Gefangen hinter unsichtbaren Mauern

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Das Leben von Flüchtlingen in Thüringen ist bestimmt durch Isolation, polizeiliche Schikanen und ständige Angst vor der Abschiebung

Von Philipp Böhm



Das Asylbewerberheim Katzhütte im Thüringer Wald.

Foto: Katharina Schmidt

“Meine Familie denkt, ich lebe hier im Paradies”, sagt Hamza und lacht bitter. Das Paradies hat der gebürtige Palästinenser nicht gefunden – dafür aber ein karges Zimmer im Asylbewerberheim Katzhütte: mit dünnen Wänden aus Spanplatten, die jedes Geräusch durchlassen, engen dunklen Korridoren und Gemeinschaftsduschen, für die man über das gesamte Gelände laufen muss. Er sitzt auf seinem Bett vor einer kahlen Wand und schaut aus dem kleinen Fenster. Draußen scheint die Sonne, es ist ein warmer Frühlingstag. „Dieser Ort macht mich krank“, sagt Hamza und fügt hinzu: „Er macht jeden krank.“ Er berichtet von vielen Flüchtlingen, die hier psychisch krank, depressiv geworden sind. Besonders im Winter sei es schlimm: Wenn man nirgendwohin gehen kann und nur noch in seinem Zimmer sitzt. Die Baracken des Heims wirken trostlos und schäbig. Dahinter ragt der Thüringer Wald auf; das Heim Katzhütte liegt abseits des gleichnamigen Dorfs, größtenteils hinter Bäumen verborgen.

