Was, wenn Saturn auf dem Platz der Kosmonauten einschlägt?

Der Eichplatz soll bebaut werden – schon seit 20 Jahren arbeitet man daran, jetzt könnte der Traum wahr werden

Von Johanne Bischoff und Isabel Schlegel

Eichplatz
Foto: Katharina Schmidt

Thomas Rüster hat einen schweren Job. Er träumt davon, etwas zu verändern, doch dafür muss er die widersprüchlichsten Wünsche und Ideen unter einen Hut bekommen. Sein langwierigstes Projekt ist dabei der Eichplatz, ein riesiger Parkplatz voller Schlaglöcher, Pfützen und Betonplatten. Seit 20 Jahren will der geduldige Stadtentwickler diese „große, klaffende Wunde“ im Herzen der Stadt flicken. Zwei riesige Gebäude mit bis zu fünf Stockwerken sollen den Hinterhof des Jentowers bald mit Leben füllen, die parkenden Autos werden vermutlich unter die Erde verbannt. 2013 könnte mit dem Bau begonnen werden. Vorausgesetzt, nicht allzu viele Bürger verirren sich in den nächsten Wochen in Thomas Rüsters urwaldartiges Büro, um ihre Einwände gegen den jetzigen Bebauungsplan zu Protokoll zu bringen.
Ein Bebauungsplan bildet den Rahmen dafür, was und wie gebaut werden darf. Egal, wer den Eichplatz am Ende kauft, er wird sich an die Vorgaben halten müssen. Die Stadt kann mit einem Bebauungsplan also sicherstellen, dass sich ein Gebäude optisch ins Stadtbild integriert und gebaut wird, was benötigt wird. Wie detailliert solch eine Regelung ausfällt, ist unterschiedlich.

Widerstand formiert sich

Der Bebauungsplan für den Eichplatz verspricht „eine spannungsreiche Folge von Straßen, Gassen und Plätzen“. Betrachtet man die Skizze etwas genauer, drängt sich jedoch ein anderer Eindruck auf. Das erste Gebäude, ein schiffsförmiges Quartier, soll parallel zur Johannisstraße auf die Stadtkirche zusteuern. Im Erdgeschoss könnten sich kleine Geschäfte und Cafés ansiedeln. In den oberen Stockwerken werden Wohnungen entstehen, mindestens ein Viertel der Fläche ist dafür vorgeschrieben.

Das zweite Gebäude, ein quaderförmiger Koloss, wird sich vom Alten Rathaus bis zur Neuen Mitte ausdehnen. Auf einer Fläche so groß wie ein Fußballfeld soll ein Shopping-Center aus dem Boden gestampft werden.

Nicht jeder ist begeistert von der Idee, nach Goethe-Galerie und Neuer Mitte noch eine weitere Einkaufsmöglichkeit mit Gewerbegebietscharme in der Innenstadt zu errichten. Seit einigen Wochen formiert sich Widerstand. Der Aufstand begann mit an die Bäume in der Johannisstraße gepinnten Flugblättern: „Dieser Baum wird gefällt“ stand auf ihnen und sie warben für ein Treffen all jener, die selbst entscheiden wollen, was im Herzen Jenas passieren soll.

Eine bunt gemischte Truppe hat sich daraufhin zusammengefunden und die Bürgerinitiative „Mein Eichplatz“ gegründet. Wieland Rose, Sprecher des Grüppchens und Biologiestudent, befürchtet, insbesondere der Klotz werde hässlich und monströs. „Sagen wir mal, das große Grundstück wird von Saturn gekauft. Die wollen günstig bauen, das läuft dann auf große, geschlossene Wände ohne Fenster hinaus, da kann man keine architektonischen Meisterleistungen erwarten.“

Die Befürchtung, Elektromärkte könnten das Areal bebauen, scheint nicht unbegründet zu sein. Obwohl Stadtplaner Thomas Rüster, der den Bebauungsplan koordiniert, keine Namen möglicher Investoren nennen will, sagt er: „Es gibt bestimmte Elektronikketten, die signalisiert haben, dass sie gerne in die Innenstadt kommen würden.“ Großkonzerne erfüllen zwei notwendige Voraussetzungen: Zum einen sind sie zahlungskräftig, zum anderen wollen sie auf solch attraktiven Flächen im Zentrum bauen. Das Problem ist, dass dabei wenig Wert auf den speziellen Charakter der Stadt gelegt wird: Uninspirierte Fassaden à la Neue Mitte könnten endgültig das Gesicht Jenas prägen. Die Stadt hat keine Wahl: Selber bauen kann sie nicht. Damit der Parkplatz verschwindet, muss die Stadt sich die Bedingungen diktieren lassen.

