“Ich bin kein nächtlicher Moralapostel.”

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Interview mit einem Jenaer Street-Art- und Graffiti-Künstler

Von Philipp Böhm



Foto: Katharina Schmidt

Auf sein Konto gehen sowohl großflächige Paste-Ups als auch Graffiti in schwindelerregenden Höhen. Das erste Mal kam er mit urbaner Kunst in seiner Heimatstadt Berlin in Berührung. Nun durchstreift er seit mittlerweile einem Jahr zusammen mit Bekannten die nächtlichen Straßen Jenas und leistet seinen Beitrag gegen graue Wände. Mit Akrützel sprach der Künstler über persönlichen Ruhm, Street Art als Protest und die Bedeutung der Illegalität.

Bist du eigentlich schon mal erwischt worden?
Einmal war es sehr knapp. Ich war ziemlich unvorsichtig und auch noch allein unterwegs. Da kam dann eine Polizei­streife vorbei. Glücklicherweise war ich aber schon fertig, bin auf mein Rad gesprungen und abgehauen. Also ist alles nochmal glimpflich ausgegangen. Hier in Jena ist es eigentlich auch wesentlich entspannter sprühen zu gehen als z. B. in Berlin, wo ich herkomme.

Macht diese Illegalität den Reiz dabei aus?
Klar spielt das eine Rolle. Einerseits verspürt man dabei einen gewissen Kick. Man ist froh, wenn man was gemalt hat, wieder zu Hause ist und nichts passiert ist. Auf der anderen Seite gibt es viele, die das eben aufgrund des Verbots nicht machen. Es ist also nicht so, dass die Illegalität der Hauptantrieb wäre.

Und was ist dein Grund, Nacht für Nacht loszuziehen?
Der Kick ist die eine Seite. Dann habe ich gemerkt, dass es mir immer etwas gegeben hat: Man hat was gesprüht oder geklebt, man ist mit Leuten unterwegs, kann sich mitteilen. Ich habe für mich einfach eine Form gesucht, mein Unbehagen auszudrücken, mein Gefühl weiterzugeben, dass etwas nicht stimmt mit der Welt. Und dann natürlich den Blick der Passanten auf bestimmte Dinge zu lenken, wie auf Aspekte einer sozialen Ungerechtigkeit, die ihnen „in natura“ vielleicht nicht aufgefallen wären. Alternativen aufzuzeigen ist mir auch wichtig und meine Bewunderung für Menschen auszudrücken, die ihr Leben der Verbesserung der Verhältnisse widmeten. Ich will aber kein nächtlicher Moralapostel sein, der mit erhobenem Zeigefinger die Leute belehrt. Konkrete Aufforderungen zu geben, dies oder jenes zu tun, das will und kann ich gar nicht.

Verstehst du Street Art also als Form des Protests?
Für mich ist es das auf jeden Fall. Es fängt damit an, dass ich versuche, Dinge auszudrücken, die mir am Herzen liegen – und die sind meistens politisch. Außerdem sind Graffiti und Street Art auch immer politische Kunstformen gewesen: Individuen ermächtigen sich selbst, handeln expressiv, versuchen Botschaften zu streuen und stellen Eigentum in Frage. Das ist bei allen Graffiti so, auch wenn sie keine explizite politische Message enthalten.

Andere würden es vielleicht als simplen Vandalismus bezeichnen…
Ich sehe das so: Das Stadtbild wird ja auch so verändert, ohne dass wir gefragt werden, der gesamte öffentliche Raum wird mit Werbung zugepflastert, es entstehen immer mehr riesige Kaufhäuser und die Innenstädte werden so steril wie Krankenhäuser. Da gibt es unzählige Möglichkeiten. Die stehen aber nicht jedem zur Verfügung. Nicht jeder kann da einfach seine Idee präsentieren. Bei Street Art und Graffiti ist das anders: Jeder kann losziehen und sich verwirklichen.

In Jena hat ja „some“ den Spruch „Ihr zerstört unsere Häuser, wir eure Vorstellung von Sauberkeit“ an die Wände geklebt. Ist Street Art immer eine Auflehnung gegen Gentrifizierung, gegen Stadtteilaufwertung?
Man kann das nicht so vereinheitlichen. Jeder hat seine eigene Intention. Es gibt einige politische Leute, die ganz gezielt diese Aufwertung wieder rückgängig machen oder zumindest ein Zeichen setzen wollen: dass man das Stadtbild selbst verändert und sich das eben nicht aufzwingen lässt.

Für die Polizei fällt das unter Sachbeschädigung…
Für mich ist das keine Sachbeschädigung. Die Funktion der Sache wird ja nicht in Mitleidenschaft gezogen: Eine Wand bleibt eine Wand und wärmt und ist stabil, ob da nun Bilder drauf sind oder nicht.

Würdest du das auch dem Hausbesitzer sagen, dessen Wand du gerade besprüht hast?
Ich werde von Bekannten auch oft gefragt: Was ist, wenn das dein Haus wäre? Ich glaube, für eine richtige Diskussion sind die Vorstellungen über die Bedeutung von Eigentum und das generelle ästhetische Empfinden zu verschieden. Wenn es mein Haus wäre, dürften natürlich alle kommen und Party machen.

