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Blind vor Plastik

Schon kleine Änderungen im Verhalten können einen ganz anderen Alltag ergeben – wie
anstrengend ist der Wandel hin zu einem nachhaltigeren Leben?

von Lars Materne

Man sieht die Welt vor lauter Plastik nicht. Foto: Johannes Vogt

Der Wecker läutet. Im Halbschlaf muss ich feststellen, dass ich die Snooze-Taste nicht finden kann und den Alarm erneut stellen muss, weil ich noch weiterdösen möchte. Genervt denke ich: „Auf was habe ich mich da bloß eingelassen?“ – Für eine Woche habe ich mir vorgenommen, vier Verhaltensänderungen
zu erproben, die möglicherweise nachhaltig sein könnten. Dazu zählt auch, dass ich eine Woche auf mein Smartphone verzichte.

Snooze-Taste nicht gefunden – First-World-Problems

Der kleinste Schritt in meiner nachhaltigen Woche stellt für mich die Umstellung meiner Ernährung von vegetarisch auf vegan dar. Doch der kleine Schritt hat eine lange Vorgeschichte, denn als Fleischliebhaber war es für mich nicht leicht, den täglichen Konsum zu reduzieren und erst nach Jahren eingeschränkten Fleischkonsums wurde ich Vegetarier.

An der Umsetzung eines weiteren Vorhabens habe ich auch lange zu knobeln: Wie kann ich eine Woche lang müllfrei leben? Von heute auf morgen auf einen müllfreien Haushalt umzustellen, ist schwierig. Es gibt nämlich eine Phase, in der zunächst der Haushalt komplett von Plastik und sonstigen Verpackungsstoffe befreit werden müsste. Ich nehme mir deswegen vor, beim Einkauf meiner Lebensmittel müllfrei zu sein. Dafür gibt es zum Glück einen Unverpacktladen im Damenviertel. Zudem
sind Gemüse und Obst auch schon von Natur aus verpackt. Ich bin selbst überrascht, wie schnell dann ein Einkauf in einem kommerziellen Laden vorbei ist. Nach dem Gemüse und Obst geht es schon an die Kas-
se, denn alle andere Produkte sind in Plastik verpackt. Darüber hinaus kaufe ich in meiner nachhaltigen Woche nur regional und saisonal, was die Auswahl an Gemüse und Obst nochmals reduziert. Beim Kauf von Erdbeeren am Straßenstand finde ich es etwas ungewohnt, zu fragen, ob ich die Erdbeeren in meine Tupperdose bekommen kann. Genauso seltsam fühle ich mich, als ich in der Bäckerei darum bitte, das Brot ohne Tüte zu bekommen. Liegt es an mir oder an der Selbstverständlichkeit, dass fast alles verpackt ist oder wieso waren mir diese Situationen unangenehm? Falls es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dann frage ich mich, wie es dazu gekommen ist und ob wir diese Selbstverständlichkeit nicht hinterfragen sollten? Wer übernimmt Verantwortung für den produzierten Müll?

Riesenmüllberge und leere Seen

Um etwas Verantwortung für meinen Wasserverbrauch zu übernehmen, folge ich in meiner nachhaltigen Woche einer Handlungsempfehlung, die viele Menschen schon jetzt befolgen müssen: „If it’s yellow let it mellow, if it’s brown flush it down.“ Nur zu spülen, wenn es wirklich nötig ist, spart einiges an Trinkwasser. Wenn Wasser in der Sommerzeit knapp wird, sind Menschen in Südafrika und Neuseeland jetzt schon angehalten, auch an den Toilettengängen zu sparen.

Ordentlich an Zeit habe ich durch den Verzicht auf mein Smartphone gewonnen. Gleichzeitig dreht sich die Welt weiter und ich habe nichts verpasst. Ich nutze das Festnetztelefon oder das Handy von anderen. Letzteres fühlt sich merkwürdig an, da ich jederzeit mein eigenes Smartphone hätte nutzen können und dann nicht auf andere angewiesen wäre. Doch ich merke, dass dies auf dem Privileg beruht, gewisse Tech-
nologien verfügbar zu haben und ich dadurch nur scheinbar unabhängig von anderen bin. Wie sehr diese Illusion von Unabhängigkeit verleitet, lässt sich aus meiner Sicht daran erkennen, dass es Menschen – hauptsächlich Männer – gibt, die während einer lebensauslöschenden Klimakatastrophe davon träumen, den Mars zu besiedeln und dabei ihre Abhängigkeit von Planet und Erdwesen vergessen.

Manche wollen zum Mars, ich will eine bessere Erde

Nach nur einer Woche mit dem Versuch, etwas nachhaltiger zu leben, habe ich gemerkt, wie anstrengend Veränderungen sein können. Klar nutze ich wieder mein Smartphone. Ja, ich habe auch wieder verpackte Lebensmittel gekauft und weiterhin verursache ich Emissionen. Doch ich habe auch das Potenzial der Veränderung erfahren. Möglicherweise werde ich es schaffen, manche Verhaltensweisen dauerhaft zu ändern. Vielleicht werde ich aber auch irgendwann mal in einer Welt aufwachen, in der niemand auf Kosten von anderen wetteifert, um auf den Mars zu kommen und mein Wecker nicht läuten muss.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Dennis Schmolk

    Danke für den Einblick! Hast du mal ausgerechnet, wie viel Prozent Mehrkosten z.B. für Lebensmittel anfallen? Das fände ich noch ganz interessant, weil es ja vielleicht ein bisschen näher an den “realen” Kosten der Dinge liegt, inklusive der Nebenkosten, die meist rausgerechnet werden.

  2. Lars Materne

    Hallo Dennis Schmolk,
    vielen Dank für deine Rückmeldung und deine Nachfrage.
    Ich habe diesen Versuch ohne das Erheben von quantitativ erfassbaren Veränderungen wie finanzielle Einsparungen oder Mehrkosten durchgeführt. Ich kann dir deshalb keine Antwort geben.
    Viel eher wollte ich darauf achten, wie sich Veränderungen auf Routinen, Selbstverständlichkeiten und Privilegien in meinem Alltag auswirken. Neben den ökonomischen Bedingungen gilt es meiner Sicht darzustellen, inwiefern Alltagspraktiken veränderbar sind. Beides sind meiner Meinung nach gesellschaftspolitisch beinflussbar .

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