Der große Unbekannte

Ein Jahr Hochschulrat an der FSU – Versuch einer Bilanz

Von Philipp Böhm

In der Öffentlichkeit wurde der Hochschulrat erst ein Mal zusammen gesehen: vor einem Jahr zum Fototermin. Foto: FSU/Scheere

Ein Jahr ist es mittlerweile her, dass an der Universität Jena ein Hochschulrat eingeführt wurde. Er besteht aus zehn Mitgliedern, von denen aber nur drei der FSU angehören. Grund für die Veränderung im Uni-System war das neue Thüringer Hochschulgesetz. Die Idee und der Anspruch dahinter: Externe Fachleute sollten ihre Erfahrungen in die Forschung und Lehre einbringen und Anregungen zur zukünftigen Profilierung der Uni geben. Unter den Mitgliedern, die nicht aus Jena kommen, finden sich neben Professoren und Politikern mit Michael Kaschke, Mitglied des Beirats der Dresdner Bank, und Jürgen Radomski, dem ehemaligen Personalvorstand bei Siemens, auch Vertreter aus Wirtschaftsunternehmen.

Gerade die Berufung Radomskis ist umstritten, da dieser im vergangenen Jahr in die Schmiergeldaffäre bei Siemens verwickelt war und inzwischen auf Schadensersatz verklagt wird. Begleitet wurde die Einführung des neuen Gremiums von einem Aufschrei des Stura, der den Abbau der studentischen Mitbestimmung kritisierte.  Der Stura boykottierte den Unirat und entschloss sich, keinen studentischen Vertreter zu den Sitzungen zu schicken, obwohl das Thüringer Hochschulgesetz diesem immerhin eine beratende Stimme zugesteht.
Das Jahr zog ins Land und es wurde still um den Unirat. Kaum etwas von den Sitzungen drang an die Öffentlichkeit. Hat sich das neue Gremium als Ort der Kooperation bewährt, in dem anregend und kritisch über alle Felder der Wissenschaft diskutiert wird, oder handelt es sich hier um einen Club der Jasager und Abnicker?
Klaus Dicke für seinen Teil zieht eine positive Bilanz: „Das Einarbeiten der externen Mitglieder in den Rhythmus der Arbeit hat erstaunlich gut funktioniert.“ Dicke hat sich nicht nur dafür eingesetzt, dass der Hochschulrat in Jena „Universitätsrat” heißt, sondern nimmt auch regelmäßig an den Sitzungen teil. Inzwischen gebe es keine „Übergangssituation“ mehr und das Gremium erfülle alle seine Funktionen. Unter diesen Funktionen hebt Dicke zwei besonders hervor: seine eigene Wiederwahl und die Ziel- und Leistungsvereinbarung zwischen der Universität Jena und der Thüringer Landesregierung. Dabei wird über die Aufgaben der Universität und die ihr zustehenden Geldmittel verhandelt. Gerade bei den Gesprächen mit dem Landtag seien die Erfahrungen der externen Mitglieder sehr hilfreich gewesen. Darüber hinaus hat der Unirat eine beratende Funktion. Auch hier findet Rektor Dicke den Einfluss des Gremiums bereichernd: „Ich nenne es Rechenschaft ablegen: sich selbst zu verdeutlichen, welche Verantwortung man hat. Dazu gehört natürlich auch Selbstkritik.“

Artikulierte Wirtschaftsinteressen

Den Einfluss externer Mitglieder aus Wirtschaftsunternehmen beurteilt Klaus Dicke als nicht problematisch: „Es ist richtig, dass es damit eine unmittelbare Artikulationsmöglichkeit für Wirtschaftsinteressen an der Universität gibt. Jedoch sind konkrete operative Entscheidungskompetenzen nicht gegeben.“ Die Universität sei inzwischen auch in einem höheren Maße auf eine Kooperation mit der Wirtschaft angewiesen. „Wir müssen an der Universität Dinge einführen, die die Wirtschaft schon seit zehn Jahren beherrscht.“ Darunter fallen für Dicke beispielsweise Qualitätskontrollen in allen Bereichen.  Ob im Zuge dieser Qualitätskontrollen auch Studiengänge untergehen werden, die nicht in bestimmte „Forschungscluster“ hineinpassen, bleibt abzuwarten.
Die Artikulationsmöglichkeit für Wirtschaftsinteressen erscheint Stura-Mitglied Marc Emmerich höchst bedenklich. Bildung sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, darunter falle auch die Lehre an einer Universität. Würden nun Belange der Universität unter privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilt, so nehme dies die Gesellschaft aus der Verantwortung. Emmerich sieht darin einen gegenwärtigen Trend: Die Hochschule emanzipiere sich offensichtlich vom Land und gehe mehr auf die Wirtschaft zu. Als einziger Student hat er an einer Sitzung des Universitätsrats teilgenommen, an der zur Wiederwahl Klaus Dickes als Rektor. Damals wie heute beurteilt er das Verfahren als nicht transparent genug. Außerdem werde Dicke von Personen gewählt, die er selbst dafür ausgesucht habe.  Im Verlauf der Rektorwahl hatten einzelne Mitglieder sogar Verständnis für seine Kritik bekundet. Jedoch blieb der Eindruck einer Scheinwahl haften: „Ich hatte das Gefühl, dass im Vorfeld schon alles entschieden war. Die Mitglieder treffen sich oftmals schon separat, um die Sitzungen vorzubereiten.“ Dazu passte auch, dass die Wahl des Rektors mitsamt Diskussion nur etwa drei Stunden dauerte. Insgesamt sieht Emmerich den Universitätsrat als „ein überflüssiges Gremium, das Entscheidungsprozesse verschleiert.“
Mittlerweile hat sich der Stura dazu entschlossen, doch einen studentischen Vertreter, Sven Thalmann, in den Universitätsrat zu entsenden. Das sollte Klaus Dicke erfreuen, meint dieser doch: „Ich fordere die Studenten immer auf, auch ihre Meinung beizutragen.“ Thalmann, der  Volkskunde und Kulturgeschichte studiert, möchte in seiner neuen Funktion eng mit dem Stura zusammenarbeiten und hofft, dass er im Universitätsrat „den Studenten eine Stimme geben kann, die auch erhört wird.” Als problematisch sieht er die Tatsache, dass viele der Mitglieder mit aktuellen studentischen Problemen nicht vertraut sind. Dennoch blickt er optimistisch auf die zukünftigen Sitzungen. Thalmann bietet sich nun die Möglichkeit, etwas Licht ins Dunkel eines Gremiums zu bringen, das nach außen hin den Eindruck erweckt, Entscheidungen am liebsten hinter verschlossenen Türen zu fällen. Er hat die Möglichkeit studentische Interessen zumindest zur Diskussion zu stellen, wenn er auch kein Stimmrecht hat.

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