Gibt es Gebäude, an denen du nicht sprühen oder kleben würdest?
Ich würde nie auf dem Friedhof taggen oder sowas. Historische Gebäude eignen sich ohnehin eigentlich nicht dafür, aufgrund der Art der Steine. Ansonsten: Wenn ein Gebäude seine eigene Aussage hat, dann verfälsche ich die auch nicht.

Welche Rolle spielt generell der Ort, an dem du deine Werke anbringst?
Es gibt da so eine Rechnung in der Sprayer-Szene: Der „Fame“, nach dem ja angeblich alle in der Szene lechzen, ergibt sich aus dem „Spot“ und dem „Style“. Ich weiß jetzt aber nicht, ob man das addieren oder multiplizieren muss. Grundsätzlich habe auch ich natürlich den Anspruch, dass gesehen wird, was ich gesprüht oder geklebt habe. Das sind ja auch Versuche, Mitteilungen zu hinterlassen, die über eine Unterschrift hinausgehen. In Jena wird sowas immer sehr schnell entfernt. Deshalb möchte man natürlich, dass es in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Leute sehen.

Ist das auch ein Antrieb – der Ruhm?
Es geht nicht in dem Sinne um Ruhm, sondern darum, gesehen zu werden. Das bedeutet, dass die Leute deine Botschaft aufnehmen. Die Kunst soll gesehen werden. Man selbst wird nicht gesehen. Es outet sich ja niemand und sagt: Das war ich.

Was ist das dann für ein Gefühl, wenn ein Stück entfernt wird, in das du möglicherweise stundenlange Arbeit investiert hast?
Natürlich ärgert man sich manchmal über die Kurzweiligkeit des Ganzen, besonders in der Innenstadt. Es ist für mich auch unverständlich, dass die Leute offensichtlich keine Kosten und Mühen scheuen, um Straßenkunst wieder zu entfernen.

Wirkt das nicht demoralisierend?
Wenn ich nachts etwas geklebt habe und das am nächsten Tag schon wieder weg ist, dann ist das schon frustrierend. Es erfüllt auch insofern seinen Zweck, als wir dann öfter in kleinere Straßen ausgewichen sind, wo die Bilder dann auch wieder eine ganz andere Wirkung erzielen. Andererseits merke ich, dass es tatsächlich viele Leute aufnehmen. Bekannte sprechen mich darauf an oder man sieht die Bilder im Akrützel. Hier gibt es auf jeden Fall noch einiges zu holen an „Fame“.

Was fasziniert die Leute an Street Art und Graffiti?
Ich glaube, man muss das einfach mal selbst gemacht haben: nachts unterwegs und auf Freunde angewiesen sein, die Farbe riechen und so weiter. Okay, das klingt jetzt ein bisschen nach Ghetto-Romantik. Es ist aber auch eine Kommunikationsform, der man zwangsläufig ausgesetzt ist und die keinen kommerziellen Gedanken in sich trägt.

Das ist heute aber nicht immer so…
Stimmt, Graffiti und Street Art werden, wie alles andere auch, kommerzialisiert. Das Phänomen ist ja inzwischen allgegenwärtig in Werbe-Clips, die oft bekannte Stile kopieren. Die Gefahr besteht immer, dass die Leute das einfach trendy finden.

Zum Schluss: Was würdest du Leuten raten, die sich mal an Street Art versuchen wollen?
Zunächst: auch in Thüringen vorsichtig sein, wenn es möglich ist, mit mehreren losziehen. Es sollten aber auch nicht zu viele sein; Zwei, drei Leute ist die optimale Größe. Und sonst: Spots checken, Dosen zocken und Jena zubomben.

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Balduin

    “Für mich ist das keine Sachbeschädigung. Die Funktion der Sache wird ja nicht in Mitleidenschaft gezogen”

    Nach der Logik hätte unser feine Herr “Künstler” auch nichts dagegen, sich das Wort “Vollidiot” auf die Vorderseite des Kopfes tätowieren zu lassen, dabei ist allerdings die Funktion der Sache von vornerein offensichtlich schon eingeschränkt.

  2. Bombermän

    Der Killa, dass mister Balduin Menschen mit Häuserwenden vergleicht. BETONKOPF!

  3. policeman

    Balduin…Das ist ein sehr fragwürdiger Vergleich, wie ich finde. 😉

  4. Heinz

    Dem gesprühten Spruch auf dem Bild zum Artikel zufolge (der ist neben der Straßenbahneinfahrt zum Abbe-PLatz zu finden) hat Aristophanes mit seinem Ausspruch


    “Menschen bilden bedeutet nicht ein Gefäß zu füllen, sondern ein Feuer zu entfachen.”

    einfach nur bei Heraklit geklaut! Der soll sich was schämen, aber zum Glück haben wir die Jenaer Fassadenverschönerungsszene, die uns über solche Mißstände aufklärt.

  5. WasAuchImmmer

    Ich befasse mich Hobbymäßig mit Streetart aber vor allem mit Stencils.
    Ich finde die Straßenkunst von Some ist die beste die ich je gesehen habe. Am Anfang, als ich mich damit noch nicht auskannte, war es für mich auch nur dreck und Sachbeschädigung. Aber nach kurzer merkte ich, dass hinter diesen Werken eine ganze menge Arbeit und kreativität steckt, über die man nachdenken muss. Das was Some macht, ist einfach gesagt GENIAL, aber leider meistens nur sehr kurzlebig.

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