Eigentlich kommt Hamza aus Gaza. Mit 28 Jahren floh er von dort, floh vor den Kriegen, die seine Heimat seit Jahrzehnten heimsuchen. Er fuhr mit dem Auto von Palästina nach Kairo, stieg dort in ein Flugzeug. Ursprünglich wollte er nach Schweden, musste aber in Frankfurt den Flieger wechseln. Am Flughafen sagten die Polizeibeamten zu ihm, dass er nicht weiterreisen dürfe. Der Traum von Schweden war vorbei, er musste in Deutschland Asyl beantragen.
Das war vor acht Jahren. Nach zwei Jahren bekam er die erste Antwort auf seinen Asylantrag, eine Absage. Er legte Widerspruch ein. Und wartet nun seit sechs Jahren darauf, dass seinem Antrag stattgegeben wird. Acht Jahre, die er schon von der Außenwelt isoliert in Katzhütte verbringt, acht Jahre mit ungewisser Zukunft.
Bewerber stellen ihre Asylanträge beim „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“, das den Antrag bearbeitet und die Asylsuchenden schließlich zu einem Interview einlädt, bei dem sie noch einmal „glaubhaft berichten“ müssen, warum sie Asyl suchen.
Sabine Djimakong arbeitet in der Asylberatung der Jenaer Diakoniekreisstelle und bietet für die Betroffenen eine Vorbereitung auf solche Gespräche an. Ohne Beratung sei es oft nicht möglich, das Erlebte detailliert genug zu schildern: „Mein Eindruck ist, dass man während der Anhörung im Bundesamt oft nicht tief genug nachfragt und zu sehr auf die Aufdeckung von Widersprüchen und Lücken fixiert ist“, sagt sie. Das offizielle Ziel der Befragung, nämlich diejenigen herauszufiltern, die keine Asylgründe haben, werde so denen zum Verhängnis, die zu schüchtern oder aufgeregt seien und deshalb nicht viel erzählten. Besonders problematisch ist das für Flüchtlinge, die traumatische Erlebnisse wie Folter durchleben mussten: „Selbst in einer vertrauten Atmosphäre ist es für die meisten nur unter großen Schwierigkeiten möglich, sich an die schrecklichen Geschehnisse erinnern zu müssen“, berichtet Djimakong: „Scham und Verletzung spielen eine große Rolle. Ein Schutzmechanismus ist außerdem, das Erlebte zu verdrängen. Hier versuche ich die Betroffenen behutsam vorzubereiten. Ein Problem ist, dass die Zeit dafür oft sehr kurz ist.“
Nach den Interviews heißt es dann erst einmal warten. Jahrelange Verfahren wie bei Hamza kommen vor allem bei Flüchtlingen vor, die nicht einwandfrei als „politisch Verfolgte“ kategorisiert werden können. Ein Pressesprecher des Bundesamts rechtfertigt die Dauer damit, dass jeder Asylantrag eine „Einzelfallprüfung“ sei, die „sehr genau“ vorgenommen werden müsse. Kriege und Bürgerkriege sind für das Amt jedenfalls keine Asylgründe, da müsse schon eine „individuelle Verfolgung“ drohen, um den Betroffenen Flüchtlingsschutz zu gewähren. Wird der Antrag abgelehnt, legen die meisten Widerspruch beim Verwaltungsgericht ein. Scheitert auch dieser, droht die Abschiebung. Um der zu entgehen, verbrennen viele Flüchtlinge vor Verzweiflung ihre Papiere, da sie ohne diese nicht abgeschoben werden können.
Für die Zeit der Bearbeitung des Antrags werden die Flüchtlinge in einem undurchsichtigen Verfahren den verschiedenen Landkreisen zugeteilt und müssen in diesen bleiben, aufgrund der Residenzpflicht, die seit 1982 in Deutschland besteht. Dieses Gesetz verbietet es Asylbewerbern, „ihren“ Landkreis ohne vorher erteilte Erlaubnis der Ausländerbehörde zu verlassen, ansonsten drohen Geld- und Freiheitsstrafen. Die deutsche Residenzpflicht ist einmalig in Europa.
Für Hamza heißt das: bis Rudolstadt und nicht weiter. Wenn er Freunde in Jena besuchen möchte, muss er ständige Angst vor Polizeikontrollen haben. Dreimal wurde er schon geschnappt und musste bis zu fünfzig Euro bezahlen. „Ich fühle mich wie im Gefängnis. Wie soll ich ein normales Leben führen unter diesen Umständen?“, fragt er immer wieder. Die Antwort konnte ihm bislang niemand geben. Wie das Thüringer Innenministerium diese Regelung genau rechtfertigt, kann hier nicht wiedergegeben werden, da der zuständige Pressesprecher auch nach mehrmaligen Anrufen seine Stellungnahme über den Redaktionsschluss hinauszögerte. Angeblich soll Residenzpflicht das Asylverfahren beschleunigen. Für die Betroffenen bedeutet sie aber meistens eine zusätzliche Isolation. Was für andere ganz selbstverständlich ist, wird für Flüchtlinge nahezu unmöglich: Treffen mit Freunden aus anderen Städten, Konzertbesuche, Ausflüge. Auch wenn sie schon Bekannte oder Familienangehörige in Deutschland haben, bei denen sie wohnen könnten, dürfen sie den Landkreis nicht verlassen.
Ein weiteres Problem stellt die Versorgung dar: Flüchtlinge erhalten in Deutschland Asylleistungen, monatlich sind das 230 Euro. Nicht immer wird dieser Betrag aber in bar ausgezahlt. In vielen Landkreisen hat sich ein Gutschein-System etabliert, bei dem die Asylbewerber in bestimmten Läden Gutscheine gegen Waren eintauschen können. Das ist aber nicht in allen Läden möglich, in Katzhütte beispielsweise nur bei einem teuren „tegut“. Schier unmöglich ist es für die Flüchtlinge, tatsächlich Geld zu verdienen: Das erste Jahr dürfen sie überhaupt nicht arbeiten. Danach dürften sie es zumindest theoretisch. Sollte jedoch ein Flüchtling eine Arbeitsstelle finden, ist das Arbeitsamt verpflichtet, aufgrund der sogenannten „Vorrangsprüfung“ alle „vorrangig Berechtigten“ an diese Arbeitsstelle zu vermitteln. Bevorzugt werden Deutsche und Ausländer mit Aufenthaltserlaubnis. In der Praxis macht diese Regelung es den Betroffenen so gut wie unmöglich, Arbeit zu finden. „Den Menschen wird die Selbstständigkeit genommen“, kritisiert Sabine Djimakong. „Sie dürfen nicht arbeiten und für sich selbst sorgen, bekommen keinen Sprachkurs, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben: Sie sind zur Untätigkeit gezwungen.“
Nicht überall ist die Situation für Flüchtlinge so prekär wie in Katzhütte: „In den Städten sieht es besser aus“, sagt Sabine Djimakong. Dort gibt es Initiativen und Organisationen, die Beratung, Unterstützung und Freizeitangebote anbieten und es sei einfacher Kontakte zu knüpfen. Doch in den meisten Dörfern fehlen solche Strukturen.
In Katzhütte hat der langjährige Protest gegen die Wohnbedingungen des Heims zumindest etwas bewirkt. Bilder von verschimmelten Wänden mit der Überschrift „Hier wohnt ein Kind“ sind nicht ohne Folgen geblieben: Die Heimleitung ließ erst eines der Häuser für Pressetermine neu streichen, machte die schlimmsten Baracken dicht und stellte dann einen Kübel mit Kunstblumen an den Eingang. Nun wird das Heim endgültig geschlossen. Was mit den dort noch untergebrachten etwa sechzig Flüchtlingen geschehen wird, weiß zurzeit niemand. Möglich wäre beispielsweise eine Unterbringung in Saalfeld.
Für Hamza macht das keinen Unterschied. Er hat nach acht Jahren jegliche Hoffnung verloren, dass sich seine Situation in Deutschland noch wirklich verbessern könnte: „Meine Zukunft sieht sehr dunkel aus“, sagt er immer wieder. Er hofft nur, dass er eines Tages wieder nach Palästina zurückkehren kann, wenn Krieg und Blockade beendet sind. Die Zeit bis dahin fristet er zwischen behördlichen Schikanen und Isolation. Er steht zwischen zwei Ländern: In eines kann er nicht mehr zurück, das andere will ihn nicht aufnehmen.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Matthias

    Wollte mal fragen ob das Asylbewerberheim das alte Ferienlager von Katzhütte ist. Ich war dort als Kind und wollte es mal wieder besuchen.

  2. manuela

    Hi,
    soweit ich weiß, ist das Heim wohl das ehemalige Ferienlager… war als Kind auch dort. War eine super Zeit!
    Wenn das Heim nun geschlossen ist, kannst du es dir sicher nicht so anschauen, wie du es willst. schade… aber eine schöne Gegend hat´s ja trotzdem noch.

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