im letzten Jahr war der Reformpädagoge, der in den zwanziger Jahren das bundesweit bekannte Konzept des „Jenaplans“ erfand, durch Forschungsergebnisse des Erziehungswissenschaftlers Benjamin Ortmeyer in die Schlagzeilen geraten. Ortmeyer fand heraus, dass Petersen in seinen Schriften und Handlungen ab den dreißiger Jahren der Ideologie des Naziregimes folgte (Akrützel berichtete am 15. Oktober 2009). Die nachfolgenden Diskussionen im Kulturausschuss der Stadt um die Umbenennung des Petersen-Platzes blieben ohne Ergebnis. Der Workshop, der nun von Stadt und Universität gemeinsam veranstaltet wurde, sollte ursprünglich Hilfe zur Entscheidungsfindung bieten. Stattdessen entwickelte sich die wissenschaftliche Debatte um Person und Konzept zu einer Auseinandersetzung über den gesamten Forschungsstand zu Petersen und dem Jenaplan und über Wissenschaftlichkeit und Ausgewogenheit von Forschungsaussagen insgesamt. Die Fragen nach der Bedeutung Petersens als Reformpädagoge einerseits und nach seiner Vorbildfunktion andererseits wurden vermengt und als eine untrennbare Fragestellung aufgeworfen. Am Ende fiel damit die Absicht, der Stadt eine Handlungsempfehlung in der Causa Petersen zu geben, unter den Tisch.

Ein empfindliches Thema

Die anwesenden Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet versuchten mit größtmöglicher Vorsicht an das Thema heranzutreten. Ihnen war bewusst, dass die Ergebnisse der Jenaer Diskussion nach ganz Deutschland ausstrahlen und empfindliche politische Konsequenzen haben könnten. Die beiden wichtigsten Impulsgeber der Petersendebatte, Dr. Torsten Schwan und Dr. Benjamin Ortmeyer, blieben der Tagung jedoch nach einem offenen Streit fern. Sie warfen unter anderem der Tagungsleitung vor, allzu einseitig nach Möglichkeiten zu suchen, um das Ansehen von Petersen und seinem Jenaplan zu retten. Tagungsleiter Prof. Jürgen John, dessen Frau Schulleiterin der Jenaplanschule Jena ist, nannte seine Reaktion eine einfache Aburteilung Petersens als „Rassist und Antisemit“. Diese sei schädlich für die Wissenschaft. John suche nach einem „angemessenen und ausgewogenen Petersenbild“. Im Bemühen um diese Ausgewogenheit kam während der Diskussion folgende Frage auf: Wie konnte Petersen im KZ Buchenwald von den Vorzügen der NS-Pädagogik sprechen? Oder macht gar die unvereinbare Widersprüchlichkeit der einzelnen Handlungen und Aussagen Petersens ein abschließendes Urteil über ihn unmöglich? Diese Aussagen irritierten die Zuhörer der Diskussion, teils verärgerten sie. Die Argumente pro Petersen von Prof. Hein Retter lauteten, dass die Schule Petersens ein Unterschlupf für verfolgte Kinder von Widerständlern und jüdische Kinder gewesen sei. In dieselbe Richtung ging die Anmerkung Steffen Doerks, dass Petersen in Buchenwald ja nicht vor ausgemergelten Häftlingen, sondern vor gut genährten und in repräsentativeren Räumen untergebrachten Studenten gelesen und sich deshalb vielleicht nicht die volle Grausamkeit der Inhaftierung bewusst gemacht habe. Beide Aussagen führten zu skeptischen bis verärgerten Reaktionen im Publikum. Prof. Franz-Michael Konrad (Uni Eichstett) bemerkte kritischer, dass das Engagement Petersens für die Kinder von Verfolgten kaum wissenschaftlich prüfbar sei. Petersen habe aber augenscheinlich in seiner Hinwendung zur NS-Ideologie Grenzen überschritten. Dies stelle seinen Ruf als menschliches Vorbild in Frage. Auch wenn sein Ruf als Reformpädagoge unbestritten bleibe. Eine Lösung dieses Problems sei aber noch lange nicht gefunden.

Anderswo schnellere Entscheidung

Der Workshop wollte sich thematisch nicht mehr mit der Debatte um die Umbenennung des Platzes verbunden sehen – solche Entscheidungen seien nicht die Aufgabe der Wissenschaft. Oberbürgermeister Albrecht Schröter deutete an, dass die wissenschaftliche Debatte sehr wohl Konsequenzen für den Namen des Petersen-Platzes habe. Auch wenn er das Zwischenergebnis des Workshops mit ausweichender Vorsicht zusammenfasste: „Wir müssen mit geschärfter Fragestellung weitermachen. Vielleicht sind wir in einem Jahr weiter.“ Ob die Ergebnisse der Forschung aber für die politische Entscheidung der Stadt hilfreich sind, lässt sich nur schwer sagen.
Die Frage, ob Petersen noch Vorbild genug ist, um die Benennung von Schulen und Orten nach ihm zu rechtfertigen, wurde an anderer Stelle schneller beantwortet. In Hamburg, einem der wichtigsten Orte für Jenaplan-Schulen, wurde am vergangenen Wochenende eine weitere Petersen-Schule umbenannt. Hier reichte eine „inakzeptable Nähe“ Petersens zur NS-Ideologie für die Umbenennung. In Jena hofft man indes, dass wenigstens die beiden ferngebliebenen Wissenschaftler ihre Positionen zu Petersen doch noch einmal vor Ort öffentlich vortragen werden.

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