Kein Mut zu Wohnraum

Statt wie versprochen eine Lösung für Jenas Wohnraumproblem zu finden, will sie einen weiteren Konsumtempel erlauben. Gerade mal acht Prozent bewohnbare Fläche werden den Investoren vorgeschrieben. „Das ist eine Farce. Alle Parteien im Stadtrat hatten die Möglichkeit, hier massiv Wohnraum zu schaffen, und haben das auch vorher gefordert. Aber als es darum ging, 20 Prozent im Plan festzulegen, wurde der Antrag abgelehnt“, sagt Wieland Rose. Thomas Rüster vom Dezernat für Stadtentwicklung gibt zu, dass nicht mehr Wohnraum festgeschrieben wurde, um potentielle Investoren nicht zu „verschrecken“. Er glaubt daran, dass am Ende trotzdem mehr Wohnungen als geplant entstehen könnten. Schließlich hänge es vom „Geschick der Stadt“ ab, geeignete Investoren auszuwählen, die Handel mit Wohnraum kombinieren. Großinvestoren haben jedoch an so einem Mix häufig kein Interesse.

Welch absurde Folgen der Tunnelblick großer Konzerne bisweilen hat, beweist das Beispiel des C&A-Kaufhauses direkt neben dem Eichplatz: Laut Bebauungsplan hätte hier ein dreigeschossiges Haus hochgezogen werden müssen. Als Verkaufsfläche sind allerdings nur die unteren beiden Stockwerke interessant, das oberste hat für den Investor keinen Wert. Also schuf er eine Scheinetage mit blinden Fenstern und ohne Dach. Eine hübsche Kulisse, um die Stadt auszutricksen. Dem Eichplatz könnte Ähnliches drohen.

Wieland Rose von der Bürgerinitiative stellt fest: „Wenn wir eine bestimmte Bebauung haben wollen, dann müssen wir das jetzt in diesem Plan festlegen. Es ist eine Utopie, darauf zu hoffen, dass ein Investor dort aus reiner Gutmütigkeit das baut, was die Stadt haben möchte“. Was sich die Bürgerinitiative „Mein Eichplatz“ selbst für den Platz vorstellt, ist indes noch gar nicht klar. „Wenn 90 Prozent eine Einkaufshalle möchten, muss man das akzeptieren“, sagt Rose. Die Bürgerinitiative verstehe sich als Katalysator und wolle möglichst viele Bürger dazu bewegen, sich überhaupt am Verfahren zu beteiligen.
Die Uhr hierfür tickt. Bis zum 17. Januar können sich Jenas Bürger noch offiziell in das Verfahren einklinken und Änderungswünsche im Bürgermeisteramt am Anger einreichen. Ob diese auch berücksichtigt werden, ist eine andere Frage. Danach ist die Möglichkeit, sich in das Projekt einzumischen, jedenfalls erloschen. Wer den Platz kaufen darf, entscheidet die Stadt.

Das Paradies ist grün genug

Die Eichplatz-Initiative setzt sich für eine Demokratisierung des Prozesses ein: Die Jenaer müssten mit dem neuen Platz leben und nicht die Investoren. Um herauszufinden, was gewollt ist, hat sie einen Fragebogen entwickelt und bis jetzt über 200 Passanten gefragt, was sie sich für den Platz wünschen. Über 80 Prozent wollen den Parkplatz loswerden, aber 90 Prozent sind gegen einen Verkauf des Grundstücks. Stattdessen wünscht sich ein Großteil mehr Grünflächen.

