„Helga, mach das Rollo runter“

Wie es als Werber in einer Drückerkolonne ist

Von Nelly Dinter

Heucheln, schleimen, grinsen: Der Beruf des Drückers will gelernt sein.                                Foto: Katharina Schmidt

Alle Mann raus aus dem Auto, ausstreuen und ran an die Haustüren: Klinken putzen für den guten Zweck. Vor dem Klingeln noch schnell die ersten Sätze durchgehen und dann Augen zu und durch: „Schönen guten Tag, wie sind von der Johanniter. Keine Angst, heute nehmen wir keinen mit!“ Gleich in fröhliches Gelächter ausbrechen, damit das gerade aus seinem Alltag geklingelte Gegenüber weiß, dass der flotte Spruch ein Scherz sein sollte. Und bevor die Haustür gleich wieder zufliegt oder der Hausherr einwendet, dass er kein Interesse an einer Spendenmitgliedschaft bei den Johannitern hat, schnell weiterschnattern und sich mit den wichtigsten Argumenten in die Wohnung manövrieren. Wenn der Plan mal wieder nicht aufgeht, durchatmen und es beim Nachbarn versuchen. Und so geht es weiter, im ganzen Haus, auf der ganze Straße, im ganzen Viertel, bis gefühlte 12 Stunden später das Auto wieder Richtung Ferienhaus fährt, in dem alle Werber in diesen Wochen zusammen leben.

Geld stinkt nicht

Als Promoter bei der Wesser GmbH zu arbeiten bedeutet, drei Treppchen höher als andere Drücker zu stehen. Immerhin vertritt Wesser nur so genannte Non-Profit-Organisationen wie den Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. (JUH), das Rote Kreuz und einige Naturschutzvereine. Doch trotz der sozialen und ökologischen Relevanz ist diese Promotion ein seelisch belastender Job, den Wesser mit einem hohen Gehalt belohnen möchte. Leider werden aber nicht der psychische Wahnsinn, dem sich der Werber aussetzt, die herabwürdigende Behandlung durch die Bevölkerung oder die belastenden Arbeitszeiten entlohnt. Allein die unterschriebenen Verträge bringen Geld; nach Leistungsprinzip werden die Promoter an den Gewinnen der Organisationen beteiligt. Spendet das neue Fördermitglied monatlich einen hohen Betrag, ist die Provision auch hoch. Ist ein Werber für einen der Naturschutzvereine im Einsatz, ist seine Provision höher als der Satz des Werbers für die sozialen Organisationen. Schließlich sind Rotes Kreuz und die Johanniter in der Gesellschaft etablierter als ökologische Vereine und Mitglieder lassen sich leichter werben. Die Provision soll laut Wesser bis zu 2000 Euro im Monat einbringen – abhängig ist das Gehalt allein von der Hartnäckigkeit des Werbers.
Mit welchen Methoden sich der Promoter an der Haustür durchsetzt, wie es ihm gelingt, im Wert von 2000 Euro im Monat Mitgliedsverträge für die Organisationen zu ergattern, können die Wesser GmbH und die Vereine kaum prüfen. Sabine Zeller von der Johanniter in Baden-Württemberg hofft, mit den „professionellen Werbern“ der Firma Wesser Einfluss darauf zu nehmen, „mit welchen Maßstäben, Mitteln und Methoden die Werber arbeiten.“ Doch wie professionell kann die Mitgliederwerbung schon sein, wenn 90 Prozent der Werber Studenten sind?

Der Weg zum Folterferienjob

Jeder kann sich für eine Stelle als Promoter bewerben und kriegt sie in der Regel auch – Hauptauswahlkriterium ist scheinbar, diesen belastenden Job überhaupt zu wollen. Wer sich einmal online beworben hat (Angabe von Name, Adresse und Häufigkeit des E-Mail-Abrufens genügen), muss sich nur noch bei einem Bewerbungsgespräch in seiner Stadt von einem Wesser-Scout – in der Regel ein langjähriger und erfolgreicher Promoter – auf Flexibilität und Durchsetzungsvermögen prüfen lassen, bis der mehrwöchige Folterferienjob losgeht. Startpunkt der mindestens vierwöchigen Werberzeit ist die Auftaktveranstaltung in der Stuttgarter Wesser-Zentrale. Diese Zusammenkunft aller Newcomer ist eine als nette Ferienlagerdollerei getarnte Schulung, die die wichtigsten Handfertigkeiten für den Promoterjob lehren soll. Nach diesem Wochenende werden die Neuwerber in ihr Einzugsgebiet – je nachdem wo gerade Promoter gebraucht werden – geschickt, wo sie nun in einem größeren Team in einem Ferienhaus zusammenleben und Klinken schrubben werden. Dort angekommen, bringt der Teamleiter, wie der Scout ein langjährig erfolgreicher Promoter, dem Neuling weitere Tipps bei, um an der Haustür zu punkten. Eine dieser wertvollen Ideen besagt, sobald die Haustür geöffnet wird, die Schuhe auf dem Abtreter zu wetzen, um dem Gegenüber gar keine Wahl zu lassen, als den Werber in die Wohnung zu bitten. Es gilt, keine Blöße zu zeigen – schließlich wollen die angepriesenen 2000 Euro fix verdient werden.

Kontrollmechanismen

Von unlauteren Methoden distanzieren sich sowohl die Johanniter als auch Wesser. Robert Werzer von Wesser erschließt sich mit eigener Logik, wieso die Mitarbeiter ganz bestimmt ordentlich arbeiten: Kein Promoter will, dass eine Beschwerde über ihn eingeht, die zu seiner Suspendierung führen würde. Wer ordentlich Geld verdienen wolle, würde sich an den Werberkodex halten. Doch gibt Werzer zu, dass es jährlich einige Beschwerden gibt. Um Anklagen aus der Bevölkerung zu verhindern, hat sich „der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. verpflichtet, in seiner Mitgliederwerbung einen Verhaltenskodex der deutschen Hilfsorganisationen einzuhalten, der zahlreiche Ge- und Verbote enthält, welche die Werbemaßnahmen von sogenannten Drücker-Methoden deutlich unterscheiden“, erklärt Johanniter-Pressesprecherin Zeller. Außerdem überprüfen die Organisationen präventiv die Werbebeauftragten in Form von stichprobenartigen Anrufen, die die Johanniter bzw. die anderen Organisationen bei den neugeworbenen Mitgliedern vornehmen.
Aber warum lassen diese rechtschaffenen Vereine überhaupt Dritte für sich Spendenmitglieder sammeln? Sabine Zeller antwortet für die Johanniter stellvertretend, die eigenen Mitarbeiter könnten nicht neben ihrer eigentlichen Tätigkeit auch noch die Haustürwerbung übernehmen. Zumal es sich dabei um eine „schwierige und undankbare Aufgabe“ handelt, die nicht selten mit einer großen „psychischen Belastung“ einhergeht. Wahrscheinlich gibt Wesser deswegen allen potentiellen Werbern eine Chance und rekrutiert die über 1000 Mitarbeiter jährlich vorzugsweise aus dem Internet.

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