Ein Schuss Freiheit

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Susanne Øglænd inszeniert „Eugen Onegin“ am DNT Weimar

Von Johannes Weiß




Lenski lässt lieber den Revolver sprechen.
Foto: Monika Rittershaus / DNT

Die elegante Frau im dunklen Abendkleid formt ihre Finger zu einer Pistole und drückt ab. Lautes Krachen, das kleine Mädchen sinkt getroffen zu Boden, völlige Stille im Zuschauerraum, Schlussakkord. Ein furioses Finale der Mitte Juni angelaufenen Neuinszenierung von Tschaikowskys „Eugen Onegin“ am Nationaltheater Weimar. Inwieweit solche drastischen Bilder zu den zahlreichen Buhrufen des Premierenpublikums für die Regisseurin Susanne Øglænd beigetragen haben, kann man schwer sagen; es lassen sich einige Argumente gegen diese Inszenierung finden, doch fast genauso viele gegen die vernichtend-ablehnende Haltung von Teilen der Zuschauer und der Lokalpresse.

Keine Lust auf Liebesschwüre

Alles beginnt im Provinzhaushalt der Gutsbesitzerin Larina (Julia Oesch) und ihrer beiden Töchter, der lebenslustigen Olga (Karin Neubauer) und der nachdenklichen Tatjana (Larissa Krokhina). An einem Bügelbrett inmitten der eher konservativen Inneneinrichtung mit Klavier, altmodischem Telefonapparat und ausladenden Lampenschirmen steht die Amme Filipjewna (Christine Hansmann) und gibt ihre Lebensweisheiten zum Besten. Bald erscheint der schwärmerische Dichter Lenski (Szabolcs Brickner), der erst mal nervös den Tisch zurechtrückt, bevor er sich in Liebesschwüren an Olga ergeht. Sein dandyhafter Freund Eugen Onegin (Uwe Schenker-Primus) beschäftigt sich unterdessen mit Tatjana und hinterlässt bei ihr offensichtlich einen bleibenden Eindruck. Um die Dynamik der zwischen den Paaren umherspringenden Szene zu unterstreichen, kommt hier zum ersten und nicht letzten Mal an diesem Abend die Drehbühne zum Einsatz, die die Regisseurin jedoch meistens geschickt und effektiv zu benutzen versteht. Während Olga mit Lenski zu einem Spaziergang aufbricht und dort eher befremdet dem von Pathos überquellenden Werben ihres Begleiters zusieht, bleiben die beiden anderen im Wohnzimmer zurück und nähern sich vorsichtig einander an. Letztlich jedoch ohne Erfolg: Sogar das Verfassen eines glühenden Liebesbriefs Tatjanas an Onegin erweist sich – außer dass in dieser Szene Sopranistin Larissa Krokhina ihre Klasse einmal mehr unter Beweis stellen kann – als völlig vergeblich. In Onegins Wohnung, wo die wilde Leidenschaftlichkeit selbst in der grellen, mit psychedelisch-fratzenhaften Mustern übersäten Tapete Ausdruck zu finden scheint, erklärt der Hausherr, dass er sich nicht für die Ehe eigne und die Verliebte sich doch lieber in Selbstbeherrschung üben möge.
Genau dies tut sie, als sie viele Jahre später als Gattin des Fürsten Gremin (Hidekazu Tsumaya) wieder auf Onegin trifft. Hinter diesem liegt inzwischen eine lange Zeit des rastlosen Umherirrens, seit er den eifersüchtigen Lenski in einem Duell getötet hat – der in Øglænds Darstellung hier wieder seinen Hang zur Selbstinszenierung auslebt und die Wunde schon vor dem tödlichen Schuss mit Hilfe einer roten Farbpatrone markiert.
Fasziniert von der Gelassenheit der erwachsen gewordenen Tatjana entdeckt Onegin erst jetzt seine Gefühle für sie. Die Briefszene des ersten Aktes wiederholt sich unter umgekehrten Vorzeichen: Wieder regnen Blätter vom Himmel, in ähnlicher Pose wie zuvor Tatjana schreibt nun Onegin einen Liebesbrief. Doch die Geliebte bleibt ihrem Ehemann treu.
In der Weimarer Inszenierung erschießt sie als Zeichen ihrer neugewonnenen Reife, ihres endgültigen Abschieds von den naiven Sehnsüchten der Vergangenheit am Ende sogar ihre eigene Kindergestalt, die bisher vor allem in Visionen Onegins und ihres sie vergötternden Gatten Gremin aufgetaucht ist. Ein markantes, verstörendes Bild, das jedoch seine inhaltliche Berechtigung hat und sich zudem an das fortwährend präsente Duellmotiv konsequent anschließt. Das Problematische an Øglænds Konzept scheint eher, dass es zu wenige solcher aufrüttelnder Szenen gibt. Oft bleibt die Inszenierung auf halbem Wege stehen und schafft es nicht, ihre Innovationen hinreichend zu motivieren. Während beispielsweise im dritten Akt des Originals die Mutter Larina gar nicht mehr auftaucht, versammelt sich bei Øglænd die gesamte Familie an ihrem Sarg – etwas zu viel Aufwand, nur um den Emanzipationsprozess Tatjanas zu veranschaulichen.

Unverständliche Botschaften

Die Verfremdung der Vorlage mündet mitunter auch in bloße Unverständlichkeit, etwa wenn die Ballgesellschaft im zweiten Akt über das tanzende Paar Tatjana und Onegin tuschelt, dieser in der Weimarer Inszenierung allerdings allein über die Bühne spaziert. Überdeutliche Hinweise wie die Leuchtschrift „verliebt“ nach Tatjanas Begegnung mit Onegin stehen neben undeutlichen: Auf zwei Seitentüren befinden sich kyrillische Buchstaben, und selbst wenn man in diesen die russischen Schreibweisen für „Moskau“ und „Puschkin“ – den Dichter der literarischen Vorlage – erkennt, wird das Ganze dadurch auch nicht unbedingt verständlicher.
So bleibt der Weimarer „Eugen Onegin“ letztlich ein Sammelsurium von Bruchstücken, allerdings von teilweise durchaus interessanten und effektvollen Bruchstücken. Ob man sich den Buhrufen für die Regie nun anschließen will oder nicht – in einem kann man dem Premierenpublikum wohl vorbehaltlos zustimmen: im begeisterten Applaus für das Ensemble und die Staatskapelle Weimar unter Leitung von Stefan Solyom.

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