Thomas Rüster von der Stadtverwaltung macht deutlich, dass die Stadt kein Interesse daran habe, möglichst viele Flächen zu besitzen. Historisch habe der Platz auch nicht der Stadt gehört. Dem Wunsch nach mehr Natur erteilt er ebenfalls eine Absage: „Normal ist eine große freie Fläche in der Innenstadt nicht. Statt neuer Grünflächen sollten die bestehenden, etwa im Paradies, intensiver genutzt werden.“ Tatsächlich ist fraglich, ob der von Bürgern gewünschte Park die ideale Lösung ist. Schon jetzt schmückt eine Grünanlage im DDR-Chic Teile des Eichplatzes. Von urinierenden Männern abgesehen wird die jedoch eher selten genutzt. Volkes Meinung scheint also nicht immer die differenzierteste zu sein.

Vielleicht kann Professor Klaus Rasche, der Städtebau an der Bauhaus-Uni Weimar lehrt, dabei helfen, innovative Ideen für diesen Ort der Leere zu finden. In einem Seminar konnten seine Studenten ihren Fantasien freien Lauf lassen und sich eigene Projekte für den Eichplatz ausdenken. Von einem völligen Freiraum über eine studentische Straße zwischen Uni-Hauptgebäude und Campus bis zu Hochhäusern voller Wohnungen entstanden viele kreative Projekte. Rasche selbst würde sich am mittelalterlichen Stadtbild orientieren und die damals herrschende Kompaktheit wieder herstellen.

Feuer, Sprengung, Kosmonauten

Bis 1806 standen auf dem Eichplatz dicht aneinandergedrängte Häuser, alles war zugebaut. Eines Nachts ging ein Wagen voller Munition in die Luft und brannte ein riesiges Loch in die Stadt. Die Bewohner waren zu arm, um ihre Häuser wieder aufzubauen. Der Eichplatz ist geboren. Schon damals prägte also eine kahle Stelle das Stadtbild, auch wenn sie noch deutlich kleiner als der heutige Platz war.

Während des Zweiten Weltkrieges litt Jenas Zentrum erneut und wurde zerbombt. Doch damit nicht genug, nur 20 Jahre nach Kriegsende beschloss die DDR-Regierung die Häuserblöcke rund um den kleinen Eichplatz zu sprengen. Ein riesiger, zentraler Aufmarschort für Paraden sollte die Stadt prägen. Und weil jede Stadt mindestens ein Gebäude haben sollte, das die alten Kirchtürme überragt und die „neue Zeit“ einläutet, wurde der hohe Turm gebaut. Nur ein einziges Mal sollte sich die Sprengung für die DDR-Regierung lohnen und die Ödnis mit Menschen gefüllt sein: Als Siegmund Jähn Jena besucht und der Platz ihm zu Ehren „Platz der Kosmonauten“ genannt wird. Wahrscheinlich war das der einzige Tag in der Geschichte dieses vernachlässigten und misshandelten Ortes, an dem die Jenaer Bevölkerung mit ihrem Stadtzentrum glücklich war. Seitdem ist es eher der Mangel an Parkplätzen, der die Jenaer ins Zentrum treibt.

Dieser Beitrag hat 10 Kommentare

  1. Florian Freistetter

    Wo kann man sich melden, wenn man gar nix haben will? Die Stadt ist eh schon so voll mit allem Möglichen. Ich hätt gern einfach nen Platz; leer. Müssen nichtmal Bäume rumstehen. So ne große Piazza wie in Italien. Vielleicht ein paar Kaffehäuser rundrum; höchstens.

  2. Marcel Schulze

    Ich finde diese Idee hier sehr interessant:

    “Rasche selbst würde sich am mittelalterlichen Stadtbild orientieren und die damals herrschende Kompaktheit wieder herstellen. ”

    Wenn sich solche Gebäude bauen liessen, wie sie jetzt schon am Markt stehen, dann würde es der Stadt wieder ein einheitliches Gesicht geben.

    Und je mehr Wohnraum entsteht, umso besser ist es für Jena. Das bedeutet ja auch mehr Einwohner, die mehr Geld in die Kassen spülen.

  3. Provinz

    Also um es den Menschen in dieser schönen Stadt recht zu machen, würde ich einfach vorschalgen, die Innenstadt Jenas komplett abzureißen. Dann sind endlich all diesen kapitalistischen Konsum- und Verführungsmöglichkeiten weg, wenn dann auch noch die diese immer nutzenden Menschen weg wären – ach ja, wie es doch alles schön sein könnte, einfach ein paar Blockhütten im grünen Herzen Deutschlands…

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